Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2017; 14(02): 83-88
DOI: 10.1055/s-0043-105663
Aktuell diskutiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mammakarzinom: BRCA1, BRCA2 und derzeitiger Stand der Multigenanalysen

Rezensent(en):
Eric Hahnen
,
Anke Waha
,
Barbara Wappenschmidt
,
Kerstin Rhiem
,
Rita Schmutzler
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
09. Juni 2017 (online)

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Einleitung

Bei etwa einem Drittel aller Brustkrebspatientinnen ist eine familiäre Häufung von Brust- und/oder Eierstockkrebsfällen oder auch ein sehr junges Ersterkrankungsalter zu beobachten, d. h., es besteht der Verdacht auf eine genetische Prädisposition. Sind die Einschlusskriterien für eine familiäre Risikosituation erfüllt, dann sollte gemeinsam mit der Ratsuchenden im Rahmen einer nichtdirektiven Beratung eine Genanalyse erörtert werden. In 17 % der Brustkrebsfamilien werden ursächliche BRCA1/2-Keimbahnmutationen nachgewiesen [1]. In Familien, in denen zusätzlich zumindest ein Ovarialkarzinom aufgetreten ist, liegt die Mutationsnachweisrate mit 42 % deutlich höher [1]. Durch die Etablierung von Verfahren des „Next Generation Sequencing“ (NGS) werden heute neben BRCA1 und BRCA2 im Rahmen einer „Multigenanalyse“ oder „Paneldiagnostik“ weitere bekannte Risikogene für den erblichen Brust- und Eierstockkrebs untersucht ([Tab. 1]). Die alleinige BRCA1/2-Testung ist nicht mehr zeitgemäß. Allerdings ergeben sich durch Multigenanalysen neue Herausforderungen, die durch assoziierte Forschungsprojekte adressiert werden müssen.

Tab. 1

Risikogene für den erblichen Brust- und Eierstockkrebs und Erkrankungsrisiken für Mutationsträgerinnen.

Gen

Lebenslanges Erkrankungsrisiko für Mutationsträgerinnen

Referenzen

Brustkrebs, in %

Eierstockkrebs, in %

ATM

~30 %

/

[18] [36]

BRCA1

60 – 69 %

35 – 59 %

[3] [4] [36]

BRCA2

50 – 74 %

11 – 17 %

[3] [4] [35]

BRIP1

/

~6 – 8 %

[38]

CDH1

~42 – 53 %

/

[36] [39]

CHEK2

~23 – 29 %

/

[36] [40]

PALB2

~30 – 45 %

/

[31] [36]

RAD51C

/

~10 %

[12] [14]

RAD51 D

/

~10 %

[10]

Für weitere Risikogene, z. B. BARD1, FANCM, MRE11A, NBN, RAD50, RECQL und XRCC2, [12] [21] [22] [23] [24] [27] [35] [36] steht die klinische Validierung noch weitgehend aus. Zusätzlich sind seltene, autosomal dominant erbliche Tumordispositionserkrankungen mit einem erhöhten Risiko für Brust- und/oder Eierstockkrebs assoziiert, darunter das Peutz-Jeghers-Syndrom (STK11), das Li-Fraumeni-Syndrom Typ 1 (TP53), das Cowden-Syndrom (PTEN) sowie das Hereditäre Diffuse Magenkarzinom (CDH1). Das Lynch-Syndrom (HNPCC) ist eine heterogene Tumordispositions-erkrankung, verursacht durch Mutationen in den Mismatch-repair-Genen (MLH1, EPCAM/MSH2, MSH6, PMS2), die neben dem Darmkrebsrisiko ebenfalls das Risiko erhöhen, an einem Ovarial- und Endometriumkarzinom zu erkranken [37]. Sämtliche Risikogene und Kandidatengene werden im Rahmen der TruRisk®-Paneldiagnostik des Deutschen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs untersucht. / = Eine signifikante Assoziation mit dem Phänotyp konnte bisher nicht zweifelsfrei etabliert werden.

Einschlusskriterien für eine familiäre Risikosituation

Zur vereinfachten Identifikation familiärer Risikokonstellationen wurde eine Checkliste entwickelt, die online abrufbar ist unter: www.konsortium-familiaerer-brustkrebs.de/informationen-fuer-aerzte/checkliste-zur-risikoerfassung. Kriterien zur Durchführung einer molekulargenetischen Analyse der Brustkrebsgene BRCA1 und BRCA2 bei einer Indexperson (gem. „Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms“, 2012) sind:

  • Mindestens 3 Frauen aus der gleichen Linie einer Familie sind an Brustkrebs erkrankt (unabhängig vom Alter bei Erstdiagnose).

  • Mindestens 2 Frauen aus der gleichen Linie einer Familie sind an Brustkrebs erkrankt, davon 1 vor dem 51. Lebensjahr.

  • Mindestens 2 Frauen aus der gleichen Linie einer Familie sind an Eierstockkrebs erkrankt.

  • Mindestens 1 Frau ist an Brustkrebs und mindestens 1 Frau an Eierstockkrebs erkrankt oder 1 Frau an Brust- und Eierstockkrebs.

  • Mindestens 1 Frau ist vor dem 36. Lebensjahr an Brustkrebs erkrankt.

  • Mindestens 1 Frau ist an bilateralem Brustkrebs erkrankt, wobei der erste Brustkrebs vor dem 51. Lebensjahr aufgetreten ist.

  • Mindestens 1 Mann ist an Brustkrebs und mindestens 1 Frau an Brust- oder Eierstockkrebs erkrankt.

Gegenstand derzeitiger Diskussionen ist die Erweiterung der Einschlusskriterien für die genetische Testung auf singuläre Fälle mit tripel-negativem Brustkrebs und einem Erkrankungsalter vor dem 50. Lebensjahr sowie auf Fälle mit singulärem Ovarialkarzinom und einem Erkrankungsalter vor dem 80. Lebensjahr. Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) hat dieser Erweiterung für die Zentren des Deutschen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs zum 01.10.2016 zugestimmt.