Rofo 2000; 172(3): 207-209
DOI: 10.1055/s-2000-117
EDITORIAL
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nuklearmedizinische Therapie - Aufbruch in neue Dimensionen?

K. Hahn
  • München
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Neben der Funktionsdiagnostik bildet die Therapie seit über 50Jahren das zweite Standbein der Nuklearmedizin. Bereits 1941 wurde die erste Radiojod-Therapie der Schilddrüse in Boston von Hertz und Roberts durchgeführt. In Europa begann das Zeitalter der nuklearmedizinischen Therapie 1949, als C. Winkler in Aachen die erste Jod 131-Therapie bei einem Patienten mit metastasiertem Schilddrüsenkarzinom durchführte.

Dieses den Patienten wenig belastende und nahezu nebenwirkungsfreie therapeutische Verfahren - über 50 Jahre Erfahrung mit der Radiojodtherapie und über 50 Jahre Sammlung von wissenschaftlichen Daten zu diesem Verfahren, von welcher anderen Therapie kann Vergleichbares gesagt werden? - hat sich sowohl für benigne Schilddrüsenerkrankungen als auch für die Therapie von Schilddrüsenkarzinomen und deren Metastasen weltweit durchgesetzt. Unterschiede finden sich jedoch immer noch in sehr ausgeprägtem Maße, was die Verwendung der Radiojodtherapie bei benignen Schilddrüsenerkrankungen, vor allem in Hinsicht auf die chirurgische „Konkurrenz”, betrifft. Während in den USA etwa 70 % aller Patienten mit Autoimmunhyperthyreose primär mit Jod 131 behandelt werden, beträgt dieser Prozentsatz für Basedow-Patienten in Europa nur 22 % und in Lateinamerika sogar nur 15 %. Die Gründe hierfür sind sicher unterschiedlich und dürften zum einen auf einer geringen Verfügbarkeit der Radiojodtherapie z. B. in Südamerika, zum anderen aber auch auf der Notwendigkeit zur stationären Durchführung der Therapie z. B. in Deutschland beruhen. Die kürzlich erfolgte Neuregelung mit Anhebung der Entlassungsaktivität auf 250 MBq, die auf Empfehlung der deutschen Strahlenschutzkommission erfolgte, wird zumindest in Deutschland sicherlich zu einer deutlich höheren Zahl von Radiojodtherapien führen, da die bei einer 1995 durchgeführten Erhebung gezählten etwa 800 Betten in 120 Therapiestationen nun aufgrund des höheren Durchsatzes wesentlich mehr Radiojodtherapien durchführen können. Während 1995 etwa 30 000 Patienten jährlich in Deutschland mit Radiojod behandelt wurden, kann damit gerechnet werden, dass die neuen Entlassungsgrenzwerte zu etwa einer Verdoppelung dieser Patientenzahlen führen werden, da die Verweildauer pro Patient jetzt nur noch 3 - 6 Tage beträgt. Neben dieser klassischen Therapie, der Radiojodtherapie, finden sich weitere nuklearmedizinische Therapieformen, die ebenfalls als klassisch bezeichnet werden können:

Die Phosphor 32-Therapie zur Behandlung der Polycythaemia vera, die auch heute noch in vielen Institutionen neben Aderlaß und Chemotherapie zur Behandlung dieser Erkrankung eingesetzt wird, die Therapie des Morbus Bechterew mit Radium 224 Radiumchlorid und die Jod 131 MIBG-Therapie zur Behandlung neuroendokriner Tumoren, insbesondere bei Neuroblastomen und malignen Phäochromozytomen.

Eine zunehmende klinische Bedeutung erhielten in den vergangenen Jahren zwei ebenfalls als klassisch anzusehende Verfahren, und zwar die intrakavitäre Therapie der Gelenke mit Yttrium 90, Rhenium 186 und Erbium 169, die heute - insbesondere durch den unermüdlichen Einsatz einiger dafür spezialisierter Nuklearmediziner - zum festen therapeutischen Rüstzeug rheumatologischer, aber auch vieler orthopädischer Patienten gehören. Die Spätergebnisse zeigen, dass zwischen 50 und 80 % der therapierten Gelenke bis mehrere Jahre nach der Therapie subjektiv und objektiv gute Resultate aufweisen. Damit stellt die Radiosynoviorthese heute ein bewährtes und effizientes nuklearmedizinisches Therapieverfahren von entzündlichen und aktivierten degenerativen Gelenkerkrankungen dar.

Die intrakavitäre Therapie von malignen Veränderungen der Pleura und des Peritoneums mit Gold 198, Yttrium 90 oder Phosphor 32-Kolloiden ist ebenfalls seit Jahrzehnten bekannt und führt zu Ansprechraten von 50 - 80 %. Allerdings sind diese Verfahren - nicht nur aus Strahlenschutzgründen - zunehmend von anderen palliativen Therapien, z. B. mit Zytostatika, verdrängt worden. Ob der Einsatz von radioaktiv markierten Antikörpern, z. B. OC 125, hier bessere Ergebnisse erbringt, kann z. Zt. aufgrund der widersprüchlichen Aussagen von mehreren klinischen Studien nicht entschieden werden.

Ebenfalls zu den bereits seit längerer Zeit bekannten und an einigen Zentren mit Erfolg eingesetzten nuklearmedizinischen Therapien gehört auch die Radionuklidtherapie von malignen Lebertumoren, für die in der Regel mit Jod 131 markiertes Lipiodol verwendet wird. Hierbei wird über ein objektives Tumoransprechen in etwa 40 % der Fälle berichtet [1].

Ein völlig neues Feld für die Nuklearmedizin hat sich jedoch in den letzten Jahren durch die Verwendung radioaktiv markierter Antikörper in der Onkologie erschlossen. Hierbei werden unterschiedliche tumorspezifische Antikörper vorwiegend mit Betastrahlern, aber auch zunehmend mit Alphastrahlern markiert. Aufbauend auf zahlreichen klinischen Studien haben einzelne methodische Ansätze der Radioimmuntherapie jetzt einen klinischen Stellenwert erreicht, der als neue Ära in der nuklearmedizinischen Therapie angesehen werden kann und der der Radiojodtherapie der Schilddrüse in Zukunft an Zahl und Bedeutung überlegen sein dürfte. Dies kann als das Ergebnis des 3. Münchner Nuklearmedizin-Symposiums angesehen werden, bei dem vom 17. bis 18. September 1999 interdisziplinär von Nuklearmedizinern, Onkologen und Radioonkologen über die heutige klinische Wertigkeit und die Zukunft dieser nuklearmedizinischen Therapieformen diskutiert wurde. Hierbei sei nur auf drei Schwerpunkte hingewiesen, und zwar die Radioimmuntherapie der malignen Lymphome, der malignen Gliome und einiger solider Tumoren.

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Prof. Dr. med. Klaus Hahn

Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
Klinikum der LMU, Innenstadt

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