Zusammenfassung
Das Innenohr und die Hörbahn mit ihren vergleichsweise geringen Zellzahlen haben sich
einigen molekularen Ansätzen bislang beharrlich entzogen. Gleichzeitig vollbringt
das Hören Spitzenleistungen, die sehr spezialisierte biologische Mechanismen nahelegen.
Dies bedeutet einerseits, dass Analogieschlüsse zur molekularen Anatomie und Physiologie
der Zellen des Hörsystems auf der Grundlage von Erkenntnissen aus molekular besser
zugänglichen Systemen von beschränktem Nutzen sind. Andererseits legt eine solche
Spezialisierung Gendefekte nahe, die von der Evolution toleriert wurden, weil sie
nicht zur Fehlfunktion von essentiellen Körperprozessen führen. Technologische Fortschritte
in der Humangenetik und der molekularen Analyse des Innenohrs im Tier bestätigen beide
Annahmen und beleuchten den faszinierenden Mikrokosmos der Cochlea. Auf kleinstem
Raum werden hier in konsequenter Arbeitsteilung herausragende Leistungen im Ionentransport,
der Mechanotransduktion, der aktiven Zellmotilität und der synaptischen Verarbeitung
erbracht. Einige der zugrundeliegenden molekularen Maschinen, z. B. das Motorprotein
Prestin und das an synaptischer Fusion beteiligte Otoferlin, sind ausschließlich im
Ohr aktiv. Dementsprechend führen ihre Defekte zu spezifischen nicht-syndromalen Schwerhörigkeiten,
wie etwa bei der auditorischen Synaptopathie durch autosomal rezessive Mutationen
im Otoferlin-Gen. Andere Mutationen, wie die den cochleären Kalium-Zyklus betreffenden,
bedingen einen globalen Funktionsverlust der Cochlea. Viele genetische Defekte führen
schließlich zur Degeneration des Innenohrs. Letztlich führt die molekulare Analyse
sowohl beim Menschen, als auch im Tier-Innenohr aber auch zu neuen Erkenntnissen für
häufige Formen der Schwerhörigkeit. So wurde der immunhistochemische Nachweis des
Verlusts von Bandsynapsen der inneren Haarzellen zum Biomarker für „hidden hearing
loss“ im Tiermodell. Die moderne Hochdurchsatz-Sequenzierung (sog. Next Generation Sequencing – NGS) bietet Zugang zu bislang nicht bekannten Taubheitsgenen, Mutationsspektren
von bekannten Taubheitsgenen und zu einem genetischen Profil der individuellen Schwerhörigkeit,
ihre Interpretation erfordert jedoch große humangenetische Expertise und umfangreiche
tierexperimentelle Einsichten. Eine kausale Therapie etwa durch viralen Genersatz,
der im Tier-Innenohr und bei einzelnen Formen der humanen Blindheit bereits erfolgreich
ist, steht für die Schwerhörigkeit in der Klinik noch nicht zur Verfügung. Bereits
jetzt ermöglichen molekulare Ansätze aber schon eine verbesserte Beratung von schwerhörigen
Patienten.
Schlüsselwörter
Cochlea - Schwerhörigkeit - Genetik - Molekularer Mechanismus - Tiermodell - Therapie