Z Gastroenterol 2016; 54(12): 1421-1422
DOI: 10.1055/s-0042-121352
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Erfahrungsbericht aus einer gastroenterologischen Praxis – Optimierung der Thiopurintherapie bei CED-Patienten

Henrich Wenzel
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Publication Date:
13 December 2016 (online)

2008 stellte sich ein 45jähriger Mann mit 1990 diagnostizierter Pancolitis ulzerosa zur Weiterbehandlung vor. Er stammte aus Sri Lanka, berichtete über vier bis sechs ungeformte Stuhlentleerungen täglich unter Mesalazin 2 g (Salofalk®-Granustix), Budesonid 9 mg (3 Tbl. Entcort®) seit Anfang 2008 und Prednisolon um die 20, nie unter 10 mg. An Begleiterkrankungen ein allergisches Asthma bronchiale, Diabetes mellitus Typ 2 und eine steroidinduzierte Osteoporose; der Tuberkulintest positiv. 2001 unter Azathioprin Pankreatitis, 2006 unter Methotrexat Anstieg der Transaminasen.

Bei steroidabhängigem Verlauf 2010 stationäre Evaluation und Einleitung einer Behandlung mit Tacrolimus, ambulant fortgeführt, bei suffizienten Spiegeln (8–12 ng / ml) wegen unzureichendem Effekt und Nebenwirkungen beendet. Auch Infliximab (Remicade®) unter Gabe von INH nach 10 Zyklen wegen ausbleibendem Erfolg beendet.

Eine chirurgische Therapie lehnte der Patient nach Beratung mit seiner Familie strikt ab, versuchte auf eigene Faust erfolglos Weihrauch und ein Probiotikum. Bei zunehmender Symptomatik 2011 erneut stationär: koloskopisch schwergradiger Befall, keine Dysplasien, kein Anhalt für CMV-Infektion; Prednisolon auf 30 mg erhöht, Anregung eines Versuchs mit 6-Mercaptopurin.

Ab 9/2011 25 mg 6-MP / die, ab 11/2011 50 mg / die, Symptomatik deutlich rückläufig, Prednisolon kann auf 7.5 mg reduziert werden, Blutbild und Lipase normal, aber Anstieg von GOT 100 U / l, GPT 275 U / l, G-GT 65 U / l. Die E-6-Thioguanin-Nukleotide (6-TGN) mit 311 (pmol/0.8*10^9 Ery) im erwünschten Bereich, E-6-Methyl-Mercaptopurin (6-MMP) mit 23.359 (pmol/0.8*10^9 Ery) stark erhöht, die E-Thiopurin-S-Methyltransferase (TPMT) mit 18.1 nmol/(ml Ery *h) normale Aktivität. Nach Pausieren des 6-MP und Normalisierung der Transaminasen ab 1/2012 Umstellung auf 25 mg 6-MP plus Allopurinol 50 mg. Nach wenigen Wochen beschwerdefrei, Stuhlfrequenz 2× / die, Reduktion des Prednisolon auf 2.5 mg (wegen des Asthma bronchiale beibehalten), die Transaminasen anhaltend normal. 3/2012: 6-TGN 572 (pmol/0.8*10^9 Ery), 6-MMP 1.070 (pmol/0.8*10^9 Ery) – der Patient hatte ohne Rücksprache 6-MP auf 50 mg erhöht. Der Verlauf des fäkalen Calprotectin spiegelt die anhaltende Remission wieder, die sich auch bei der 8/2013 durchgeführten Überwachungskoloskopie bestätigte.

Leider fand sich jetzt aber ein fortgeschrittenes Sigmakarzinom mit Peritonealkarzinose. Der Patient verstarb postoperativ im September 2013 bei Multiorganversagen nach frühpostoperativer Anastomoseninsuffizienz.

Therapieoptimierung

Die Umwandlung von Azathioprin respektive 6-Mercaptopurin in die wirksamen 6-Thioguanide (6-TGN) unterliegt einer hohen Variabilität, die der unterschiedlichen Aktivität der E-Thiopurin-S-Methyltransferase (TPMT) und weiteren nicht ganz geklärten Faktoren geschuldet ist1. Es nimmt daher nicht wunder, dass ein für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen adäquater 6-TGN-Spiegel (> 235 und < 450 pmol/0.8*10^9 Ery ) bei körpergewichtsbezogener Dosierung bei kaum der Hälfte der Patienten erzielt wird2. Bei einigen Patienten werden große Mengen an therapeutisch nicht wirksamem 6-Methylmercaptopurin (6-MMP) gebildet, das über 5700 pmol/0.8*10^9 Ery mit erhöhtem Risiko der Hepatotoxizität einher geht. Diese „Hypermethylierung“, eine Unter- oder Überdosierung und Non-Compliance lassen sich mit der Bestimmung von 6-TGN und 6-MMP erfassen. Bei der seltenen TPMT-Defizienz (< 2.8 nmol/(ml Ery*h) wird man von einer Thiopurin-Therapie sicherheitshalber Abstand nehmen, Phänotypisch unterscheidet man weiter eine intermediäre (2.8 – 9.9), normale (10–20) und erhöhte Aktivität (> 20 nmol/(ml Ery*h).

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Allopurinol wurde in den 50er Jahren zur Optimierung der Azathioprin-Wirkung – damals in der Tumortherapie – entwickelt. Sein Einsatz bei Therapieversagen und / oder Nebenwirkungen infolge Hypermethylierung bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wurde erstmals 2007 veröffentlicht3.

CED-Patienten aktuell

Gesamt

Mit Allopurinol

Azathioprin

36

7

6-Mercaptopurin

3

1

39

8

Der Anteil von aktuell ca. 20 Prozent eigener Patienten mit Kombinationstherapie fügt sich gut in die publizierten Erfahrungen vieler Arbeitsgruppen4. Nutzen aus der Metabolitenbestimmung ziehen auch Patienten mit zu hoher Dosierung, mit anhaltender Remission bei subtherapeutischen Spiegeln oder fehlendem Ansprechen bei ausreichendem 6-TGN-Spiegel, bei denen die Dosis angepasst oder ggf. die Therapie beendet werden kann.

Die Überlegenheit einer individualisierten gegenüber der körpergewichtsbezogenen Therapie konnte in einer prospektiven Studie bislang nicht belegt werden – dennoch gibt es gute Gründe für folgendes Vorgehen5:

Anfangsdosis von Azathioprin nach TPMT-Aktivität:

  • bei intermediärer Aktivität 1–1.5 mg / kg KG

  • bei normaler Aktivität 2–2.5 mg / kg KG

  • Dosisanpassung in Schritten von 25 bis 50 mg nach Spiegelbestimmung von 6-TGN und 6-MMP in Woche 4 und 12.

  • Blutbild und Transaminasen in Woche 1, 2, 4, 8,12, dann weiter alle 12 Wochen.

  • Bei „Hypermethylierung“ Dosisreduktion auf ⅓ bis ¼, dazu 100 mg Allopurinol.


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Schlussbemerkungen

Neben dem Ausschluss opportunistischer Infektion und der Vervollständigung des Impfschutzes sollte vor Behandlungsbeginn auch über den Off-Label-Gebrauch und mögliche Nebenwirkungen von Allopurinol aufgeklärt werden. Einige Nebenwirkungen vor allem zu Beginn sind unabhängig vom Metabolismus. Wenn man nicht ohnehin eine einschleichende Dosierung bevorzugt, kann manchmal eine vorübergehende Dosisreduktion oder der Wechsel von Azathioprin auf 6-Mercaptopurin erfolgreich sein. Bei gesicherter Azathioprin-induzierter Pankreatitis wird eine Reexposition mit 6-Mercaptopurin generell nicht empfohlen, was ich bei diesem Patienten nur in Anbetracht fehlender sonstiger Optionen anders gehandhabt habe.

Retrospektiv mag bezweifelt werden, ob bei ihm tatsächlich eine Azathioprin-induzierte Pankreatitis vorlag oder nur ein klinisch nicht relevanter Lipaseanstieg. Die Überprüfung von TPMT, 6-TGN und 6-MMP kann zu Lasten der GKV durchgeführt werden, z. B. im UMG-Labor (Leiter Dr. Lutz Binder), Robert-Koch-Str.40, 37075 Göttingen. Die Kosten sind mit ca. 20 € je Position überschaubar. Benötigt werden 5 ml EDTA-Blut.

Mein Fazit ist, dass bei differenzierter Indikationsstellung und Beachtung entsprechender Kautelen mit einem individualisierten Vorgehen Azathioprin oder 6-Mercaptopurin bei einer größeren Anzahl von CED-Patienten effektiv eingesetzt werden können. Literaturangaben unter www.bng-gastro.de.


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