Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(16): 1253-1254
DOI: 10.1055/s-0043-116194
Facharztfragen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

76-jähriger Mann mit zerebraler Ischämie

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Publication Date:
15 August 2017 (online)

Ein 76-jähriger Mann klagt darüber, dass er plötzlich seinen Arm nicht mehr heben kann. Außerdem hängt der linke Mundwinkel. Die Beschwerden bestehen seit etwa 3 Stunden. Woran denken Sie?
Antwort

Die wahrscheinlichste Ursache ist eine zerebrale Ischämie.

Kommentar

Leitsymptome der zerebralen Ischämie:

  • Lähmungen

  • Sensibilitätsstörungen

  • Bewusstseinsstörungen

Warum sagen Sie zerebrale Ischämie und nicht Apoplex?
Antwort

Weil ich den Verlauf noch nicht kenne.

Kommentar

Apoplex:

Kompletter Hirninfarkt, fehlende oder nur partielle Rückbildung.

Der Patient sagt, so etwas sei bei ihm schon einmal aufgetreten, habe sich aber nach 3 oder 4 Stunden zurückgebildet. Was hatte dann damals vorgelegen?
Antwort

Eine TIA.

Kommentar

TIA:

  • TIA, plötzlicher neurologischer Ausfall auf dem Boden einer zerebralen Durchblutungsstörung

  • komplette Rückbildung innerhalb von 24 h

Und was ist ein PRIND?
Antwort

Eine neurologische Ausfallsymptomatik, die länger als 24 h dauert, aber weniger als 7 Tage.

Kommentar

PRIND:

Prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit.

Cave

Die Terminologie ist uneinheitlich → prolongiert, protrahiert, partiell. Auch die Angaben zur Dauer sind uneinheitlich.

Wie gehen Sie denn nun vor bei dem Patienten, der eine TIA, ein PRIND oder einen Apoplex hat?
Antwort

Ich führe eine Erstversorgung durch und weise ihn dann stationär ein.

Kommentar

Die zerebrale Ischämie ist ein Notfall und sollte stationär behandelt werden.

Was meinen Sie mit Erstversorgung?
Antwort

Es sollte eine Basisdiagnostik erfolgen im Hinblick auf die Vitalfunktionen, insbesondere sollte eine genügende Sauerstoffzufuhr gewährleistet sein, außerdem sollte ein ausreichender Blutdruck bestehen.

Kommentar

Erstversorgung bei zerebraler Ischämie:

  • O2-Versorgung:

    • Sättigung > 95 %

  • Blutdruckstabilität:

    • RR > 120/80 mmHg

  • BZ-Stabilität:

    • BZ 100 – 150 mg/dl

  • bei fieberhaften Temperaturen:

    • Fiebersenkung

Und wenn der Blutdruck zu hoch ist?
Antwort

Einen zu hohen Blutdruck sollte man eher tolerieren. Erst ab > 220 mmHg systolisch oder 120 mmHg diastolisch sollte man vorsichtig behandeln.

Kommentar

RR bei Apoplex:

Häufig reflektorische Blutdruckerhöhung, die sich in den nächsten Stunden oder Tagen spontan normalisiert.

Sie wollen einen venösen Zugang legen, um ggf. Medikamente verabreichen zu können. Wo legen Sie den?
Antwort

In einer peripheren Vene auf der nicht gelähmten Seite.

Cave

Venöser Zugang bei Apoplex in paretischem Arm → Thrombosegefahr!

Sie haben den Mann jetzt erstversorgt. Er ist normoton, die Vitalfunktionen sind stabil. Wo bringen Sie ihn hin?
Antwort

Das hängt von den individuellen Umständen ab und von der bestehenden Krankenhaussituation. Generell ist bei frischen Insulten die Lysetherapie in Erwägung zu ziehen, was die Verlegung auf eine „Stroke Unit“ notwendig macht. Bei V. a. eine intrakranielle Blutung sollte eher eine neurochirurgische Versorgung angestrebt werden.

Kommentar

Stationäre Behandlung bei zerebralem Insult:

  • frisch, < 3h:

    • Stroke Unit, wenn vorhanden

  • älterer Insult, > 3h:

    • neurologische oder internistische Station

  • V. a. Blutung:

    • Neurochirurgie

Wie häufig sind eigentlich hämorrhagische Insulte?
Antwort

Sie sind seltener als ischämische, sie machen etwa 20 % aller Schlaganfälle aus.

Kommentar

Hämorrhagische und ischämische Insulte:

  • hämorrhagische Insulte: 20 % aller Schlaganfälle

  • ischämische Insulte: 80 % aller Schlaganfälle

Um welche Arten von Blutungen handelt es sich dabei?
Antwort

Meistens intrazerebrale Blutungen, z. B. im Rahmen eines entgleisten Hypertonus, aber auch Blutungen unter Antikoagulanzientherapie, seltener sind Subarachnoidalblutungen.

Kommentar

Hämorrhagische Insulte:

  • intrakranielle Blutungen:

    • 15 % aller Schlaganfälle

  • Subarachnoidalblutungen:

    • < 5 % aller Schlaganfälle

  • subdurales Hämatom:

    • selten

Wie bekommen Sie heraus, ob bei dem Patienten eine Ischämie oder eine Hämorrhagie vorliegt?
Antwort

Das kann sehr schwierig oder klinisch unmöglich sein. Hinweise für eine Blutung sind ein bekannter entgleister Hypertonus und eine bestehende Antikoagulanzientherapie. Bei der seltenen Subarachnoidalblutung stehen der Kopfschmerz und der Meningismus im Vordergrund. Das subdurale Hämatom entwickelt sich relativ langsam.

Kommentar

Differenzierung zwischen hämorrhagischem und ischämischem Insult:

  • Anamnese:

    • Antikoagulation

    • Kopfschmerz, Meningismus (Subarachnoidalblutung)

    • langsamer Beginn (subdurales Hämatom)

  • CT/MRT:

    • obligatorisch durchzuführen

Wo wir gerade bei Differenzialdiagnosen sind. Welche weitere Differenzialdiagnose beachten Sie beim klinischen Bild Apoplex?
Antwort

Tumoren, Krampfanfälle, Migräne, u. U. auch die Enzephalitis, Trauma, Abszess.

Kommentar

Differenzialdiagnose des zerebrovaskulären Insults:

  • Tumoren

  • Krampfanfälle

  • Migräne

  • Trauma

  • Enzephalitis

  • Abszess

  • Intoxikation

  • Hypoglykämie

  • hypertensive Krise

Sie haben nicht den Eindruck, dass eine Blutung vorliegt. Der Mann ist sonst in recht gutem körperlichem Allgemeinzustand, wo schicken Sie ihn jetzt hin?
Antwort

Falls möglich, schicke ich ihn zur Stroke Unit zur Prüfung der Indikation einer Lysetherapie.

Kommentar

Grundsätzliche Therapiemöglichkeiten bei zerebralem Insult:

  • konservativ

  • Lyse

  • Operation

In der Laien- und Fachpresse wird ja immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig die Lysetherapie ist. Wird diese eigentlich oft durchgeführt?
Antwort

Nein, sehr selten.

Kommentar

In maximal 2 % aller Schlaganfallsituationen wird eine Lysetherapie durchgeführt.

Und woran liegt das?
Antwort

An dem kleinen Zeitfenster, das zur Verfügung steht, und an den zu beachtenden Kontraindikationen.

Kommentar

Die Ischämietoleranz des Gehirns ist sehr klein (2 – 3 h).

Merke

Hauptproblem der Lysetherapie bei der zerebralen Ischämie → kleines Zeitfenster.

Und welche Kontraindikationen müssen beachtet werden?
Antwort

Die schon erwähnte Zeitspanne, die seit dem Eintreten der Symptomatik vergangen ist. Außerdem sollte bei sehr leichten oder sehr schweren Formen keine Lysetherapie durchgeführt werden. Weitere Kontraindikationen sind Gerinnungsstörungen und vorausgegangene apoplektische Insulte.

Kommentar

Kontraindikation der Lysetherapie:

  • Zeit:

    • mehr als 3 h seit Beginn der Symptomatik

  • Verlauf/Schweregrad:

    • nur geringe Symptomatik

    • schwere Symptomatik mit Bewusstseinstrübung

    • spontane Besserung im Verlauf

  • Gerinnungsstörung:

    • Marcumar-Behandlung

    • Thrombozyten < 100 000/µl

  • Vorausgegangener Apoplex:

    • während der letzten 3 Monate

  • Unkontrollierter Hypertonus:

    • RR > 185/110 mmHg

  • Operation:

    • innerhalb der letzten 3 Monate

Welche Untersuchung muss obligatorisch vorher durchgeführt werden?
Antwort

Ein kraniales Computertomogramm (CCT).

Kommentar

Diagnostik vor Lyse:

CCT/MRT zum Ausschluss einer Blutung.

Nach: Berthold Block,

Facharztprüfung Innere Medizin,

3000 kommentierte Prüfungsfragen.

5., vollständig überarbeitete Auflage 2017

ISBN 9783 131 359 551