Dtsch Med Wochenschr 2018; 143(05): 297
DOI: 10.1055/s-0043-106883
Editorial
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Leben mit und nach Krebs

Living With and After Cancer
Jürgen F. Riemann
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Publication Date:
05 March 2018 (online)

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Prof. Dr. med. Jürgen F. Riemann

Immer mehr Menschen sind nach der Diagnose Krebs entweder geheilt oder leben mit einer medikamentösen Therapie lange Zeit bei guter Lebensqualität mit dem Krebs. Die Deutsche Krebsgesellschaft hat zusammen mit der Deutschen Krebsstiftung vor einigen Jahren den „German Cancer Survivors Day“ ins Leben gerufen. Menschen erzählen offen, wie sie ihre Erkrankung erleben, wie sie mit ihren Problemen umgehen, was sie bedrückt. Verständnis erzeugen, aber auch Lücken aufzeigen hilft, Ängste abzubauen. Was kann ich noch erwarten? Was muss, was kann ich selber tun, um mit der Krankheit fertig zu werden. Diese Aktion hat zu einer großen Akzeptanz geführt und das Thema Krebs weiter aus der Tabu-Zone herausgeführt.

Das Dossier in diesem Heft soll einige Aspekte auf dem Weg zu Hilfe und Selbsthilfe aufzeigen. So reduzieren Sport und Bewegung nach vielen Studien das Risiko, an Krebs zu erkranken. Sie sind daher ein essenzieller Teil der Primär- und Tertiärprävention (s. Seite 309). Viele an Krebs erkrankte Menschen empfinden verbesserte körperliche Mobilität als eine wichtige Stütze in der Bewältigung der Erkrankung. Sport und Bewegung helfen nicht nur, das eigene Selbstwertgefühl und die körperlichen Kräfte zu mobilisieren: Gezielte Bewegungsprogramme haben auch einen signifikanten Einfluss auf das Sterberisiko und auf die Toleranz von Problemen wie dem Fatigue-Syndrom oder Nebenwirkungen einer Chemotherapie.

Krebs kann auch als chronische Erkrankung zu außergewöhnlichen psychischen Belastungen führen, die ohne Hilfe mit einem manchmal dramatischen Einbruch ihrer Lebensqualität einhergehen. Probleme im familiären und beruflichen Umfeld sowie psychosoziale Belastungen können sich einstellen. Psychoonkologische Interventionen sind wirksam – die derzeitige psychoonkologische Versorgungssituation ist jedoch nicht ausreichend: Wie der Beitrag ab Seite 316 zeigt, ist es eine Herausforderung, wirksame Versorgungskonzepte weiterzuentwickeln. Evidenz-basierte Therapiekonzepte sind ein Schlüssel zur bedarfsgerechten Versorgung Betroffener.

Verbesserte therapeutische Maßnahmen haben zu einer deutlich längeren Überlebenszeit der Betroffenen geführt. Daher sind Nachsorgeempfehlungen ein wichtiger Bestandteil jeder Krebstherapie. Hier gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen. Die beiden umfassenden Beiträge dazu (s. Seite 324 und 334) zeigen auf, was wichtig und notwendig ist. Die Nachsorge besitzt einen hohen Stellenwert in der Betreuung onkologischer Patienten. Anamnese und klinische Untersuchung stehen dabei ganz im Vordergrund; weitergehende Untersuchungen ergeben sich erst aus der Symptomatik und natürlich aus der Art der Krebserkrankung. Eine Rezidiv-Früherkennung macht grundsätzlich nur dann Sinn, wenn ein erneuter Therapieerfolg erkennbar und dem Betroffenen zumutbar ist.

Viele Menschen mit Krebserkrankungen bedürfen einer medikamentösen Langzeit- oder Dauertherapie; das macht die klinische Abwägung zwischen Nutzen und Risiko z. B. wegen einer Langzeittoxizität immer wieder erforderlich. Für die meisten gastrointestinalen Tumore existieren keine strukturierten Nachsorge-Empfehlungen; sie richten sich im Einzelfall nach Erfahrungswerten. Auch in diesem Kontext ist daher die Forderung nach prospektiv randomisierten Studien zur Nachsorge nur zu berechtigt. Allerdings gibt es gerade für das kolorektale Karzinom anerkannte sinnvolle Kontrollen, die sich im klinischen Alltag bewährt haben und daher auch Eingang in die S3-Leitlinien gefunden haben.