Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0045-1802080
Prioritätensetzung für evidenzbasierte Leitlinien im Öffentlichen Gesundheitsdienst: Ergebnisse einer ad-hoc Onlinebefragung
Einleitung: Evidenzbasierte Leitlinien sind etablierte Instrumente zur Qualitaetssicherung in der klinischen Praxis. Im Oeffentlichen Gesundheitsdienst (OeGD) Deutschlands hingegen sind solche Leitlinien bislang nicht flaechendeckend entwickelt und implementiert, insbesondere auf kommunaler Ebene. Um dem Bedarf an praxisnahen Handlungsempfehlungen nachzukommen und die Entwicklung von Leitlinien mit explizitem OeGD-Bezug zu foerdern, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) im Juni 2024 eine entsprechende Foerderbekanntmachung veroeffentlicht [1]. Die AG Evidenz der Deutschen Gesellschaft fuer Oeffentliches Gesundheitswesen e.V. (DGOeG) fuehrte eine ad-hoc Onlinebefragung durch, um die Prioritaeten der OeGD-Praxis und -Wissenschaft in Bezug auf 17 vom GBA vorgeschlagene Leitlinienthemen zu ermitteln. Die Ergebnisse koennen zukuenftige Leitlinienentwicklungen durch und fuer den OeGD unterstuetzen.
Methodik: Im Juli 2024 wurde eine Onlineumfrage durchgefuehrt, die sich an Mitarbeitende des OeGD auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sowie an wissenschaftlichen Institutionen mit OeGD-Bezug richtete. Der Fragebogen umfasste drei Hauptteile: (1) Demographie, (2) Nutzung und Bedarf an Leitlinien, (3) Priorisierung der 17 vom GBA vorgeschlagenen Leitlinienthemen sowie ergaenzend die Erfassung weiterer Themen. Die Priorisierung der Themen erfolgte mittels vierstufiger Skala. Zudem wurden Freitextangaben zu weiteren potenziellen Leitlinienthemen erhoben. Die quantitative Auswertung erfolgte deskriptiv, die qualitativen Angaben wurden mittels deduktiv-induktiv erstelltem Kategoriensystem codiert. Wenn moeglich wurden quantitative Ergebnisse nach angegebenem OeGD-Taetigkeitsbereich der Teilnehmenden stratifiziert.
Ergebnisse: Von den 906 Teilnehmenden beantworteten 499 mindestens eine Frage zur Priorisierung der Leitlinienthemen. Die Mehrheit der Teilnehmenden war in kommunalen Gesundheitsaemtern (85 %) taetig, waehrend 10 % auf Landes- oder Bundesebene taetig waren und 5 % eine wissenschaftliche Taetigkeit außerhalb des OeGD angaben. Alle 17 vorgeschlagenen Leitlinienthemen wurden von der Mehrheit als hoch oder sehr hoch priorisiert. Besonders hoch priorisiert wurden die Themen "Infektionshygienische Überwachung", "Amtsaerztliches Gutachtenwesen" und "Psychosoziale Notfallversorgung". Die qualitative Analyse von 120 Freitextangaben identifizierte zusaetzliche relevante Leitlinienthemen wie Gesundheitsberichterstattung, Praevention und Gesundheitsfoerderung, Kindeswohl sowie Krisenmanagement und Kommunikation sowie relevante Querschnittsthemen (z.B. Asyl/Migration und Intersektoralitaet) [2]. Darueber hinaus wurden in den Freitextangaben verschiedene Benefits von OeGD-Leitlinien fuer die (kommunale) Praxis benannt.
Diskussion: Die Ergebnisse deuten auf einen großen Bedarf an der Entwicklung evidenzbasierter Leitlinien im OeGD hin. Die hohe Priorisierung aller vom GBA vorgeschlagenen Themen zeigt die Relevanz von Leitlinien fuer nahezu alle Aufgabenbereiche des OeGD. Die Vorgehensweise der ad-hoc Onlineumfrage kann als Pilot eines partizipativen Beteiligungsverfahrens betrachtet werden, welches eine strukturierte Erfassung von wahrgenommenen Prioritaeten ermoeglicht. Zur Sicherstellung von Praxistauglichkeit und -relevanz zukuenftig zu entwickelnder Leitlinien sollten Beteiligungsansaetze getestet und integriert werden, um die notwendige Einbindung relevanter Akteur:innen aus Wissenschaft und Praxis zu gewaehrleisten. Die Ergebnisse bieten hierbei nicht nur eine erste Grundlage fuer die Themenpriorisierung von Leitlinien im OeGD, sondern liefern auch einen Loesungsansatz fuer die systematische Einbindung von Akteur:innen.
Schlussfolgerung: Die Studie liefert die ersten systematisch erhobenen Einblicke in die Priorisierung von Themen bei der Leitlinienentwicklung aus Sicht der Praxis. Die Vorgehensweise zeigt, dass kurzfristige Beteiligungsverfahren durch die Verwendung digitaler Surveyinstrumente moeglich sind. Fuer eine systematische Integration bedarf es jedoch abgestimmter Strukturen und Prozesse, um eine transparente Vorgehensweise bei der Prioritaetensetzung sicherzustellen.
Publication History
Article published online:
11 March 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany