Aktuelle Dermatologie 2017; 43(01/02): 40-45
DOI: 10.1055/s-0043-100299
Von den Wurzeln unseres Fachs
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Trichologische Annäherungen an das Charakterbild der Kriegerfiguren Riace A und B in der Ausstellung „Athen-Triumph der Bilder“ im Frankfurter Liebieghaus 2016

Trichological Approaches to the Character of the Warrior Figures Riace A and B in the Exhibition “Athen-Triumph der Bilder” at the Liebieghaus, Frankfurt 2016
R. Möhn
Further Information

Publication History

Publication Date:
14 February 2017 (online)

Zusammenfassung

Auf der Athener Akropolis vor dem Erechtheion standen einst die Figuren des Erechtheus, sagenhaften Königs von Athen (Riace A), und des Eumolpos, Königs der Thraker (Riace B). Das ist das Ergebnis jahrelanger Überlegungen, Untersuchungen und Restaurierung von zwei männlichen Kriegerstatuen, die 1972 von Sporttauchern bei Riace, nahe Reggio di Calabria, im Meer gefunden wurden. Der jetzt wieder hell leuchtende Helm des Erechtheus und die thrakische Fuchsfellmütze (Alopekis) des Eumolpos ([Abb. 1] und [Abb. 2]) erregen im weitesten Sinne auch das Interesse des Dermatotrichologen. Alopekis ist sprachverwandt mit Alopecia, dem medizinisch-fachlichen Oberbegriff für alle Formen auch des menschlichen Haarausfalls, der sich auf die Fuchsräude bezieht, die bei diesem Tier unter großem Haarverlust häufig zum Tode führt. Im Wissen um diese gefährliche Krankheit haben wahrscheinlich im Dunklen liegende Vorgänge im kollektiven Gedächtnis der Thraker zu einer symbolistischen Überhöhung der Alopekis geführt, sodass sie zu einem halbsakralen, kronenartigen Gegenstand wurde, der nun von ihrem König repräsentativ getragen wurde. Tierfelle und das volle „dunkle“ Haar des Dionysos, das er auf Vasenbildern immer trägt, lassen auch immer an dessen „dunkle“ kultische Verehrung denken. Dagegen symbolisiert der leuchtende Helm des Erechtheus, der in Anlehnung an Synesios von Kyrene als künstliche Glatze aufgefasst wird, „helle“ maßvolle Klugheit und Weisheit. Dieser zunächst nur aus der Trichologie und Kopfbedeckung erarbeitete Hell-Dunkel-Gegensatz wird bei den Namen, den getragenen Waffen sowie Herkunft und Charakter der Personen und der mythologischen Zusammenhänge überprüft und – sehr überraschend – voll bestätigt.

Abstract

On the Athenian Acropolis in front of Erechtheion once stood the statues of Erechtheus, legendary King of Athens (Riace A) and Eumolpos, King of the Thracians (Riace B). This is the result of long-time careful research, investigations and the restoration of two male warrior statues, which skin divers had found in the sea near Riace in the vicinity of Reggio di Calabria in 1972. The now once again brightly shining helmet of Erechtheus and the Thracian fox skin cap (Alopekis) of Eumolpos in the widest sense arouse the interest of the dermatotrichologist. Alopekis is linguistically akin to Alopecia, which in medical terminology denotes all forms of human loss of hair that can be related to itch mite. In the case of the animal it often leads to a heavy loss of coat hair and eventually to death. The knowledge of this dangerous disease together with obscure historical events may have led to a symbolistic enhancement of Alopekis in the collective memory of the Thracians, so that it became a semi-sacred, crown-like object, which was worn by their king for representation. Animal coats and the thick, dark hair of Dionysus worn by him on vase paintings always indicate the “dark” side of Dionysian cult. By contrast, the brightly shining helmet of Erechtheus, which according to Synesios of Kyrene, is conceived of as an artificial bald head, symbolizes the brightness of moderation, prudence and wisdom. The contrast between bright and dark initially deduced from trichology and headwear is also being examined with reference to the weapons, the persons carry, their names, origins and mythological contexts, and is, rather surprisingly, fully confirmed.

 
  • Literatur

  • 1 Brinkmann V, Koch-Brinkmann U. Das Rätsel der Riace-Krieger Erechtheus und Eumolpos. In: Ausstellungskatalog von „Athen-Triumph der Bilder“ im Frankfurter Liebieghaus. Petersberg: Michael Imhof Verlag; 2016
  • 2 Benseler GE. Griechisch-deutsches Schulwörterbuch. Leizig: Verlag B.G. Teubner; 1882
  • 3 Golder W. Synesios von Kyrene – Lob der Kahlheit. 2.. Auflage Würzburg: Königshausen und Neumann; 2007
  • 4 Möhn R. Über das „Lob der Kahlheit“ des Synesios von Kyrene mit trichologischem Rückblick in die Antike sowie Ausblick in Gegenwart und Zukunft. Akt Dermatol 2011; 37: 468
  • 5 Pape W. Griechisch-deutsches Handwörterbuch, Band 1. 2.. Auflage Braunschweig: Friedrich Vieweg und Sohn; 1849
  • 6 Primavesi O. König zwischen zwei Göttern. Die Erechtheus-Tragödie des Euripides. In: Ausstellungskatalog von „Athen-Triumph der Bilder“ im Frankfurter Liebieghaus. Petersberg: Michael Imhof Verlag; 2016