Geburtshilfe Frauenheilkd 2023; 83(06): 738
DOI: 10.1055/s-0043-1768842
Abstracts | BGGF & OEGG 2023
Poster
Gynäkologische Onkologie

ZKI-basierte Auswertung von Real-World-Daten neoadjuvant vorbehandelter Patientinnen mit Zervixkarzinom

Authors

  • M Troidl

    3   Frauenklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg
  • M Bittrich

    1   Medizinische Klinik und Poliklinik II, Universitätsklinik Würzburg
  • F Puppe

    2   Lehrstuhl für Informatik VI, Universität Würzburg
  • M Krebs

    4   CCC, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg
  • J Krebs

    2   Lehrstuhl für Informatik VI, Universität Würzburg
  • T Schlaiß

    3   Frauenklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg
 

Einleitung Natürliche Sprachverarbeitung (Natural Language Processing, NLP) umfasst eine Teildisziplin der künstlichen Intelligenz, die natürliche Sprache durch einen computerbasierten Algorithmus verarbeitet. So können Informationen aus unstrukturierten, narrativen Texten wie ärztlichen Dokumenten automatisiert extrahiert werden [1]. NLP wird bereits in vielen klinischen Bereichen angewandt. Bislang ist die Forschung über den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Allgemeinen oder spezifisch die NLP betreffend beim Zervixkarzinom limitiert.

Ziel dieser Arbeit ist die NLP-unterstützte Durchführung einer retrospektiven Studie zum Einsatz neoadjuvanter Chemotherapie bei der Behandlung des Zervixkarzinoms. Aktuell stellt diese Therapieoption keinen Standard dar [2].

Material und Methodik Die Anwendung einer NLP basiert auf der Erstellung einer umfassenden Ontologie, respektive einer hierarchisch organisierten Wissensdatenbank mit allen relevanten Parametern zur Klinik des Zervixkarzinoms [1]. Für die Durchsicht der medizinischen Befunde wurde ein regelbasiertes Informationsextraktionssystem (A rule based information extraction system; ARIES) eingesetzt [3]. Die NLP wurde an zufällig ausgewählten medizinischen Befunden trainiert und anschließend in ihrer Leistungsfähigkeit evaluiert. Um die Leistungsfähigkeit des NLP-Algorithmus zu überprüfen, werden die Messgrößen Recall, Precision und F1 Score zur Evaluation herangezogen [4]. Die Precision oder auch positiver prädiktiver Wert gibt den Anteil der korrekt als positiv klassifizierten Ergebnisse bezogen auf die Gesamtheit aller als positiv vorhergesagten Ergebnisse an. Der Recall, auch bezeichnet als die Sensitivität oder Hit Rate, gibt den Anteil der korrekt als positiv klassifizierten Ergebnisse bezogen auf die Gesamtheit der tatsächlich positiven Ergebnisse an. Der F1 Score bildet das harmonische Mittel der beiden Werte [1].

Es wurden 17 Patientinnen identifiziert, die im Rahmen der Therapie des Zervixkarzinoms eine neoadjuvante Chemotherapie erhalten haben (NACT-Gruppe). Mithilfe des Propensity Score Matchings (PSM) wurde eine repräsentative Kontrollkohorte von 34 Patientinnen definiert (KTRL-Gruppe). Das PSM soll systematisch auftretende Unterschiede bekannter und unbekannter Merkmale beider Gruppen minimieren [5]. Die insgesamt 51 Patientinnen erhielten die Erstdiagnose Zervixkarzinom im Zeitraum 2013-2021. Die klinische Datenextraktion wurde durch die NLP und soweit notwendig manuell über SAP und OnkoStar unterstützt.

Die Datenauswertung fand mit Microsoft Excel Version 2208R für Microsoft, GraphPad Prism 9.4.1 für Microsoft und R Version 4.2.1 für Microsoft statt.

Ergebnisse Die NLP zeigt in der Evaluation eine Precision von 0,96, einen Recall von 0,93 und einen F1 Score von 0,95.

Innerhalb der NACT-Gruppe erhielten insgesamt 13 Patientinnen eine adjuvante Radiochemotherapie, eine adjuvante Chemotherapie, eine palliative Systemtherapie oder eine Kombination dieser Therapieoptionen. Von den 17 Patientinnen der NACT-Gruppe wurden bei 15 (88%) unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) aufgrund der Toxizität der Chemotherapie beschrieben. Innerhalb der KTRL-Gruppe erhielten 17 der insgesamt 34 Patientinnen eine adjuvante Radiochemotherapie, eine adjuvante Chemotherapie, eine palliative Systemtherapie oder eine Kombination dieser Therapieoptionen. Bei 8 dieser Patientinnen (47%) der KTRL-Gruppe wurden Toxizitätskriterien apparent. Klinische Symptome aufgrund der Toxizität der Chemotherapie traten innerhalb der NACT-Gruppe signifikant häufiger auf (p-Wert: 0,03; KI 95%).

Als besten Remissionsstatus erreichten 4 Patientinnen (24%) der NACT-Gruppe die komplette Remission, 10 Patientinnen (59%) die partielle Remission und drei Patientinnen (18%) erhielten den Status einer stabilen Erkrankung. Innerhalb der KTRL-Gruppe erzielten 6 Patientinnen (35%) den Status einer kompletten Remission, 5 Patientinnen (29%) erreichten eine partielle Remission. Eine Patientin (6%) zeigte weder eine komplette noch partielle Regression im Sinne einer stabilen Erkrankung. 3 Patientinnen (18%) zeigten eine progrediente Erkrankung. Bei zwei Patientinnen (12%) standen keine entsprechenden Angaben zur Verfügung. Die NACT-Gruppe erreichte eine Objective Response Rate (ORR) von 82%, die KTRL-Gruppe 65%.

Das progressionsfreie Überleben (Progression Free Survival, PFS) der NACT- Gruppe war im Median 8,5 Monate, das Gesamtüberleben 12,5 Monate länger als das der KTRL-Gruppe. Die Unterschiede sowohl im PFS (p-Wert 0,29; KI 95%) als auch im OS (p-Wert 0,43; KI 95%) waren nicht signifikant. Das Hazard Ratio für ein Versterben von Patientinnen der NACT-Gruppe im Vergleich zu Patientinnen der KTRL-Gruppe betrug 0,59. Im lokal fortgeschrittenen Stadium (FIGO IB3-IVA) betrug das Hazard Ratio der NACT-Gruppe 0,42.

Zusammenfassung Es wurde ein umfassendes NLP-System erstellt, die Leistungsfähigkeit überzeugt mit einem F1-Score von 0,95. Die NLP kann durch automatisierte Datenextraktion manuellen Aufwand und Ressourcen bei der Durchführung klinischer Studien verringern. Eine wesentliche Einschränkung unserer NLP besteht in der Implementierung unserer Ontologie auf ausschließlich deutsche Texte von Patientinnen, die am Universitätsklinikum Würzburg behandelt wurden. Zukünftige Arbeiten müssen sich darauf konzentrieren, bestehende Daten und mehrsprachige Ressourcen zu nutzen, um die NLP-Nutzung in einem breiteren klinischen Kontext zu optimieren [6].

Bezüglich des klinischen Outcomes bei neoadjuvant vorbehandelten Patientinnen zeigt sich ein ambivalentes Bild. Patientinnen der NACT-Gruppe präsentieren im lokal fortgeschrittenen Stadium ein geringeres Hazard Ratio für einen Progress (0,45) bzw. ein Versterben (0,42) im Vergleich zur Kontrollgruppe. Neoadjuvant vorbehandelte Patientinnen zeigen außerdem eine bessere ORR (82%) im Vergleicht zur KTRL-Gruppe (65%). Aufgrund der Toxizität der Chemotherapie zeigen die Patientinnen nach der Neoadjuvanz ein statistisch signifikantes Auftreten von UAW.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
06. Juni 2023

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