Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1999; 34(6): 359-371
DOI: 10.1055/s-1999-10828-2
MINI-SYMPOSIUM
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

H.  G.  Kress
  • Klin. Abteilung für Allgemeine Anaesthesie und Intensivmedizin B und Ludwig-Boltzmann-Institut für Experimentelle Anaesthesiologie und Intensivmedizinische Forschung Universitätskliniken Wien, AKH
Further Information

Publication History

Publication Date:
28 April 2004 (online)

Die ausreichende Behandlung postoperativer Schmerzen stellt eine ethisch-moralische Verpflichtung jedes Arztes dar. Unbehandelter postoperativer Schmerz induziert Angst, Schlaflosigkeit und Depression, trägt zu kardialen, pulmonalen und gastrointestinalen Komplikationen bei, erhöht das Thromboserisiko, schwächt das Immunsystem und kann über periphere und zentrale Sensibilisierungsprozesse im Nervensystem die Chronifizierung des Schmerzes begünstigen. Postoperativer Schmerz sollte daher möglichst vermieden oder zumindest rasch und optimal behandelt werden.

Gemessen an der Zahl wissenschaftlicher Publikationen und Veranstaltungen zur postoperativen Schmerztherapie haben wir Anaesthesisten in den letzten Jahren unsere Hausaufgaben erfüllt: das „Stiefkind”[1] von einst hat sich - zumindest wissenschaftlich - zum attraktiven Hoffnungsträger im Rahmen der perioperativen Medizin gemausert. Können demnach operierte Patienten darauf vertrauen, daß ihr verbrieftes Recht [2] auf eine wirksame postoperative Schmerzbehandlung überall und jederzeit eingelöst wird? Der Klinikalltag und Umfragen zeigen eine Realität, die diesen Forderungen nach wie vor nur unzureichend gerecht wird. Trotz ständig wachsender Kenntnisse über Schmerzentstehung, Pharmakologie der Analgetika und Fortschritten bei der Weiterentwicklung wirksamer Techniken zur Schmerzausschaltung leidet eine große Zahl chirurgischer Patienten unter postoperativen Schmerzen. In einer amerikanischen Befragung gaben 3 von 4 Erwachsenen die Erfahrung postoperativer Schmerzen an, 80 % dieser Patienten mußten mäßige bis starke Schmerzen ertragen [3]. Auch deutsche Studien dokumentieren ein erschreckendes Ausmaß inadäquater postoperativer Schmerztherapie in unseren Kliniken [1] [4] [5]. Es überrascht daher nicht, wenn 77 % der erwachsenen Bevölkerung Schmerzen für ein notwendiges Übel nach einer Operation erachten, und mehr als die Hälfte der Befragten die Angst vor dem postoperativen Schmerz als ihre Hauptsorge vor einem operativen Eingriff angeben [3].

Diese eklatante Unterversorgung in der postoperativen Phase hat viele Gründe: mangelndes Wissen, Angst vor Nebenwirkungen der Analgetika, mangelhafte oder fehlende Schmerzdokumentation mit resultierender Unterschätzung des tatsächlichen Schmerzausmaßes durch Ärzte und Pflegepersonal. Keinesfalls jedoch fehlt es an therapeutischen Möglichkeiten oder verfügbaren und erprobten Konzepten zur postoperativen Schmerztherapie. Unter dem Eindruck der Handlungsdefizite und ihrer ethischen, medizinischen und ökonomischen Konsequenzen formulierten Gesundheitsbehörden und Fachgesellschaften in England, USA und jüngst auch in Deutschland Richtlinien und Empfehlungen [6] [7] [8] [9], um das Bewußtsein für die Notwendigkeit postoperativer Schmerzbehandlung zu wecken und die Etablierung und Institutionalisierung standardisierter postoperativer Schmerztherapieprogramme zu fördern.

Bei dem 4. Internationalen Wiener Schmerzsymposium bildete ebendiese praktische Umsetzung existenter Konzepte in den klinischen Alltag einen Themenschwerpunkt, aus dem 3 ausgewählte Beiträge zu einem Minisymposium zusammengefaßt wurden. Im Vordergrund stehen hierbei neben der guten Wirksamkeit vor allem die Praktikabilität und Akzeptanz im klinischen Betrieb sowie die Sicherheit auf der normalen Pflegestation.

Im Beitrag von Spacek [10] werden die klinisch relevanten Vor- und Nachteile der gängigen intravenösen Verfahren diskutiert; in Form der Kombinations-Infusionsanalgesie wird eine Alternative zum „Goldstandard”, der PCA-Methode, vorgestellt. Unter Ausnutzung der synergistischen Wirkungen der Kombination des schwachen Opioids Tramadol und intravenöser Nichtopioid-Analgetika bietet die Kombinations-Infusionsanalgesie eine sehr einfache Alternative zur postoperativen PCA, gerade auf peripheren Stationen. Wirksamkeit, Patientensicherheit, geringer finanzieller und logistischer Aufwand lassen diese Methode dort angezeigt erscheinen, wo die apparativen Voraussetzungen der PCA sowie eine klinikweite Patienten- und Personalschulung (noch) nicht gewährleistet sind.

Die Rolle der postoperativen Epiduralanalgesie sowie die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen für ihren Einsatz auf der Normalpflegestation werden im Beitrag von Wulf [11] anhand klinischer Studien beleuchtet. Vorteile der regionalen Anaesthesie/Analgesie werden einer Nutzen/Risiko/Aufwand-Abwägung unterzogen und für das neue Lokalanaesthetikum S-Ropivacain Empfehlungen für die postoperative kontinuierliche epidurale Infusion herausgearbeitet. Potentielle Vorteile von Ropivacain gegenüber Bupivacain, wie z. B die geringere Motorblockade und Toxizität, werden auf der Basis bisheriger klinischer Studien und eigener Erfahrungen erörtert und kritisch bewertet.

Entscheidend sind jedoch nicht die Wahl der Analgesieverfahren oder die Vor- und Nachteile eines mehr auf intravenösen bzw. regionalen Verfahren aufbauenden Konzeptes, sondern die schrittweise, konsequente Einführung eines postoperativen Schmerzdienstes im Krankenhaus [12] [13]. Schug stellt in seinem Beitrag [12] das Konzept eines bereits 1988 von Ready und Mitarb. [13] vorgeschlagenen „anesthesiology-based postoperative pain management service” dar und zeigt, wie dieses Konzept schrittweise unter Berücksichtigung der lokalen personellen und strukturellen Bedingungen eingeführt werden kann. Ausschlaggebend für den Erfolg anaesthesiologischer Konzepte zur postoperativen Schmerztherapie sind nicht so sehr Aufwand und Raffinesse der eingesetzten Verfahren, sondern die Qualität der Organisationsstruktur, die Ausbildung und kontinuierliche Schulung des ärztlichen und Pflegepersonals, die Standardisierung der Verfahren in Form von Richtlinien und ein 24-Stunden-Bereitschaftsdienst.

Ohne entsprechende Planstellen und finanzielle Ressourcen wird dies sicher in vielen Anaesthesieabteilungen nur ansatzweise gelingen - hier sind die Krankenhausträger gefordert, und wir müssen sie im Interesse der perioperativen Versorgungsqualität in die Pflicht nehmen. Bisher wurden Programme zur postoperativen Schmerzkontrolle vor allem von Anaesthesisten entwickelt und in den Kliniken praktiziert, jedoch steht und fällt die Akzeptanz und Verbreitung dieser Konzepte mit der bereichsübergreifenden Einbindung der Chirurgen, der Krankenhausapotheke und vor allem des Stations-Pflegepersonals, dem eine herausragende Rolle bei der Etablierung und Verbreitung zukommt. In unserem Bereich geschieht dies über ein anaesthesiologisch geleitetes sog. Schmerzteam, das den eigentlichen 24-Stunden-Schmerzdienst vor allem organisatorisch und logistisch berät und bei der Schulung des nichtanaesthesiologischen Pflegepersonals auf den Stationen unterstützt. Neben Operateuren und Pflegekräften gehören ihm auch eine Klinikapothekerin und die Autorin des ersten Beitrags an, die als Oberärztin sowohl den Akutschmerzdienst als auch die Schmerzklinik für chronisch Schmerzkranke (23 000 Behandlungen pro Jahr) leitet. Wie im Beitrag von Schug [12] betont, bietet eine derartig ausgeweitete Rolle des postoperativen Schmerzdienstes auch eine einzigartige Gelegenheit zur Ausbildung von Assistenten in allen Aspekten der Schmerztherapie.

In Kliniken, in denen ein anaesthesiologischer 24-Stunden-Akutschmerzdienst institutionalisiert ist, sollte sich dann auch die Frage erübrigen, wem der postoperative Schmerzpatient „gehört”. Schmerzfreie Patienten, zufriedenes Pflegepersonal und kompetente anaesthesiologische Versorgung eröffnen unserem Fachgebiet in der Tat eine Schlüsselposition in der perioperativen Medizin.

Literatur

  • 1 Lehmann K A, Henn C. Zur Lage der postoperativen Schmerztherapie in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse einer Repräsentativumfrage.  Anaesthesist.. 1987;  36 400-406
  • 2 Ulsenheimer K. Die rechtliche Verpflichtung zur postoperativen Schmerztherapie.  Anaesthesist. 1997;  (Suppl. 3) 46 S138-S142
  • 3 Warfield C A, Kahn C H. Acute pain management - Programs in U.S. hospitals and experiences and attitudes among U.S. adults.  Anesthesiology. 1995;  83 1090-1094
  • 4 Klaschik E, Henn P. Qualität der postoperativen Schmerztherapie.  Anaesthesist . 1997;  (Suppl. 3) 46 S143-S146
  • 5 Neugebauer E. Situation der postoperativen Schmerztherapie in Deutschland.  Schmerz. 1996;  (Suppl. 1) 10 S6
  • 6 The Royal College of Surgeons of England - The Royal College of Anaesthetits .Report of the working party on pain after surgery.  1990
  • 7 U.S. Department of Health and Human Services .Acute pain management: operative or medical procedures and trauma - clinical practice guideline. AHCPR Publication, Rockville 1992
  • 8 Vereinbarung zur Organisation der postoperativen Schmerztherapie des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten und des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen. Anästh. Intensivmed. 1993 34: 28-32
  • 9 Wulf H, Neugebauer E, Maier C. Die Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen. Empfehlungen einer interdisziplinären Expertenkommission. Thieme, Stuttgart New York 1997
  • 10 Spacek A. Kombinations-Infusionsanalgesie: eine Alternative zur PCA?.  AINS. 1999;  34 363-366
  • 11 Wulf H. Postoperative Epiduralanalgesie mit S-Ropivacain.  AINS. 1999;  34 367-371
  • 12 Schug S A. Einführung eines postoperativen Schmerzdienstes in der Klinik.  AINS. 1999;  34 360-363
  • 13 Ready L B, Oden R, Chadwick H S. et al . Development of an anesthesiology-based postoperative pain management service.  Anesthesiology. 1988;  68 100-106

Prof. Dr. Univ. o. Hans G. Kress

Klin. Abteilung für Allgemeine Anästhesie und Intensivmedizin B

Universität Wien

AKH

Währinger Gür18-20/9i

A-1090 Wien

Austria

    >