Z Sex Forsch 2017; 30(01): 58-73
DOI: 10.1055/s-0043-101609
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie funktioniert der Pornografiemarkt im Internet?[1]

Richard Joos
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Publication Date:
22 March 2017 (online)

Pornografieforschung beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Rezipient_innen von Pornografie: Nutzung durch und Wirkung auf verschiedene Zielgruppen werden untersucht, oft differenziert nach Medien und Inhalten. Die Perspektive von Anbietenden und Distribuierenden bleibt meist außen vor. Im Online-Marketing ist Pornografie einer der mit „PPP“ abgekürzten Bereiche Porn (Porno-Videos, Livecams, Sexdates usw.), Pills (in der Regel Viagra, Cialis und andere potenzbezogene Mittel) und Poker (bzw. allgemein Online-Glücksspiel). Diese gelten als wenig seriös und schwer vermarktbar, da viele Plattformen nicht daran interessiert oder aus Rechtsgründen nicht in der Lage sind, entsprechende Werbung zu schalten. Oft findet man in öffentlicher und fachlicher Diskussion pauschale Hinweise darauf, dass das Internet mit Pornografie „überschwemmt“ werde. Aber wie viel Pornografie gibt es tatsächlich im Netz? Und wie funktioniert dieser Markt ökonomisch, wenn so viel Gratis-Content verfügbar ist?

Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, die Funktionsweise des Pornografiemarkts im Internet zu erklären. Der Fokus liegt dabei auf Deutschland. Eine präzise wissenschaftliche Analyse sowie eine ökonomische Betrachtung kann aufgrund der Intransparenz des Marktes und seiner Akteure nur in Ansätzen geleistet werden. Für das grundsätzliche Verständnis typischer Marktmechanismen ist die Betrachtung der Anbietenden- und Distribuierendenseite von Online-Pornografie aber aus mindestens vier Gründen relevant: Erstens geht es darum, verbreiteten Mythen über den Online-Pornografiemarkt (etwa dessen Größe) Fakten entgegenzusetzen. Zweitens sollen Analyse-Tools vorgestellt werden, mit denen man das Online-Geschehen messen oder zumindest abschätzen kann. Drittens soll der Einblick in die Motive und Handlungsmuster der kommerziellen Online-Pornografieanbietenden die Sexualwissenschaft motivieren, in ihrer zukünftigen theoretischen und empirischen Auseinandersetzung mit unserer sexuellen Kultur diese Akteursgruppe und die Rahmenbedingungen ihres Handelns nicht zu ignorieren, sondern aktiv einzubeziehen. Viertens sind Kenntnisse des Porno-Marktes auch für die Sexualpädagogik von Bedeutung, z. B. für eine realistische Einschätzung des Umgangs der Anbietenden mit Fragen des Jugendschutzes.

1 Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag mit dem Titel „The Internet is for Porn. Vermarktung von Pornografie im Internet: eine Branchenperspektive“, gehalten am 15.6.2016 in Tübingen auf dem Fachtag „Alles schon gesehen? Beziehungen und Sexualität Jugendlicher im Internetzeitalter“ an der Universität Tübingen.