GGP - Fachzeitschrift für Geriatrische und Gerontologische Pflege 2018; 02(02): 54-55
DOI: 10.1055/s-0044-101762
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wer bestimmt eigentlich, was ein Zuhause ist und wie wir im Alter leben?

Sabine Hindrichs
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Publication Date:
13 April 2018 (online)

My home is my castle!

Die Redewendung „My home is my castle!“ sagt uns, dass die Wohnung, in der wir leben, mehr ist als ein Ort, an dem wir uns gerade aufhalten und der uns ein Dach über dem Kopf gibt. Sie schützt, ist Rückzugs- und Erholungsort. Sie ist unser Zuhause, gibt uns Identität und Heimat.

Erinnern Sie sich noch, wie es war, als Sie Ihre erste eigene Wohnung hatten? Was waren dabei Ihre Gefühle? Freiheit! Endlich waren Sie Ihr eigener Herr, es konnte Ihnen keiner mehr Vorschriften machen, was Sie zu tun oder zu lassen hatten, wann Sie aufstehen oder zu Bett gehen sollten. Das Wochenende im Schlafanzug verbringen oder eine Wand knallrot streichen, alles war möglich.

Was heißt das nun eigentlich, zu Hause zu sein, sich zu Hause zu fühlen? Spielt dabei das Alter eine Rolle, wo und wie man sich zu Hause fühlt? Hat unsere Kultur Auswirkungen auf das Sich-zu-Hause-Fühlen? Ist die individuelle Lebens- und Wohngeschichte eines Menschen der wichtigste Einflussfaktor für ihn, wo er sich zu Hause fühlt?

Andererseits sind wir so mobil wie noch nie. Sind als „Reiseweltmeister“ in der Welt zu Hause und nehmen unser Zuhause dorthin mit, wo wir Arbeit finden.

Und warum geht es uns im Urlaub oft so, dass wir uns sofort heimisch fühlen, wie wenn wir schon ewig dort leben würden? Das Hotelpersonal, der Kellner im Restaurant, der Barkeeper oder der Reiseführer werden zu Freunden auf Zeit, fast zur Ersatzfamilie.

Ist man also dort zu Hause, wo man sich willkommen und angenommen fühlt?

In der Langzeitpflege haben wir uns das große Ziel gesetzt, Menschen ein Zuhause zu geben. Es steht in unseren Leitbildern und die Flyer und Werbebroschüren unserer Einrichtungen versprechen es in Wort und Bild. Aber ist dieses Ziel überhaupt realistisch und erreichbar? Ist es überhaupt möglich, unabhängig von Alter, Lebens- und Wohngeschichte, familiären Zusammenhängen und der Kultur die Aussage zu treffen, dass jede pflegebedürftige Person bei uns ihr Zuhause finden wird?

Warum versprechen wir pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen, dass sie bei uns ein neues Zuhause finden und legen darüber hinaus als Qualitätsziel fest, dass wir uns genau daran messen lassen wollen? Da muss man sich nicht wundern, dass durch Prüfbehörden Kriterien entwickelt werden, um das Wohlfühlen und das Gefühl, zu Hause zu sein, überprüfbar zu machen und dass die Ergebnisse nicht immer mit unseren Versprechungen übereinstimmen.

Mit dem Tatbestand der Pflegebedürftigkeit drohen Menschen anscheinend alles das zu verlieren, was wir uns einst mit unserer ersten eigenen Wohnung erkämpft haben. Die Verantwortung für ihre eigene Lebensgestaltung nehmen wir ihnen aus gut gemeinten Motiven ab. Heißt demnach, pflegebedürftig zu sein, das Ende von Selbstbestimmung, der Entscheidung, wie und in welcher Form ich lebe, und dass andere bewerten, wie ich mich dabei zu fühlen habe und ob dies den Qualitätsstandards entspricht?

Ich finde es ganz schön vermessen, wie tiefgreifend die Einmischungen in den ganz privaten Bereich von pflegebedürftigen Personen in der Praxis sind. Haben wir das Recht, zu entscheiden, was z. B. eine Person isst oder trinkt, in welchen Mengen und zu welcher Uhrzeit? Wann sie zu Bett geht, wieder aufsteht und in welchen Wohnverhältnissen sie lebt? Im Rahmen der Informationssammlung erheben wir mit der Biografiearbeit die intimsten Details aus dem Leben des pflegebedürftigen Menschen und machen diese Information auch noch möglichst vielen Menschen zugänglich.

Pflegebedürftigkeit heißt nicht nur Verlust von Gesundheit und Funktionen des eigenen Körpers, sondern meist leider auch Verlust der sozialen und gesellschaftlichen Selbstbestimmung und Integrität. Da ist die Angst jedes Pflegebedürftigen, sein Zuhause verlassen zu müssen und in eine Langzeitpflegeeinrichtung übersiedeln zu müssen, mehr als verständlich.

Aber was können wir tun, damit Menschen diese Angst überwinden und in unseren Einrichtungen heimisch werden? Wenn wir es mit dem personzentrierten Ansatz ernst meinen, dann müssen wir Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen als Erstes zuhören und das, was sie uns erzählen, ernst nehmen, auch die Ängste, Wut, Enttäuschungen. Dies ist der erste Schritt, um ihnen ein Zuhause zu geben. Wir werden es dann aber auch aushalten müssen, dass jemand nur einmal in der Woche duschen will, dass er morgens um halb sechs oder erst mittags um halb eins aufstehen und frühstücken will. Dann werden auch der Lieblingssessel und die Bilder der Angehörigen das Heimatgefühl vermitteln.

Der erste Schritt in Richtung Heimat beruht auf der Haltung und dem Handeln, die mir entgegengebracht werden.

Ihre

Sabine Hindrichs
sabine@hindrichs-pflegeberatung.de