Geburtshilfe Frauenheilkd 2022; 82(06): e17
DOI: 10.1055/s-0042-1749711
Abstracts | MGFG

Gendersensible Geburtshilfe – Fallbeispiel einer gesellschaftlichen Entwicklung

Authors

  • A Kaempf

  • Ch Ranke

  • M Riemer

  • T Tchirikov

 

Das Transsexuellengesetz §8 besagte noch bis 2011, dass Transpersonen sich bei der geschlechtlichen Angleichung einer Sterilisation unterziehen müssen, wenn sie in einem anderen Geschlecht leben, ihren Personenstand und ihren Namen anpassen wollen. Den Zwang zum Leben in Unfruchtbarkeit hat das BVG für verfassungswidrig erklärt. Eine Gesetzesänderung ist noch nicht vollzogen. Die Anwendung der Regelung aus dem TSG §8 wurde ausgesetzt. Bis heute warten Betroffene vergeblich auf Entschädigungen. Seither sind eigener Kinderwunsch und Schwangerschaft auch umsetzbarer Teil der Lebensplanung von Menschen, die sich nicht mit ihrem bei Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifizieren. Zuletzt gab es 2020 2687 Verfahren nach dem Transsexuellengesetz. Für die medizinische Betreuung in der Schwangerschaft, zur Geburt, aber auch im gesellschaftlichen Kontext ergeben sich nun Herausforderungen, Themen und Fragen, die diskutiert und geklärt werden müssen. Fallbericht: Der 23-jährige GII/P0 trans Mann stellte sich in der 24+1 SSW mit V.a. ein TTTS Stadium III bei monochorialer-diamnioter Geminigravidität (zusammen mit seinem bereits angeglichenen trans Mann) vor. Es wurde die Indikation zur fetalchirurgischen Lasertherapie gestellt (1.Geminus 711g 61.P., 2.Geminus 532g 5.P). Nach erfolgreicher Laserablation der Anastomosen erfolgte in der 24+4 SSW die Vitalitätskontrolle und die Entlassung in die Häuslichkeit. Im Verlauf kam es in der 26+2 SSW zu cervixwirksamer Wehentätigkeit. Es erfolgte die Tokolyse und antenatale Steroidgabe. Zudem wurde eine Widerstandserhöhung der A. umb. und IUGR des 2.Geminus festgestellt. Es wurde die Prolongation bis 30+0 SSW angestrebt. Die Cervixinsuffizienz war im Verlauf progredient. Die Gemini fielen sonographisch mit einer Wachstumsdiskordanz von ca.600g auf und boten suspekte CTGs, sodass letztendlich mit 30+2 SSW die Schnittentbindung erfolgte. Es erfolgte die Verlegung der Kinder auf die Neonatologie (Kind 1 1700g, Kind 2 1400g). Bisher sind nur wenige Schwangerschaften von trans-Männern in der Literatur beschrieben. Ziel ist es, einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Betroffenen und ihrer gesundheitsbezogenen Bedürfnisse zu erreichen. Was bedeutet es eine trans Familie zu sein/ zu werden? Wie können Barrieren auf Grund des Geschlechts von Eltern abgebaut werden? Wie können wir allen Gebärenden Sicherheit und Freiheit von Diskriminierung zusichern? In Berlin ist 2019 ein transsensibles und queerfeministisches Hebammenkollektiv entstanden. Sie begleiten Menschen der queeren Community in einer vulnerablen Lebensphase. Neben gendersensibler Schwangeren-, Geburts- und Wochenbettbetreuung, bietet das Hebammenkollektiv sogar Kurse für selbständige Inseminationen. Besonders im deutschsprachigen Raum sind die meisten Begriffe der Geburtshilfe frauenbezogen. Aus diesem Grund sollte zunehmend auch im geburtshilflichen Alltag Wert auf eine gendersensible Sprache gelegt werden.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
10. Juni 2022

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