Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(05): 313
DOI: 10.1055/s-0042-123993
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Medizin im digitalen Zeitalter: die Chancen nutzen!

Medicine in the Digital Age: Let’s Take the Opportunities!
Mark Dominik Alscher
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Publication Date:
10 March 2017 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

derzeit wird in vielen Feldern des öffentlichen Lebens und der Industrie von disruptiven Veränderungen zahlreicher Prozesse, Anwendungen und Geschäftsfelder gesprochen. Große soziale Verwerfungen werden darunter subsummiert – und alles findet statt unter der Überschrift „Digitalisierung“. Der immense Einfluss der Kommunikations- und Informationstechnologie (KIT), von dem zweifellos auch die medizinische Praxis betroffen ist, wird mit den Auswirkungen beispielsweise des Buchdrucks, der Elektrizität oder der industriellen Produktion auf zahlreiche Felder menschlicher Organisationsformen verglichen. Als weitere Treiber aktueller Veränderungen ärztlicher Leistungsbereiche findet sich der demografische Wandel, der zu einer zunehmenden Komplexität der betreuten Patienten führt, aber auch Überschneidungen zum Thema „Fachkräftemangel“ aufweist. Dazu kommen die zunehmende Wissensbasis, Finanzierungslücken und auf Seiten der Patienten eine Individualisierung und Anspruchshaltung.

Diese beschriebenen Herausforderungen erschweren schon ohne Einfluss von KIT die qualitativ hochwertige Versorgung von Patienten in allen Segmenten des Gesundheitssystems. Das Netz wird gröber, und wichtige Knotenpunkte („hubs“) drohen auszufallen oder sind dies bereits. Die Möglichkeiten der Digitalisierung bietet Chancen für die Problemlösung, und Optimisten sind überzeugt, dass die Qualität der ärztlichen Leistungserbringung durch digitale Lösungen aufrechterhalten werden kann. Der „zweite Gesundheitsmarkt“ jedoch, der sich auf privat finanzierte Produkte und Gesundheitsdienstleistungen bezieht, ist nicht reguliert, sondern wird von kommerziellen Aspekten dominiert. Prognosen zufolge wird sich der Hauptteil der Aktivitäten künftig darauf beziehen (Ausgabenanstieg bis 2025 um 57 %, im ersten Gesundheitsmarkt nur um 5 %). Deshalb muss sich die professionelle Fachwelt einmischen, sonst finden die Entwicklungen ohne uns statt.

Solche Lösungen müssen nicht nur die Versorgungsqualität halten oder im besten Fall steigern. Wesentlich sind auch ein effektiver Mitteleinsatz und die Akzeptanz bei den Patienten. Nur wenn es gelingt, alle Akteure (Patienten, Ärzte und weitere Leistungserbringer, Forschung, Staat, Kostenträger und Privatwirtschaft) einzubinden, wird es nachhaltige Lösungen geben. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die gesicherte Finanzierung solcher Lösungen. Wer glaubt, dass diese Lösungen sich alleine über angebliche Rationalisierungspotenziale finanzieren lassen, lässt die bisherigen Erfahrungen außen vor: Sie zeigen, dass für die Etablierung solcher Lösungen robuste betriebswirtschaftliche Modelle notwendig sind. Das dies gelingen kann, ist nicht sicher, allerdings zeigen die aktuellen Bemühungen und Anstrengungen aller Akteure, dass die Chancen nie besser waren.

In diesem Heft finden Sie zu diesen Aspekten interessante Lösungsansätze, welche die ärztliche Profession vor kurzer Zeit noch vollständig abgelehnt hätte. Die aktuellen Probleme lassen aber keine Zeit, einfach nur an altbewährtem Festzuhalten, sondern begründen die Notwendigkeit, neue Möglichkeiten sorgfältig zu prüfen. Dabei dürfen die Grundsätze ärztlicher Tätigkeit nicht aufgegeben werden, müssen aber an neue Gegebenheiten adaptiert werden.

Ich bin mir sicher, dass das Thema zu lebhaften Diskussionen führen wird und freue mich auf den Dialog mit Ihnen!

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Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher