Suchttherapie 2022; 23(S 01): S23
DOI: 10.1055/s-0042-1756004
Abstracts
S16: dg sps-Symposium: Irrtümer und Fallstricke in Suchtforschung und -praxis

Zwischen Abstinenzfixierung und Gleichgültigkeit: Von der Schwierigkeit, sich auf die Bedürfnisse von Adressat*innen der Suchthilfe wirklich einzulassen

M Wallroth
1   FH Münster, Münster
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Einleitung Suchtarbeit, die ihren Adressat*innen professionelle Angebote machen will, kann nicht zieloffen sein; Zieloffenheit kann es nur um den Preis der Nichtintervention im Sinne des vollständigen Verzichtes auf professionelle Angebote geben. Ausgehend von der Erläuterung dieser logischen Tatsache geht der Vortrag der Frage nach, wie Suchthilfe eine Balance der ethischen Prinzipien der Autonomiewahrung und der Fürsorge bewerkstelligen kann, ohne in die entwertenden Übertreibungen des Paternalismus respektive der Gleichgültigkeit zu verfallen.

Material und Methodik Als methodischer Ausgangspunkt dienen die vier Prinzipien der Patientenbehandlung von Beauchamp und Childress sowie die Überlegungen zum Wertequadrat von Schulz von Thun.

Ergebnisse Ein wichtiges Ergebnis des Vortrags besteht in der schon von Aristoteles in seiner Lehre von der Tugend als Mitte formulierten Einsicht, dass sich ethische Prinzipien nicht sinnvoll radikalisieren lassen, ohne in unethischem Verhalten zu enden – im vorliegenden Fall entweder im traditionell abstinenzorientierten Paternalismus oder – auf dem Wege einer unklaren Vorstellung von ‚Akzeptanz‘ und ‚Zieloffenheit‘ – in einer Gleichgültigkeit, die de facto zur weiteren Ausgrenzung der Adressat*innen führt.

Zusammenfassung Bezogen auf die vorliegende Fragestellung ergibt sich als weitergehende Schlussfolgerung, dass die Idee, den Bedürfnissen der Adressat*innen ‚wirklich gerecht zu werden‘, wohl aufgegeben werden muss zugunsten einer Konzeption von Suchthilfe als einem Interaktionsgeschehen zwischen Adressat*innen und Professionellen, dass auf der Seite der Adressatinnen definierte Formen von Compliance und auf der Seite der Professionellen eine kontinuierliche Reflexion der eigene rollenbezogenen, institutionellen und auch theorie- und wissenschaftsbasierten Macht und Verantwortung notwendig macht.



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Article published online:
30 August 2022

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