Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1999; 34(12): 76-3
DOI: 10.1055/s-1999-10842-7
MINI-SYMPOSIUM
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Humanalbumin - Sicherheit und Verträglichkeit

Human albumin - safety and toleranceH.-J.  Dieterich, B.  Nohé, A.  Rothmund
  • Klinik für Anaesthesiologie und Transfusionsmedizin, Abteilung für Anaesthesiologie, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen
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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Humanalbumin - assoziierte Unverträglichkeitsreaktionen

Die Einteilung von Unverträglichkeitsreaktionen in vier Schweregrade von Ring und Messmer [1] aus dem Jahre 1977 ist bis heute unverändert gültig. Häufig wurde sie nur auf die künstlichen Kolloide bezogen, da Humanalbumin als dem sog. „Natürlichen Kolloid” per se keine Nebenwirkungen zugeschrieben wurden. Im Jahre 1993 kam es jedoch im ganzen Bundesgebiet zu einer Serie von ca. 25 Fällen schwerer Reaktionen bei einer bestimmten Charge Humanalbumin eines Herstellers. Im Vordergrund stand eine schwerste Hypotension, die nur mit massiver Volumengabe und hochdosierten Katecholaminen zu beherrschen war. Auffällig war, daß es in keinem der Fälle zu einer Steigerung der Herzfrequenz kam, auch wurden keine kutanen Symptome wie Flush und Urticaria beschrieben. Es handelte sich um Patienten aus unterschiedlichen operativen Disziplinen, die im Rahmen einer perioperativen Volumensubstitution Humanalbumin 5 % infundiert bekamen.

Als Risikofaktoren konnten bei den betroffenen Patienten maligne Tumoren, entzündliche Magen-Darm-Erkrankungen oder eine Leberschädigung identifiziert werden. Dies sind Grund- oder Begleiterkrankungen, wie sie in einem normalen operativen Krankengut häufig sind. Betroffen waren vermehrt Patienten, die sich einer Bypass-Operation oder einer Hüftprothesen-Operation unterziehen mußten. Im eigenen Krankengut zeigten vier Patienten aus den Bereichen der Allgemeinchirurgie und der Orthopädie entsprechende Symptome. Bei ihnen war die Infusion von Humanalbumin 5 % mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 ml/min (d. h. eine Flasche zu 250 ml sollte innerhalb von ca. 10 - 15 Minuten gegeben werden) jeweils unmittelbar vor Beginn der hypotensiven Phase begonnen worden. Die vom Hersteller dokumentierte Chargenfreigabe-Analytik hinsichtlich Pyrogenen, Endotoxin und anderer, damals vorgeschriebener Parameter zeigte keinerlei Abweichungen von den Sollbereichen. Auch bei einer Nachuntersuchung asservierter Reste aus den zur Infusion verwandten Flaschen zeigten sich in eigenen Untersuchungen und bei erneuter Analytik im Auftrag des Vertreibers keine Besonderheiten dieser Parametern.

Weiterführende Recherchen des verantwortlichen pharmazeutischen Unternehmens ergaben jedoch, daß vom ausländischen Produzenten der in Deutschland in den Verkehr gebrachten Charge im Rahmen der Herstellung erstmalig ein anderer Filtrationshilfsstoff zur Erhöhung der Ausbeute an den Sterilfiltrationsmembranen eingesetzt worden war. Hierbei war es offensichtlich zu einer Aktivierung des Komplementsystems gekommen mit einer Erhöhung des Gehalts des Hagemann-Faktors (Prä-Kallikrein-Aktivator, PKA) in der fertigen Humanalbumin Lösung. Diese Änderung wurde weder vom Hersteller der Lösung noch vom vertreibenden pharmazeutischen Unternehmen als anzeigepflichtig angesehen. Erst ein erneuter Wechsel zu den vorher üblichen Filtrationshilfsstoffen brachte eine Normalisierung auch dieser Werte, und nach Angaben des Herstellers traten ähnliche Probleme seit dieser Rückkehr zu standardisierten Herstellungsschritten nicht mehr auf.

Die Belastung von Albumin- und Proteinlösungen mit dem PKA ist wiederholt als Pathomechanismus des „Hypotensive Syndrome” nach Albumingabe und Infusion von Plasmaproteinlösungen nachgeweisen worden [2] [3]. Darüber hinaus ist auch die Bedeutung von Proteinaggregaten und Stabilisatorzusätzen zu den verschiedenen Lösungen als Ursache anaphylaktoider Reaktionen nach Albumingabe gezeigt worden [4]. Jedoch wurde die klinische Symptomatik in diesen Fällen nicht so uniform als isolierte Hypotension charakterisiert. Es kommt die gesamte Bandbreite anaphylaktisch-anaphylaktoider Symptome mit Hautsymptomen, Tachykardie und Schocksymptomatik zur Ausprägung.

Diese Anreicherung von Mediatoren in den Humanalbuminlösungen kann durch eine Sterilisation nicht beseitigt werden. Albuminlösungen können im Rahmen der Herstellung, anders als zum Beispiel Hydroxyethylstärke (HES), nicht sterilisiert werden. Somit findet eine thermische Zerstörung der Mediatoren nicht statt. Dies hat dazu geführt, daß bereits das Bundesgesundheitsamt (BGA) in seiner Monographie für Humanalbumin eine strenge Limitierung der Infusionsgeschwindigkeit selbst für 4 % / 5 % Humanalbuminlösungen von maximal 5 ml/min festgeschrieben hat. Für eine 250 ml Flasche ergibt sich somit eine Infusionszeit von mindestens 50 Minuten! In der Diskussion um den Einsatz von Humanalbuminlösungen oder künstlichen Kolloiden zum Volumenersatz ist dieser Aspekt fast vollständig ignoriert worden. Es stand immer die Effektivität der künstlichen Kolloide auf dem Prüfstand, die von Humanalbumin wurde vorausgesetzt. Bei einer maximalen Gabe von 250 ml in 50 Minuten ist jedoch ein adäquater Volumenersatz bei z. B. Trauma und hämorrhagischem Schock sicher nicht möglich.

Literatur

  • 1 Ring J, Messmer K. Incidence and Severity of Anaphylactoid Reactions to Colloid Volume Substitutes.  Lancet. 1977;  1 466-469
  • 2 Turner P J, Young I F, Marley P B, Herrington R W, Schiff P. Albumin Solutions - Their Production and Quality Control.  Develop. Biol. Standard.. 1987;  67 119-127
  • 3 Alving B M, Hojima Y, Pisano J J, Mason B L, Buckingham R E, Mozen M M, Finlayson J S. Hypotension associated with Prekallikrein Activator (Hagemann-Factor Fragments) in Plasma Protein Fraction.   N. Engl. J. Med.. 1978;  299 66-70
  • 4 Ring J, Stephan W, Brendel W. Anaphylactoid reactions to infusions of plasma protein and human serum albumin.  Clinical. Allergy.. 1979;  9 89-97
  • 5 Roth R. Bei Humanalbuminlösungen auf Albumingehalt achten.  Krankenhaus Arzt. 1997;  70 1-2
  • 6 Victor R, Chan A K, Mattoon M. Aluminium contamination in albumin solutions from glass storage.  Transfusion. 1988;  28 290-291
  • 7 Chazan J A, Lew N L, Lowrie E G. Increased serum aluminium - An independent risk factor for mortality in patients undergoing long-term hemodialysis.  Arch. Intern. Med.. 1991;  151 319-322
  • 8 Erasmus R T, Kusnir J, Stevenson W C, Lobo P, Herman M M, Wills M R, Savory J. Hyperaluminemia associated with liver transplantation and acute renal failure.  Clin. Transplantation. 1995;  9 307-311
  • 9 Baumann L. Glas ist die Aluminium-Kontaminationsquelle für Parenteralia.  Krankenhauspharmazie. 1998;  19 71-75
  • 10 Dieterich H-J, Nohé B, Deschner N. Modulation von Phagozytose und Endothelfunktion.  Anästhesiol. Intensivmed. Notfallmed. Schmerzther.. 1998;  33 270-274
  • 11 Laxenaire M C, Charpentier C, Feldman L. Anaphylactoid reactions to colloid plasma substitutes: frequency, risk factors, mechanisms.  Ann. Fr. Anesth. Réanim.. 1994;  13 301-310

Dr. Hans-Jürgen Dieterich

Klinik für Anaesthesiologie und Transfusionsmedizin

Abteilung für Anaesthesiologie

Universitätsklinikum Tübingen

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