Diabetes aktuell 2017; 15(02): 47
DOI: 10.1055/s-0043-108506
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diabetesbehandlung aus der Hosentasche

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E. H Schwarz
1   Dresden
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Publication Date:
24 April 2017 (online)

Haben Sie das auch schon erlebt, der Patient kommt in Ihre Praxis und zeigt Ihnen verschiedene Apps, mit denen er seine Blutzuckerwerte, seinen Bewegungsalltag, seinen Schlafrhythmus und seine Ernährung dokumentiert? Es ist sehr gut, wenn sich ein Patient mit seiner Gesundheitssituation beschäftigt und auch relevante Gesundheitsdaten dokumentiert. In erster Linie hilft ihm das selbst, da ihm die Dokumentation der Daten ein Feedback gibt und der erste Schritt zu einem verbesserten Selbstmanagement sein kann.

Uns Ärzte stellt die Fülle von Daten vor die Frage, wie man diese sinnvoll nutzen kann und sollte. Google und Facebook sind im Moment sehr schnell damit, entsprechende Algorithmen zur Auswertung der gesammelten Daten zu entwickeln, um neben einem sinnvollen Feedback auch konkrete Empfehlungen zur Lebensstiländerung und in Zukunft sicherlich auch zur Anpassung der Behandlung auszugeben. Lösen Dr. Google und Prof. Facebook uns dann als Ärzte ab? Oder können nicht besser wir uns diese sozialen Netzwerke zunutze machen?

Mit der Entwicklung von Apps und M-Health-Produkten werden meiner Meinung nach im Moment die Grundfeste für eine „Smart Diabetes Strategy“ gelegt. Auch wenn wir der Entwicklung von Apps häufig kritisch gegenüberstehen, bieten sie doch eine bisher nie dagewesene Chance in der Diabetologie – mit ihnen sind wir unseren Patienten, ihrem Alltag und ihrem Lebensstil so nah wie noch nie, mit einer App begleiten wir unsere Patienten quasi direkt in ihrer Hosentasche.

In Zukunft ist es durchaus denkbar, dass Apps viele Daten des Patienten sammeln, die in unseren Smartphones ununterbrochen gespeichert werden. Anhand dieser Daten können eigenständige, sogenannte Gesundheitsroboter „Health Bots“ dem Patienten gezielte Empfehlungen für sein Verhalten geben oder ihm raten, wann er einen Arzt konsultieren sollte. Möglich ist aber auch der umgekehrte Weg: Genauso gut könnten wir über die Apps mit unseren Patienten kommunizieren und auf der Basis der gleichen zur Verfügung stehenden Daten sehr schnell entscheiden, welchen Patienten wir häufiger, welchen aber vielleicht weniger häufig sehen müssen.

Kann das vielleicht sogar die Diabetologie patientennäher, gezielter, einfacher und auch erfolgreicher machen? Ich denke, die Chance ist nie so gut gewesen, wie heute! Diabetes.de hat – wie andere Fachgesellschaften auch – eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich der Bewertung von Apps stellt. Wir müssen es schaffen, einen Qualitätsstandard für digitale Produkte und Apps zu entwickeln, der es dem Patienten einfach macht, die richtigen Produkte auszuwählen. Noch läuft vieles unkoordiniert und einheitliche Bewertungsmaßstäbe fehlen.

Google und Facebook werden den vorgezeichneten Weg zweifellos weiter beschreiten, aber das eigentliche Gehirn, einen solchen Prozess klug zu gestalten, haben wir Mediziner. Wenn wir allerdings schweigen, überlassen wir das Feld den anderen. Und dieses Szenario sieht in meinen Augen nicht sonderlich gut aus. Lassen Sie uns also gemeinsam eine Diskussion über das Für und Wider von Qualitätsstandards und den sinnvollen Einsatz digitaler Produkten starten. Ich glaube, wir sollten all dies in ärztlicher Hand halten und die digitale medizinische Therapie keinesfalls allein den sozialen Netzwerken überlassen.

Fragen Sie doch beim nächsten Mal nach, welche Apps Ihr Patient nutzt. Machen Sie sich ein eigenes Bild. Sie werden erstaunt sein, wie viele Patienten im Alltag Gesundheitsdaten speichern, diese auswerten und vieles, wovon wir in der Diabetologie in puncto Selbstmanagement in den letzten Dekaden geträumt haben, heute schon intuitiv leben!