Dtsch Med Wochenschr 2018; 143(06): 432-433
DOI: 10.1055/s-0044-102199
Facharztfragen
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Auffällige Laborwerte

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
15. März 2018 (online)

Bitte beschreiben Sie, was Ihnen an folgendem Blutbild und den anderen Laborwerten auffällt.
  • Hb 10,9 g/dl (Norm: 12 – 16)

  • Erythrozyten 5,94 × 1012/l (Norm: 3,9 – 5,4)

  • MCV 60,6 fl (Norm: 85 – 98)

  • MCH 19,4 (Norm: 28 – 34)

  • Fe 1350 µg/dl (Norm: 50 – 150)

  • Ferritin normal

  • Leukozyten 7500/µl

  • Thrombozyten 150 000/µl

Antwort

Es besteht eine hypochrome mikrozytäre Anämie. Die Erythrozytenzahl ist relativ hoch, Leukozyten und Thrombozyten sind normal. Das Serumeisen ist hochnormal.

Kommentar

Bitte beachten Sie folgende Konstellation:

  • hypochrome mikrozytäre Anämie

  • normales oder erhöhtes Serumeisen

  • hohe Erythrozytenzahl

Warum glauben Sie, dass es sich um eine heterozygote Form der β-Thalassämie und nicht um eine homozygote Form handelt?
Antwort

Bei homozygoter Form wäre eine schwere hypochrome mikrozytäre Anämie zu erwarten.

Kommentar

Homozygote Form der Thalassämie:

  • schwere hypochrome mikrozytäre Anämie

  • Knochenmarkhyperplasie mit entsprechenden Skelettveränderungen

  • Hämosiderose mit konsekutiven Organschäden

Wie wird die Diagnose einer Thalassämie gesichert?
Antwort

Durch die Hämoglobinelektrophorese.

Kommentar

Der Thalassämie liegt eine genetisch bedingte quantitative Hämoglobinsynthesestörung zugrunde. In der Hämoglobinelektrophorese sieht man eine Erhöhung des HbA2 und in 50 % der Fälle auch des HbF.

Was teilen Sie dem Patienten mit?
Antwort

Es besteht eine heterozygote Form der Thalassämie, keine Einschränkung der Lebenserwartung.

Kommentar

Berücksichtigung der Erkrankung bei der Familienplanung!

Wie beurteilen Sie die Prognose der homozygoten Thalassämie?
Antwort

Schlecht.

Kommentar

Therapie und Prognose der homozygoten Thalassämie:

  • Unbehandelt:

    • Tod bereits in der Kindheit (Hämosiderose, Kachexie)

  • Symptomatische Behandlung:

    • Erythrozytensubstitution mit gleichzeitiger Elimination von Eisen durch eine Deferoxaminbehandlung

    • Lebenserwartung trotzdem schlecht, häufig Tod im jungen Erwachsenenalter

  • Knochenmarktransplantation:

    • kann ein HLA-identischer Spender (HLA: humanes Leukozytenantigen) (Geschwister) gefunden werden, günstige Prognose

Wir haben über die Thalassämie gesprochen, eine Hämoglobinopathie. Kennen Sie noch eine andere Hämoglobinopathie?
Antwort

Ja, die häufigste Hämoglobinopathie ist die Sichelzellanämie.

Kommentar

Sichelzellanämie:

  • häufig in der schwarzafrikanischen Bevölkerung: 20 – 40 %

  • häufig in der afroamerikanischen Bevölkerung Nordamerikas: 5 – 10 %

  • homozygote Form: Krankheitsmanifestation schon im Säuglingsalter

  • heterozygote Form: asymptomatisch

  • Diagnose: Hämoglobinelektrophorese

  • Merke: Bei heterozygoter Form Resistenz gegenüber Malaria.

Was können Sie uns zu folgendem Blutbild einer 22-jährigen Patientin sagen?
  • Hb 10,1 g/dl (Norm: 12 – 16)

  • MCV 86 fl (Norm: 85 – 98)

  • MCH 30 pg (Norm: 28 – 34)

Antwort

Es besteht eine normozytäre normochrome Anämie.

Kommentar

Erinnerung: Anämie = Erniedrigung des Hämoglobins, des HKT oder der Erythrozytenzahl.

Woran denken Sie bei dieser Konstellation?
Antwort

Verminderte Blutbildung, akuter Blutverlust, verkürzte Erythrozytenüberlebensdauer.

Kommentar

Differenzialdiagnose der normochromen normozytären Anämie:

  • Verminderte Blutbildung:

    • maligne Knochenmarkinfiltration

    • aplastische Anämie

    • u. U. myelodysplastisches Syndrom

    • renale Anämie

  • Akuter Blutverlust, verkürzte Überlebenszeit der Erythrozyten:

    • hämolytische Anämie

Merke

Normochrome Anämie → Denken an Knochenmark, Niere, Hämolyse.

Welche Untersuchungen helfen Ihnen weiter in der Differenzierung?
Antwort

Bestimmung der Retikulozyten und Fahndung nach Hämolysezeichen.

Kommentar

Differenzierung der normozytären normochromen Anämie:

  • Retikulozyten erniedrigt:

    • renale Anämie

    • aplastische Anämie

  • Retikulozyten erhöht:

    • Z. n. akutem Blutverlust

    • Hämolyse

Welche Laborwerte zeigen Ihnen eine Hämolyse an?
Antwort

Erhöhung des indirekten Bilirubins, Erhöhung der LDH, Erniedrigung des Haptoglobins.

Kommentar

Haptoglobin: Bei intravasaler Hämolyse wird das freigesetzte Hämoglobin an Haptoglobin gebunden.

Wir haben vorhin das Blutbild einer 22-jährigen Patientin gesehen und eine normochrome normozytäre Anämie festgestellt. Folgende Werte wurden bei der Patientin zusätzlich bestimmt:
  • LDH erhöht

  • Retikulozyten erhöht

  • Haptoglobin erniedrigt

Was liegt am ehesten vor?

Antwort

Eine hämolytische Anämie.

Kommentar

Hämolyse:

  • LDH erhöht

  • Hydroxybutyrat-Dehydrogenase (HBDH) erhöht

  • indirektes Bilirubin erhöht

  • Retikulozyten erhöht

  • Haptoglobin erniedrigt

Welches ist in unseren Breitengraden die häufigste Ursache einer hämolytischen Anämie?
Antwort

Die Sphärozytose.

Kommentar

Sphärozytose:

  • Häufigste hämolytische Anämie in Europa:

    • Erythrozytenmembrandefekt, dadurch bedingte Kugelform der Erythrozyten und vermehrter Abbau in der Milz

  • Klinisches Bild:

    • Anämie und Ikterus

    • hämolytische Krisen mit Oberbauchschmerzen, Fieber und Ikterus

  • Diagnose:

    • Nachweis einer hämolytischen Anämie und kugelförmiger Erythrozyten mit verminderter osmotischer Resistenz

  • Zusätzliche Untersuchungen:

    • Sonografie (Milzvergrößerung, häufig Bilirubingallensteine)

  • Komplikationen:

    • lebensbedrohliche aplastische Krisen

  • Therapie:

    • Splenektomie (möglichst nicht bei Kindern)

Sie haben vorhin die Sichelzellanämie erwähnt, jetzt die Sphärozytose. Hierbei handelt es sich ja um Erkrankungen, die die Erythrozyten betreffen. Gibt es auch Hämolysen bei gesunden Erythrozyten?
Antwort

Ja, die sog. extrakorpuskulären hämolytischen Anämien.

Kommentar

Einteilung der hämolytischen Anämien:

  • Korpuskuläre hämolytische Anämien:

    • Defekte im Bereich der Erythrozyten

  • Extrakorpuskuläre hämolytische Anämien:

    • Hämolysen durch Schädigung der Erythrozyten

Um welche Form der Hämolyse handelt es sich beim Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G-6-PD-Mangel)?
Antwort

Es handelt sich um eine korpuskuläre hämolytische Anämie auf dem Boden eines Enzymdefekts.

Kommentar
  • G-6-PD-Mangel:

    • häufiger X-chromosomal rezessiv vererbter Mangel der G-6-PD

    • hämolytische Krisen durch zahlreiche Medikamente, Infektionen, Nahrungsmittel

  • Einteilung der korpuskulären hämolytischen Anämien:

    1. Erythrozytenmembrandefekte:

      • Sphärozytose

      • Elliptozytose

    2. Hämoglobinopathien:

      • Sichelzellanämie

      • α-Thalassämie

      • β-Thalassämie

    3. Enzymopathien:

      • G-6-PD-Mangel

      • Pyruvatkinasemangel

Ein 53-jähriger Patient berichtet, er habe vor 3 Tagen schwarzen Stuhl abgesetzt. Oberbauchschmerzen bestehen nicht, anamnestisch Diclofenac-Einnahme wegen Rückenschmerzen. Im Blutbild sehen Sie Folgendes:
  • Hb 9,8 g/dl (Norm: 13 – 17)

  • MCV 91 fl (Norm: 85 – 98)

  • MCH 32 pg (Norm: 28 – 34)

Was liegt vor?

Antwort

Eine normochrome normozytäre Anämie.

Kommentar

Akute Blutung:

  • zunächst unauffälliges Blutbild

  • später normozytäre Anämie wegen der eintretenden Blutverdünnung

Welche Laboruntersuchungen halten Sie in dieser Situation für sinnvoll?
Antwort

Keine. Im Vordergrund steht die schnelle Erfassung der Blutungsquelle durch zügige obere Intestinoskopie.

Kommentar

Mit einer reaktiven Retikulozytose können Sie nach einigen Tagen rechnen, diese spielt für die Akutdiagnostik eine untergeordnete Rolle.

Nach: Berthold Block,

Facharztprüfung Innere Medizin,

3000 kommentierte Prüfungsfragen.

5., vollständig überarbeitete Auflage 2017

ISBN 9783 131 359 551