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DOI: 10.1055/s-2000-154
Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York
Über die Schwierigkeiten der Prognoseermittlung nach Schädel-Hirn-Trauma
Publication History
Publication Date:
31 December 2000 (online)
„Albuquerque. 5. Januar 2000 (AP). Patientin erwacht nach 16 Jahren aus dem Koma.” (FAZ vom 6.1.2000) Diese oder ähnliche journalistische Nachrichten aus seriösen Tageszeitschriften, die Laien und Ärzte ebenso überraschen wie nachdenklich machen, mögen die Schwierigkeiten der Vorhersagbarkeit des klinischen „Outcome” eines individuellen Patienten deutlich machen. Die Frage nach der Prognose bei schwerem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) stellt sich dem Kliniker nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse, sondern wird von Angehörigen schädel-hirn-verletzter Patienten in der täglichen Praxis sehr konkret gestellt. Über den individuellen Schicksalsfall hinaus, hat die Frage auch erhebliche ethische und sozio-ökonomische Dimensionen. Während in den frühen siebziger Jahren „Outcome”-Studien hauptsächlich zum Ziel hatten, Therapiekonzepte miteinander zu vergleichen, rücken in den späten achtziger- und neunziger Jahren ökonomische und ethische Aspekte in den Vordergrund. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit und dem Nutzen intensivmedizinischer Maßnahmen bei schwerst erkrankten und verletzten Patienten im allgemeinen und beim SHT im besonderen erlangte zunehmende Bedeutung und Begriffe wie „medical futility” (futility = Sinnlosigkeit, Nutzlosigkeit, Vergeblichkeit) und „overtreatment” wurden zum Gegenstand der Überlegungen [9]. Es erstaunt nicht, daß die Mehrzahl der Untersuchungen mit dieser Zielrichtung aus den USA und England stammen, wo ökonomische Fragen („managed care”, „financial reimbursement”, „resource utilization”) und kritische Reflexion der Endpunkte der Ergebnisse intensivtherapeutischer Bemühungen („functional outcome”, „quality of life”, „return to employment”) früher und deutlicher im Vordergrund stehen als in Deutschland.
Jeder in der Intensivmedizin Tätige weiss, wie schwierig es ist, Antworten auf diese Fragen mit nur annähernder Sicherheit zu geben. Dies trifft für alle Bereiche der Intensivmedizin zu und die Prognose nach schwerem SHT ist nur ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die sich sowohl im Einzelfall als auch bei der wissenschaftlichen Bearbeitung von Patientenkollektiven ergeben. Hierfür gibt es im Falle des SHT mehrere Gründe:
die Heterogenität der Verletzungsmuster und der intrakraniellen Pathologie die Heterogenität der Begleitverletzungen die unvollkommen verstandene Pathophysiologie des SHT, insbesondere der sekundären Schädigung die unterschiedlichen Therapiekonzepte der spezifischen Therapie des SHT und der intensivmedizinischen Begleitmaßnahmen sowie der primären notfallmedizinischen Konzepte die unterschiedlichen Rehabilitationskonzepte (Frührehabilitation vs. Spätrehabilitation oder auch fehlende Rehabilitationsmaßnahmen) die methodischen Schwierigkeiten bei der Vergleichbarkeit der Outcome-Studien (Unterschiede in der Größe der Patientenkollektive, Unterschiede der verwendeten „Scoring” Systeme, Definitionen und „Outcome”-Kriterien, unterschiedliche Ein- und Ausschlußkriterien, unterschiedliche Beobachtungszeiträume, u. v. m.)
Auf die Heterogenität des Verletzungsmusters wurde in unzähligen Studien hingewiesen; Unterschiede beim Primärschaden (Vorliegen von epi- und subduralen Hämatomen, Kontusionsherden und primäre Ödementwicklung) und beim Sekundärschaden (vasogenes und zytotoxisches Ödem, Intrakranieller Druckanstieg) sowie Unterschiede bei den Begleitverletzungen (isoliertes SHT vs. Polytrauma mit SHT) machen die Bildung ausreichend großer homogener Kollektive außerordentlich schwierig. Versucht man über multizentrische Studien die Kollektive zu vergrößern, so rücken die Unterschiede in den therapeutischen Konzepten der intensivmedizinischen Versorgung (Volumentherapie, Beatmungstherapie, Ernährungstherapie, u. v. m.) und der Prähospitalphase in den Vordergrund.
In dem vorliegenden Heft stellen Thomas et al. [19] eine retrospektive „Outcome”-Studie bei 228 Patienten mit schwerem SHT vor. Das schwere SHT wurde durch den Grenzwert der initial erhobenen Glascow Coma Scale (GCS) ≤ 8 definiert. Patienten mit primär infauster Prognose, die innerhalb der ersten 48 Stunden verstorben sind, wurden von der Studie ausgeschlossen. Die Autoren suchten nach Korrelationen zwischen dem „Outcome” - definiert anhand der Glascow Outcome Scale (GOS) und den Faktoren Alter, GCS, präklinische Hypoxie und oder Hypotonie, intrakranieller Druck (ICP), zerebraler Perfusionsdruck (CPP) und der Therapie mit Trometamol bzw. Thiopental als hirndrucksenkende Maßnahme. Die Autoren fanden eine signifikante Korrelation des „Outcome” mit der initialen GCS, dem Alter der Patienten und Hypoxie und/oder Hypotonie in der Prähospitalphase. Während der Intensivphase waren der CCP und die Therapie mit Tromatamol/Thiopental signifikant mit der GOS korreliert, nicht jedoch die Höhe des ICP. Die Autoren schlußfolgern, daß die Hypotonie und Hypotension oder beides in der Prähospitalphase die Mortalität und Morbidität von Patienten mit schwerem SHT maßgeblich beeinflussen, fokussieren also ihre Schlussfolgerungen auf die primäre Phase der Behandlung des schweren SHT vor Aufnahme in die Klinik.
Inwieweit können die Schlußfolgerungen der Studie von Thomas et al. [19] verallgemeinert werden und zum besseren Verständnis der Frage nach der Prognose beim schweren SHT herangezogen werden? Sind solche und ähnliche Studien überhaupt in der Lage, uns eine Hilfestellung bei den schwierigen Entscheidungen im klinischen Alltag für den individuellen Patienten (Beginn, Weiterführung, Intensivierung oder Reduzierung einer spezifischen hirnorientierten Therapie) zu geben?
In einer 1999 erschienenen Übersicht in Current Opinion in Critical Care diskutiert B. P. Markovitz [12] diese Frage unter den Gesichtspunkten der Validität von Scoring-Systemen und der „evidence-based-medicine” in der Intensivmedizin. Markovitz mahnt zur besonderen Vorsicht und Zurückhaltung beim Vergleich unterschiedlicher Outcome-Studien und bei der Verallgemeinerung der Schlußfolgerungen aus solchen Studien. Beim Vergleich von Studien ist eine Vielzahl von Parametern, von unterschiedlichen Definitionen und Methoden zu berücksichtigen. Wir haben sie weiter oben bereits aufgereiht; es sind dies zunächst die unterschiedlichsten Verletzungsmuster und Verteilung der intrakraniellen Ereignisse. Bereits bei der Aufnahme der Patienten in eine klinische Studie bestehen große Unterschiede, die Ein- und Ausschlusskriterien differieren erheblich. Allein die Definition „schweres SHT” wird unterschiedlich gehandhabt; während einige das schwere SHT bei GCS-Werten von 3 - 5 oder < 7 definieren, sind andere „großzügiger” und sprechen vom SHT bei GCS-Werten von ≤ 8 oder gar ≤ 9 und kommen verständlicherweise bereits durch diese unterschiedlichen Ausgangsdefinitionen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Anwendung unterschiedlicher Scoring Systeme, wobei sich die GCS als einfache, bereits am Unfallort zu erhebende Skala weitgehend und universell durchgesetzt hat, erschwert den Vergleich erheblich. Weitergehende Scores wie SAPS (Simplified Acute Physiology Score), APACHE-II (Acute Physiology and Chronic Health Evaluation), oder PRISM (Pediatric Risk of Mortality Score) bleiben in den meisten Fällen unberücksichtigt, obwohl sie das Schicksal der Patienten während der intensivmedizinischen Behandlung mit Sicherheit beeinflussen. Dem Vorteil der Einfachheit und nahezu universellen Verbreitung der Glascow Coma Scale steht die Tatsache gegenüber, daß es sich um eine relativ grobe Skalierung handelt, die subtile Unterschiede zwischen den Patienten nicht erfassen kann. Ein weiterer Einwand besteht im unterschiedlichen Zeitpunkt der Erfassung der GCS oder anderer Scores (Unfallort, Klinikaufnahme, Intensivstation). Viele Autoren warnen davor, die Einteilung anhand eines einmalig erhobenen Wertes vorzunehmen, da die Entwicklung gerade in den ersten Stunden nach SHT eine erhebliche Dynamik aufweist. Durch eine zielgerichtete initiale Therapie mit frühzeitiger Intubation und Analgosedierung, wie sie in Deutschland zum anerkannten Standard und weitgehend auch zur alltäglichen Routine geworden ist, wird eine Verfolgung des GCS über den Initialbefund hinaus verunmöglicht. Die verbale Antwort ist nach Intubation, die motorische Antwort nach Analgosedierung nun mal schwer zu erhalten. Ein wesentlicher Unterschied der „Outcome”-Studien liegt auch in der Wahl der Beurteilungskriterien des „Outcome” und ebenfalls in dem Zeitpunkt ihrer Erhebung. Dazwischen liegen die vielfältigen Unterschiede der intensivmedizinischen Therapie - auch wenn die spezifischen gehirnorientierten Therapieschemata noch einigermaßen standardisiert werden können und damit eine relative Vergleichbarkeit von multizentrischen Studien erreicht werden kann, sind die derzeitigen allgemeinen intensivmedizinischen Konzepte (Beatmung, Volumentherapie, Ernährungstherapie, Hämotherapie um nur einige zu nennen) so heterogen, daß es wohl keinem Studienleiter gelingen könnte, auch hier die Variabilität der Randbedingungen der begleitenden Intensivbehandlung auszuschalten. Bei der Beurteilung der Ergebnisse hat sich die Glascow Outcome Scale (GOS) weitgehend durchgesetzt, auch wenn gerade aus dem neurologischen Rehabilitationsbereich eine Reihe weiterer, subtilerer Beurteilungskriterien und Fragebogen erarbeitet worden sind. Sehr unterschiedlich sind die Zeitpunkte der definitiven Beurteilung des „Erfolges” nach SHT; sie reichen vom Zeitpunkt der Entlassung aus der Klinik, über ein halbes bis zu einem ganzen Jahr in den meisten Studien, bis hin zu mehreren Jahren in vereinzelten Studien, die die Rehabilitationsmaßnahmen mit in die Betrachtung aufnehmen. Alles in allem ist also auch der Endpunkt der klinischen Studien sehr inhomogen (mit Ausnahme des Endpunktes Tod oder Überleben) und macht die Vergleichbarkeit der zahlreichen Studien, die sich mit dem Outcome nach SHT beschäftigen, sehr schwierig.
In Übereinstimmung mit vielen anderen Autoren vertritt Markovitz [12] die Auffassung, daß aufgrund vielfältiger Ursachen, wie wir sie oben genannt haben, eine Schlußfolgerung für die praktische Entscheidung am individuellen Patienten derzeit nicht möglich sei, aber auch verallgemeinernde Schlußfolgerungen für therapeutische Strategien nur mit großer Vorsicht abgeleitet werden sollten. Das „Ethics Committee of the Society of Critical Care Medicine” betont dies ausdrücklich, indem es 1997 in einem gemeinsamen Konsensus verlautete: „The use of scoring systems as a sole guide to making decisions about wether to initiate or continue to provide intensive care is therefore inappropriate” [5].
Randolph und Mitarb. [15] empfehlen in einer ausgezeichneten Arbeit über das Verständnis von Publikationen, die sich mit dem „Outcome” in der Medizin beschäftigen, eine präzise und systematische Analyse der Methodik und der Ergebnisse von „Outcome”-Studien anhand eines Fragekatalogs, das wir im Originaltext aus der Arbeit von Markovitz [12] in Tab. [1] und [2] wiedergeben möchten.
Wendet man diesen kritischen Fragenkatalog auf die Arbeit von Thomas et al. [19] in diesem Heft an, so bleiben in der Tat eine Reihe von Fragen offen; umso anerkennenswerter ist es, daß die Autoren ihre Schlußfolgerungen kritisch und zurückhaltend gezogen haben. Ihre klinische Forderung, die sie aus der Studie ableiten, nämlich in der Prähospitalphase mit einer guten präklinischen Behandlungsstrategie Hypotension und oder Hypoxie zu verhindern, steht in Einklang mit einer Vielzahl neuerer Studien, die die Bedeutung der Prähospitalphase bei der Therapie des SHT betonen (frühzeitige Intubation, Vermeidung von Hypoxie, aggressive Therapie zur Stabilisierung des Kreislaufes und damit Aufrechterhaltung eines ausreichenden CPP) [3] [10] [20]. Insofern haben die Autoren einen weiteren, wertvollen Beitrag zu dieser Frage geleistet.
Es stellt sich nun die Frage, ob durch weitere und größere Studien die Prognostizierbarkeit des Verlaufs nach schwerem SHT verbessert werden kann? Derzeit sind die meisten Autoren der Auffassung, daß dies für den Einzelfall (für die „decision-making” am Patientenbett oder gar am Unfallort) nicht gelingen kann [9] [17], auch wenn einige wenige dies jetzt oder in der Zukunft für machbar halten [2]. Die Vorhersehbarkeit ist in den meisten Studien nicht ausreichend präzise, um Schlußfolgerungen für den Einzelfall zu ziehen. In einer neueren Studie von Nissen et al. wurden in Bezug auf Patienten mit schwerem SHT Vorhersagewerte von ca. 75 % bis maximal 84 % für verschiedene Endpunkte gefunden [13]. Für das Kriterium Überleben vs. Tod war der Vorhersagewert noch am größten (84,3 %), während für den Grad der Behinderung lediglich ein Vorhersagewert von 12,2 % erreicht wurde. Vergleicht man diese Zahlen mit den Aussagen von Jennett u. Mitarb. aus dem Jahre 1976, die bei 600 Patienten mit SHT eine korrekte Vorhersehbarkeit in ca. 44 - 61 % und bei dem Endpunkt Tod oder Überleben von 96 - 98 % angegeben haben, so stellt man in den letzten 20 Jahren keine erhebliche Steigerung der „Kraft” dieser Vorhersageberechnungen fest [6].
Die Aspekte der Prognose bei schwerst erkrankten Patienten und der Verwendung von Scores zur Entscheidungsfindung über Therapieabbruch oder -weiterführung am Krankenbett wurde ja unlängst gerade in der Laienpresse sehr emotional diskutiert und die Frage, inwieweit ein Computer über das Schicksal eines schwerst verletzten Patienten entscheiden könnte oder sollte ist ja in der Tat mit berechtigten Ängsten besetzt. Die aktuelle Diskussion zeigt, dass auf absehbare Zeit diese Entscheidung eine ärztliche Entscheidung bleiben wird, die weit über objektiv gewonnene Werte hinaus auch individuelle, soziökonomische und nicht zuletzt ethische Aspekte beinhaltet, somit in gewissem Maße subjektiv bleibt und sich der mathematischen Präzison entzieht. Darüber hinaus müssen kritische Entscheidungen immer den dynamischen Aspekt des Krankheitsverlaufes berücksichtigen und sollten nie auf einer einzelnen Befunderhebung fußen. Ein initial erhobener GCS Wert in etwa ist nicht aussagekräftig genug, um das gesamte Therapieregime darauf zu begründen [11]. Bei grundsätzlichen Entscheidungen, die auch über den Einzelfall hinausgehen, wird es vielleicht (unter dem Druck der zu erwartenden Ressourcenbeschneidung) notwendig werden - in Anlehnung an die Entwicklungen in den USA - ethische Komitees in den Krankenhäusern zu etablieren und zu versuchen, diese schwierigen Fragen im Konsens auch mit nicht-ärztlichen Gruppen zu lösen [8]. Es ist wohl ein Irrweg zu glauben, daß ein einzelner Parameter, eine CT-Aufnahme, ein Blutbild, ein gemessener Druckwert oder die Fütterung eines Software-Programms mit einer Vielzahl an solchen Einzelwerten, uns diese Entscheidung abnehmen kann. Wer programmiert ein solches Programm? Wer entscheidet, ab welchem Knick in der Überlebenswahrscheinlichkeitskurve unsere Bemühungen einzustellen sind oder gar nicht begonnen werden sollten? Nichtsdestotrotz sind Bemühungen, zu einer erhöhten Präzision in der Aussagekraft von Vorhersagewerkzeugen in der Intensivmedizin zu gelangen gerechtfertigt und ethisch vertretbar, solange an der Auffassung festgehalten wird, daß sie die auf den Einzelfall bezogene individuelle Entscheidung am Patientenbett nicht bestimmen (wenn auch berücksichtigt werden sollte, daß eine gewisse Gefahr der Beeinflussung unserer subjektiven Entscheidungen durch sog. „harte Zahlen” nicht zu leugnen ist und ein Einfluß auf die Ansichten der Kostenträger ebenfalls nicht auszuschließen ist). Aktuell werden erste Ergebnisse über den Einfluss einzelner Parameter aus Serum oder Liquor (S-100B-Protein, Apolipoprotein E Polymorphismus) auf die Prognose des SHT diskutiert, insbesondere in Bezug auf die Entwicklung des sog. Sekundärschadens. Sie beinhalten die These einer genetische Komponente der Beeinflussung des natürlichen Verlaufs nach SHT ([14] [18] [21]. Woertgen et al. [21] ordnen dem S-100B-Protein, einem Protein aus der Astroglia, eine höhere korrekte Vorhersehbarkeitsrate zu als der GCS oder einer Klassifizierung auf der Grundlage der CT-Befunde.
Bei aller kritischer Betrachtung von „Outcome”-Studien, wäre es aber falsch zu meinen, daß sie aus oben angeführten Gründen sinnlos oder entbehrlich seien. Im Gegenteil, die aktuellen Entwicklungen innerhalb und außerhalb der Medizin machen sie geradezu notwendig. Die Medizin wird zunehmend von der Öffentlichkeit und der Politik aufgefordert, sich mit den Folgen ihres Tuns vermehrt auseinander zu setzen. Tun wir das nicht selbst, werden es andere für uns tun! Auch im äußerst diffizilen Feld der Intensivmedizin wird diese Forderung nach vermehrter Transparenz erhoben und auch die Intensivmedizin muß sich in Zukunft an den Forderungen der „evidence-based-medicine” messen lassen. Sie muß sich auch der Frage nach der Sinnhaftigkeit ihres Handels oder Nicht-Handelns („medical futility”) stellen und nicht die Machbarkeit zum Maß aller Entscheidungen machen (vgl. auch [8] und [9]). Schon im Jahre 1992 äußerte Jennett die Auffassung, dass eine Behandlung, die zum Tode des Patienten oder zu einem nichtakzeptablen Grad der Versehrtheit führt, minimiert werden sollte („Treatment that results in death or survival with unacceptable disability should be minimized” [7]) und sprach bereits damals die Frage der Endlichkeit der finanziellen Mittel und ihrer gerechten Verteilung an („A decision to limit treatment can sometimes be made within 48 hours. Failure to decide may deny intensive care to other patients who could benefit” [7]. Diese Fragen sind heute wieder sehr aktuell; sie sind im berechtigten Interesse des Einzelnen, sei es als Betroffener oder lediglich als Beitragzahler, und der Öffentlichkeit, der Politik also, die zu einer möglichst gerechten Verteilung der öffentlichen Ressourcen verpflichtet sein sollte, sei es im Gesundheitswesen im Ganzen (im Verteilungskampf zwischen anderen Aufgaben der öffentlichen Hand) oder innerhalb der einzelnen Bereiche des Gesundheitswesens selbst, ein Feld auf dem der Verteilungskampf ja nicht minder entfacht ist. Die Politik, die Kostenträger, die Krankenhausträger und im Endeffekt der einzelne Beitragszahler wollen wissen, welche Ergebnisse mit den zur Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen erzielt werden. Es ist also mitnichten allein eine Frage des wissenschaftlichen Interesses der Ärzte, die uns zur Weiterführung von „Outcome”-Studien veranlassen sollte, sondern aktuelles Gebot, bedingt durch die Rahmenbedingungen der Mittelzuweisung innerhalb des Gesundheitwesens. Dabei müssen die Endpunkte der Untersuchungen subtiler berücksichtigt werden; Tod oder Überleben allein können nicht der einzige Endpunkt sein, um die „performance” einer Intensivtherapie beim SHT zu bewerten. Wir sollten unser Augenmerk auch auf die funktionellen Spätergebnisse lenken und Endpunkte wie Lebensqualität, Grad der Einschränkungen und Behinderungen, Unabhängigkeit von kontinuierlicher Pflege und auch die Wiedereingliederung in die Berufswelt mitberücksichtigen. Von diesen Langzeitergebnissen hängt auch die Zukunft von Rehabilitationsprogrammen und Rehabilitationseinrichtungen ab [1] [4]. Daß bei jeder einzelnen dieser Überlegungen - bei der Betrachtung der Prognosefrage unter sozioökonomischen und politischen Aspekten also, die ethische Dimension immer immanent berührt wird, steht außer Zweifel. Dies macht die Lösung der Fragestellung nicht einfacher, und die Intensivmediziner sind aufgefordert, sich in besonderem Maße mit der ethischen Dimension ihres Tuns zu beschäftigen. „Outcome”-Studien können eine solide Basis für solche Reflexionen darstellen. Es ist deshalb erforderlich, dass sie den Kriterien, wie sie Randolph und andere Autoren [15] aufgestellt haben (siehe Tabellen), genügen. Nur wenn wir in Zukunft aufzeigen können, was wir zu welchem Preis und mit welchem Ergebnis für den Einzelnen und die Gesellschaft zu leisten in der Lage sind, werden die notwendigen Ressourcen im schwer zu durchschauenden Verteilungskampf innerhalb des Gesundheitswesen in ausreichendem Maße auch an die Intensivmedizin vergeben werden.
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Prof. Dr. med. C. Krier
Klinik f. Anästhesiologie und operative Intensivmedizin
Katharinenhospital
Kriegsbergstr. 60
70174 Stuttgart