Suchttherapie 2022; 23(S 01): S45-S46
DOI: 10.1055/s-0042-1756070
Abstracts
S33: Drogenkonsum im Kontext Haft – Daten, Trends und neue Erkenntnisse

Strafende und helfende Einrichtung zugleich? – Drogenkonsum im Kontext Gefängnis

F Schneider
1   IFT Institut für Therapieforschung, München
› Author Affiliations
 

Einleitung Substanzkonsum, beziehungsweise dessen Erkennen in Haftanstalten, geht häufig sowohl mit Repression als auch mit dem Angebot von Hilfsmaßnahmen und damit einem doppelten Mandat für die Beteiligten einher. Untersuchungen haben sich bisher fast ausschließlich mit dem doppelten Mandat in der Sozialen Arbeit beschäftigt, andere potenziell betroffene soziale Gruppen wurden dahingehend nur wenig untersucht. Daher sollte das Spannungsfeld zwischen Strafe und Hilfe in der intramuralen Gesundheitsfürsorge im deutschen Justizvollzug gerade hinsichtlich des Konsums illegaler Substanzen auch für weitere soziale Gruppen wie die Inhaftierten selbst und den Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD) genauer betrachtet werden.

Material und Methodik Es wurden 27 leitfadengestützte Interviews geführt, aufgezeichnet und im Nachgang transkribiert sowie mit qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz ausgewertet. Als Zielgruppen wurden erwachsene, inhaftierte Männer sowie Bedienstete im AVD einer deutschen Justizvollzugsanstalt bestimmt.

Ergebnisse Sowohl von den Inhaftierten als auch vom AVD wurde häufig der Wunsch nach mehr Selbstinitiative in Bezug auf die Beendigung des Drogenkonsums ausgesprochen. Hier waren vor allem die großer Vorlaufdauer im Hilfesystem sowie fehlende Kommunikation Hindernisse. Zudem ist der Wunsch nach Hilfe für die Inhaftierten stark nach außen gerichtet (Kontakt mit Familie, Weiterleitung in Arbeitsverhältnis und Therapie nach Entlassung), während der AVD vor allem nach innen gerichtete Hilfestellung benennt (Selbsthilfegruppen, Abstinenzabteilung). Zudem wurde häufig die fehlende Individualisierung und Zielrichtung der Hilfsmaßnahmen kritisiert.

Zusammenfassung Das Spannungsfeld zwischen Strafe und Hilfe ist neben der Sozialen Arbeit auch für weitere soziale Gruppen in der Lebenswelt Haft relevant. Sowohl für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des AVDs als auch für Inhaftierte stellt es eine komplexe Herausforderung dar, sich dieser Ambivalenz zu stellen. Beratungs- und Hilfsangebote in Haft sind teils nicht zielgerichtet, laufen aufgrund von Ressourcenmangel und fehlender Kommunikation langsam an oder sind aus Sicht der Inhaftierten nicht vertrauenswürdig. Daher erscheint es sinnvoll, diese zu evaluieren, auszubauen und anzupassen, gerade auch in Hinblick auf die gesundheitlich hochriskante Zeit nach der Entlassung.



Publication History

Article published online:
30 August 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany