Z Gastroenterol 2017; 55(10): 1069-1070
DOI: 10.1055/s-0043-120007
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Was wurde erreicht, was geht besser, was erwarten Patienten?

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Publication Date:
11 October 2017 (online)

Seit 1. Oktober 2017 besteht das Programm zur gesetzlichen Darmkrebsfrüherkennung nun 15 Jahre. Am 1.10.2002 trat es – grundlegend überarbeitet – in Kraft. Neben dem Stuhltest auf okkultes Blut (FOBT) wurde für alle Bürger über 55 Jahre die Vorsorgekoloskopie erstmalig und damals weltweit einzigartig in die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen.

Was war die Grundlage der Empfehlung? Fall-Kontroll-Studien in den USA, insbesondere die der National Polyp Study unter Leitung von Sidney Winawer, hatten gezeigt, dass die Abtragung von Polypen (Adenome = Darmkrebsvorstufen) bei einer Koloskopie die Entstehung von Darmkrebs um 70 bis 90 Prozent in den nächsten Jahren reduzieren kann. Auch die Teilkoloskopie (Sigmoidoskopie) senkt die Rate von linksseitigem Darmkrebs. Diese Evidenz, aufbereitet durch ein Gutachten der DGVS (W. Schmiegel, C. Pox, J. Riemann), überzeugte den Gesetzgeber, dieses weltweit innovative Programm zu implementieren. Damit wurde die S3-Leitlinie zum Dickdarmkrebs aus dem Jahre 1999 (erstellt durch DGVS, Deutsche Krebsgesellschaft und andere wissenschaftliche Fachgesellschaften) in die Tat umgesetzt (Schmiegel W. Z Gastroenterol 2016; 54: 521 – 522).

Heute können wir feststellen: Obwohl das Darmkrebsfrüherkennungsprogramm nur als opportunistisches implementiert wurde, nützt es. Die Morbidität und Mortalität des Darmkrebses sinkt. Daten aus dem Robert Koch-Institut (RKI) zeigen, dass die jährliche Inzidenz des Darmkrebses, die bis 2003 ansteigend war, seit dieser Zeit um ca. 14 Prozent gefallen ist, d. h. ca. 40 000 Darmkrebstote konnten seit dieser Zeit vermieden werden. Die Arbeitsgruppe um Hermann Brenner aus Heidelberg konnte darüber hinaus kürzlich zeigen, dass aufgrund der Analysen der Ergebnisse der Vorsorgekoloskopien in den ersten zehn Jahren vermutlich bis zu 180 000 Karzinome durch diese Untersuchung verhindert werden konnten. (Brenner H et al. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 101 – 106)

Die Einführung der Vorsorgekoloskopie hat zur erheblichen Verbesserung der Struktur- und Ergebnisqualität dieser Leistung beigetragen. So wurden Mindestmengen für Koloskopien und Polypektomien pro Zentrum festgelegt, regelmäßige, verbindliche Hygienekontrollen eingeführt und eine Verpflichtung zur Dokumentation der Untersuchung und der Ergebnisse einschließlich der Histologie auf einem standardisierten Formblatt vorgeschrieben.

Diese Untersuchungsergebnisse wurden und werden jährlich vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) erfasst und ausgewertet. Jedes Zentrum erhält einen Feedback-Bericht und kann die eigene Qualität mit der Gesamtkohorte vergleichen. Gleichzeitig bietet die Datenbank des ZI die weltweit größte Datenmenge zu den Ergebnissen der Vorsorge. Diese wurden und werden international publiziert (Pox CP et al. Gastroenterology 2012; 142: 1460 – 1467). Die Ergebnisse zeigen: Bei ca. jedem Hundertsten Teilnehmer (0,9 %) findet sich bei der Vorsorgekoloskopie schon ein manifestes Karzinom, bei 19,4 % werden Darmkrebsvorstufen (Adenome) entfernt. Die Daten des ZI belegen gleichzeitig, dass die Untersuchung sicher ist und nur sehr selten ernsthafte Komplikationen auftreten. Diese Untersuchungen werden von regionalen Nachbefragungen bei Patienten oder Analysen von Krankenkassen gestützt.

Um die Akzeptanz der Untersuchung für Krankenversicherte zu erhöhen, haben die Untersucher den Komfort der Darmspiegelung durch Einführung einer Sedierung, zumeist mit Propofol, erhöht. Deshalb kann die Untersuchung schmerzfrei gestaltet werden. Manche Menschen leiden nach der Koloskopie an einem Blähbauch. Durch Einsatz von CO2-Gas bei der Untersuchung können die Beschwerden weitestgehend vermieden werden. Was noch fehlt ist die „gut schmeckende“ Lösung zur Darmspülung!

Wesentlich mit zur Akzeptanz der Darmkrebsvorsorge haben auch die Felix-Burda-Stiftung unter Leitung von Frau Dr. Maar und die Stiftung Lebensblicke von Prof. Riemann durch ihre kontinuierliche und unermüdliche Aufklärung von Bürgern und Motivation von Ärzten beigetragen. Letzteren kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Ihnen vertrauen Bürgern bei der Beratung – trotz Medien und Internet – weiterhin am meisten.

Bis heute dürften sich mehr als 25 Prozent der Anspruchsberechtigten einer Vorsorgekoloskopie unterzogen haben. Da es das erklärte Ziel ist, die Todesrate an Darmkrebs weiterhin zu verringern, muss die Teilnehmerrate an Vorsorgemaßnahmen erhöht werden. Deshalb wurde als Ergebnis des Nationalen Krebsplans schon 2013 das Krebsfrüherkennungs- und Registergesetz (KFRG) verabschiedet. Dieses sieht ein Einladungsverfahren für alle Versicherten zur Teilnahme an der Darmkrebsfrüherkennung vor. Eingeladen werden soll zur Beratung durch einen Arzt, zur Teilnahme an einem Stuhltest oder zur Vorsorgekoloskopie (dem sensitivsten Verfahren der Darmkrebsvorsorge!) Leider hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) das KFRG noch nicht in die Tat umgesetzt, obwohl der Gesetzgeber dies für 2016 gefordert hatte!

Dass eine Steigerung der Teilnahme an der Darmkrebsvorsorge durch ein Einladungsverfahren gelingen kann und effektiv ist, das haben verschiedene Pilotprojekte von Krankenkassen gezeigt. Die Teilnehmerrate konnte um 50 bis 150 Prozent gesteigert werden mit der Folge: Darmkrebsvorstufen werden während der Koloskopie entfernt und – falls schon ein Darmkrebs festgestellt wird – kann dieser z. T. direkt endoskopisch entfernt oder zumeist heilend operiert werden (Hoffmeister M et al. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 87 – 93. Stratmann K et al. Poster während des DGVS-Kongresses 2017 in Dresden).

Die Niederländer zeigen uns gerade, wie ein Darmkrebsvorsorgeprogramm effektiv gestaltet werden kann: durch ein Einladungsverfahren, bei dem direkt ein immunologischer Stuhltest (iFOBT) mit verschickt wird. Ca. 75 Prozent der angeschriebenen Versicherten haben den Stuhltest an Labors zurückgesendet. Alle Bürger mit positivem Ergebnis wurden zur Koloskopie eingeladen (Toes-Zoutendijk E et al. Gastroenterology 2017; 152: 767 – 775)!

Auch in Deutschland ist seit dem 1.4.2017 der iFOBT in die Regelversorgung eingeführt worden. Er verspricht eine höhere Sensitivität und Spezifität für Darmkrebsvorstufen und Frühformen von Darmkrebs als der bisherige Guajak-Test. Diese Neueinführung ist aber noch nicht mit einem Einladungsverfahren oder einer Qualitätssicherung verbunden.

Was in Deutschland nötig ist: die Implementierung eines Einladungsverfahrens, das alle Bürger ausführlich über die Vorsorge berät und motiviert mit dem Ziel, einen Stuhltest oder eine Vorsorgekoloskopie durchführen zu lassen. Die Teilnahmerate, die Ergebnisse und der Outcome müssen in nationalen Datenbanken und Krebsregistern zusammengefasst und ausgewertet werden. Die kontinuierliche Effizienzmessung und die Anpassung des Vorgehens sind nötig zur Umsetzung des Zieles: die Mortalität an Darmkrebs zu minimieren.

In diesem Zusammenhang stellen sich zusätzlich zwei Fragen:

  • Ist es sinnvoll, bei Männern mit der Einladung zur Vorsorgekoloskopie früher zu beginnen, da Männer früher Adenome entwickeln und häufiger Darmkrebs entwickeln als Frauen? Für ein solches Vorgehen gibt es erste wissenschaftliche Ergebnisse (Brenner H et al. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 94 – 100)!

  • Wie können Bürger mit familiär bedingtem Darmkrebsrisiko besser angesprochen werden? Das Risiko für solche Menschen, selbst an Darmkrebs zu erkranken, ist gegenüber der Normalbevölkerung um das Zwei- bis Vierfache erhöht. Der Berufsverband niedergelassener Gastroenterologen (bng) hat unter der Schirmherrschaft der Stiftung LebensBlicke ein personenbezogenes Projekt initiiert. Eine wissenschaftliche Auswertung soll das Projekt begleiten (ÄrzteZeitung, 30.6.2017, Beilage Innovations in Oncology X).

Dr. Dietrich Hüppe und Dr. Jens Aschenbeck (Sprecher der Fachgruppe Kolorektales Karzinom im bng)