Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2000; 35(3): 173-176
DOI: 10.1055/s-2000-12980
FALL FÜR DIE FORTBILDUNG
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Gefahren und perioperatives
Vorgehen bei einer Patientin unter Lithium-Dauertherapie

A. Delis, F. A.W. Eichler
  • Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Operative
    Intensivmedizin der Universität zu Köln
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

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Fallbericht

Bei einer 62-jährigen Patientin (161 cm, 71 kg) sollte wegen einer Netzhautablösung eine Pars-plana-Vitrektomie durchgeführt werden. Die Patientin litt seit zweieinhalb Jahren an einer endogenen Depression, deren Therapie auf Doxepin (100 mg/d) und Lithium (3 × 330 mg/d, entsprechend 18 mmol/d) eingestellt war. Zur Prophylaxe einer benignen Struma unter Lithiumtherapie erhielt sie zusätzlich L-Thyroxin (75 µg/d). Die Patientin war vor Beginn der Lithiumtherapie zweimal operiert worden (eine Tonsillektomie als Kind und eine Kürettage 12 Jahre vor der jetzigen Erkrankung). Die Narkosen waren komplikationslos verlaufen. Jetzt ergaben körperliche Untersuchung, präoperative Röntgen-Thoraxaufnahme, Elektrokardiogramm und die Serumkonzentrationen für Natrium, Kalium und Kreatinin keine Auffälligkeiten. Gemäß der Empfehlung ihrer behandelnden Neurologin hatte die Patientin am Abend vor der Klinikaufnahme ihre Lithium-Medikation eingenommen und dann abgesetzt. Der Lithium-Plasmaspiegel lag mit 0,5 mmol/l unterhalb des therapeutischen Bereichs von 0,6 - 0,8 mmol/l.

Am OP-Tag nahm die Patientin Doxepin und L-Thyroxin in gewohnter Dosierung ein. Eine halbe Stunde präoperativ erhielt sie 7,5 mg Midazolam und 7 mg Metoclopramid per os. Die unmittelbar vor Narkoseeinleitung bestimmten Natrium- und Kaliumwerte lagen im Normbereich. Die Intubationsnarkose wurde intravenös mit 130 mg Propofol und einer Remifentanil-Infusion mit 0,24 µg/kg/min über 5 Minuten eingeleitet. Die Relaxierung erfolgte mit 14 mg Mivacurium und wurde mittels eines peripheren Nervenstimulators überwacht. Die Anästhesie wurde mit einem Lachgas-Sauerstoffgemisch (Frischgasfluß 3 l/min, FiO2 0,33), intravenöser Gabe von 200 mg/h Propofol und 0,24 µg/kg/min Remifentanil sowie weiteren 6 mg Mivacurium aufrechterhalten. Während der 60-minütigen Operation erhielt die Patientin 800 ml Vollelektrolyt-Lösung als Infusion. Nach Absprache mit dem Operateur wurde auf die im Hause bei diesem Eingriff sonst übliche intravenöse Gabe von Azetazolamid verzichtet. Der arterielle Blutdruck lag während der Anästhesie zwischen 110/70 und 90/60 mmHg, die Herzfrequenz zwischen 50 und 60 Schlägen pro Minute. EKG-Veränderungen traten nicht auf. Nach Beendigung des operativen Eingriffs wurde die Patientin bei abgeklungener Muskelrelaxation (Train-of-four 4/4) extubiert. Sie setzte abends ihre gewohnte Lithiummedikation fort. Eingriff und Anästhesie verliefen komplikationslos.

Dieser Fall wird vorgestellt, weil in der aktuellen anästhesiologischen Literatur keine einheitlichen Empfehlungen für das perioperative Vorgehen bei Patienten mit Lithiumtherapie existieren. Er wird zum Anlaß genommen, anhand der einschlägigen Literatur die perioperative Behandlung dieser Patienten zu diskutieren. Dies ist bedeutsam, da der Anteil von Patienten mit Lithium-Therapie in Deutschland 0,1 Prozent der Bevölkerung ausmacht und weiter zunimmt [1]. Somit wächst auch die Wahrscheinlichkeit, daß Anästhesisten mit erwünschten und unerwünschten Wirkungen sowie Wechselwirkungen dieses Therapeutikums konfrontiert werden.

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