Adipositas - Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie 2023; 17(03): 153
DOI: 10.1055/s-0043-1771602
Abstracts
Vorträge

Individualisierte Vorhersage von Essanfällen basierend auf ambulanten Daten: Item-Entwicklung und Pilotstudie bei Patientinnen mit Bulimia Nervosa und Essanfallstörung

A.-K. Arend
1   Paris-Lodron-Universität Salzburg, Abteilung für Gesundheitspsychologie, Salzburg
,
T. Kaiser
2   Freie Universität Berlin, Abteilung für Bildung und Psychologie, Berlin
,
B. Pannicke
1   Paris-Lodron-Universität Salzburg, Abteilung für Gesundheitspsychologie, Salzburg
,
J. Reichenberger
1   Paris-Lodron-Universität Salzburg, Abteilung für Gesundheitspsychologie, Salzburg
,
S. Naab
3   Schön Klinik Roseneck, Prien am Chiemsee
,
U. Voderholzer
3   Schön Klinik Roseneck, Prien am Chiemsee
5   Universitätskrankenhaus Freiburg, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Freiburg
,
J. Blechert
1   Paris-Lodron-Universität Salzburg, Abteilung für Gesundheitspsychologie, Salzburg
› Author Affiliations
 

Einleitung Die Prävention von Essanfällen durch mobile, zeitlich genaue, adaptive Interventionen (JITAIs; Just-in-Time Adaptive Interventions) erfordert die genaue Vorhersage entsprechender Hochrisikozeiten, z.B. durch vorausgehende affektive Zustände oder assoziierte Kontexte. Die prädiktiven Faktoren und Zustände sind jedoch hochgradig idiographisch, sodass Modelle, die auf Durchschnittswerten über Individuen hinweg basieren, oft ungenaue Vorhersagen für einzelne Individuen produzieren.

Methoden Mittels Literaturanalyse und einer Fokusgruppe mit Essstörungspatientinnen (N=11) entwickelten wir Smartphone-basierte Fragebögen zur ambulanten Erhebung einer breiten Palette potenzieller idiographischer Prädiktoren von Essanfällen. Patientinnen mit Bulimia Nervosa und Essanfallstörung wurden für 14 Tage sechsmal pro Tag aufgefordert, diese Smartphone-basierten Fragebögen auszufüllen. Dann wurde ein korrelationsbasierter maschineller Lernalgorithmus verwendet, um sparsame, idiographische Prädiktor-Subsets auszuwählen, die das Auftreten von Essanfällen aus den idiographischen, ambulanten Daten vorhersagen.

Ergebnisse Im Durchschnitt wurden 67.3 (SD=13.4; Bereich 44-84) ambulante Beobachtungen pro Teilnehmerin (N=13) analysiert. Die idiographischen Item-Subsets sagten Essanfälle im Durchschnitt mit hoher Genauigkeit voraus (mittlere AUC=.80; mittleres KI [0.63, 0.95]; mittlere Spezifität=.87; mittlere Sensitivität=.85; mittlere maximale Reliabilität von r D=.52; mittlerer kreuzvalidierte maximale Reliabilität von r CV=.17). Für die einzelnen Patientinnen ergaben sich sehr heterogene Prädiktor-Subsets unterschiedlicher Größe (M=7.31, SD=1.49, Bereich 5–9).

Schlussfolgerung Die Vorhersage von Essanfällen durch psychologische und kontextuelle Prädiktoren erscheint also möglich. Allerdings waren die Prädiktoren hoch idiographisch. Dies hat praktische Auswirkungen auf mHealth- und JITAI-Ansätzen: Theorien, die Essanfälle idiographisch genau vorhersagen wollen, müssen der hohen Variabilität zwischen Personen Rechnung tragen und eine weitere Bandbreite potenzieller Prädiktoren einbeziehen. Letztendlich scheint auch eine radikale Abkehr von rein nomothetischen, hin zu idiographischen Vorhersagemodellen und Theorien nötig.



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Article published online:
06 September 2023

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