Rofo 2000; 172(7): 573-575
DOI: 10.1055/s-2000-4668
EDITORIAL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Biosignale für die radiologische Forschung

K. J. Klose
  • Abteilung für Strahlendiagnostik Medizinisches Zentrum für Radiologie Philipps-Universität Marburg
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 December 2000 (online)

Wir alle kennen das Szenario. Ein Patient sucht seinen Hausarzt wegen uncharakteristischer Abdominalbeschwerden, die ihn seit einiger Zeit plagen, auf. Nach sorgfältiger anamnestisch-klinischer Exploration, die außer einigen nicht zielführenden Symptomen und Befunden keine Auffälligkeiten bietet, werden weitergehende Untersuchungen veranlasst. Neben der Anordnung der üblichen Labortests zum Ausschluss hepatobiliopankreatischer oder intestinaler Erkrankungen greift der Kollege mehr oder weniger schnell auch zum Schallkopf und „screent” das Abdomen, wobei ihm ubiquitäre Gasansammlungen den klärenden Blick auf die Bauchspeicheldrüse verwehren. Zeit für komplexe Lagerungsmanöver bleibt nicht. Ein konklusiver Befund kann nicht erhoben werden. Man bespricht dies mit dem Patienten und vereinbart einen neuen Beratungstermin nach Eingang aller veranlassten Untersuchungen. Gegebenenfalls verordnet man je nach Erwartungshaltung des Patienten und eigener Überzeugung ein allgemein, insbesondere jedoch die Verdauung stimulierendes Medikament.

Nach Eingang der Laboruntersuchungen bleibt außer einigen grenzwertigen Befunden lediglich ein pathologisch erhöhter Tumormarker, wofür auch immer spezifisch. Was soll man nun dem Patienten raten?

Kontrolle des Laborbefundes nach einigen Wochen, sofortige Maximaldiagnostik mit weitergehenden bildgebenden Verfahren wie CT oder MRT. Der Blick schweift auf die nicht ausgeschöpften Versorgungsbudgets und man entschließt sich trotz angespannter Ausgabenlage und unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen möglichen Untersuchungstermine, den Patienten zu einer CT-Untersuchung zu schicken, an die dementsprechend hohe Erwartungen geknüpft werden.

Mit eben diesen hohen Erwartungen kommt der Patient zum Radiologen und erhält seine Untersuchung, die trotz angespannter Haushaltslage natürlich „state of the art” durchgeführt wird, da man ja gegebenenfalls einen sehr kleinen Prozess z. B. im Pankreas erwartet bzw. ausschließen möchte.

Leider werden die hochgesteckten diagnostischen Erwartungen enttäuscht, eine veritable Raumforderung lässt sich nicht nachweisen, allenfalls fallen diskrete Unregelmäßigkeiten an der Organkontur der Bauchspeicheldrüse verbunden mit leichten Inhomogenitäten in der Kontrastmittelaufnahme auf, was man dem Patienten mit ernster Miene vermittelt. Dieser ist natürlich heilfroh, dass kein „schlimmer Befund” erhoben werden konnte, bedankt sich überschwänglich und verlässt die Praxis, um das Ergebnis in den nächsten Tagen mit seinem Arzt (!) zu besprechen.

„Bleibt ein Rest zu tragen,... peinlich”, pflegte L. Dietheim in derartigen Situationen zu sagen. In der Tat beneiden wir in dieser Situation die Kollegen in der benachbarten Abteilung für Nuklearmedizin, die bei einem anderen Patienten mit krisenhaften Blutdruckspitzen und erhöhten Katecholaminwerten im Urin das Phäochromozytom der linken Nebenniere nicht nur lokalisieren, bilaterale oder ektope Tumoren mit hoher Treffsicherheit ausschließen, sondern durch Anwendung des Markers MIBG auch die spezifische Diagnose Phäochromozytom erhärten.

Die Errungenschaften der modernen Medizin überfordern uns tagtäglich mannigfaltig. Dank der guten medizinischen Grundversorgung in der Republik separieren sich die uns zugewiesenen Patienten immer mehr in zwei Kollektive, die höchst unterschiedliche Anforderungen an die Radiologie stellen.

Die erste Gruppe, eher den traditionellen Gepflogenheiten folgend, sucht unseren Rat erst, wenn wir meist kein diagnostisches Problem mehr haben und dank der modernen Medien der „new-generation@rad.century- 2.1K” nach R. Günther [1] ihre Prognose durch schnelle, gezielte Analyse der Literatur im Medline oder „evidence-based” vorgekaut in der Cochrane Library (auf CD-ROM) abschätzen können. Hier ist aus unserer Sicht alles im Lot, hier können wir triumphieren, leider hilft es dem Patienten in seiner speziellen Situation meist nicht mehr viel.

Die zweite Gruppe, sehr gesundheitsbewusst, bereitet uns Kopfschmerzen, weil wir hierfür derzeit nicht die angemessene Methode parat haben. Bei all dem Fortschritt eigentlich ein Paradoxon und dennoch wahr.

Trotz enormer Entwicklungen in der Gerätetechnologie, sei es in der

MRT durch immer schnellere Sequenzen, die eine artefaktfreie Darstellung der Oberbauchorgane in patientenfreundlich kurzen Zeiten ermöglichen, oder der Multi-slice CT, die uns mit immer mehr Daten isotroper Voxel im Submillimeterbereich überhäuft sowie den modernen Kontrastmitteln mit der enorm hohen Sicherheit für den Patienten und damit angenehm in der Anwendung für den applizierenden Radiologen

können wir die Signale des Patienten nicht mehr empfangen.

Dies gleicht einerseits der Situation in der Astronomie, wo mit immer höherem physikalischen Aufwand nach immer ferneren Sternen (Zellen) und Galaxien (Zellverbänden) gefahndet werden muss, da das Nahfeld schon erforscht ist, andererseits dem steten Lauschen auf die Nachricht fremder Zivilisationen, deren Sprache wir möglicherweise nur noch nicht verstehen und daher mit simplen Nachrichten unsererseits Ausschau halten.

„Röntgenbilder lügen nicht, wir müssen nur lernen, ihre Sprache zu verstehen,” sagte Antoine Beclère Anfang des letzten Jahrhunderts. Dieser Satz gilt zu Beginn des neuen Jahrtausends in Abwandlung auch für die modernen bildgebenden Verfahren und die neu zu entdeckenden Biosignale.

Im Gegensatz zur traditionellen physikalischen Basis der uns vertrauten bildgebenden Methoden (US, CT, MRT), die auf Absorption, Streuung, Protonendichte und Relaxationszeiten bzw. Schallleitungsfähigkeit, Ordnungszahl und magnetischen Eigenschaften bzw. deren physiologischen Derivaten (z. B. Blutfluss) beruhen, setzt die Bildgebung der Zukunft auf spezifische, in vivo vorkommende Moleküle als Ursache für Bildkontrastunterschiede.

R. Weissleder beschreibt die Schlüsselelemente im Zugang zum molekularen Imaging in seinem Editorial in Radiology im September 1999 [2] wie folgt:

Verwendung spezieller Bildgebungssonden/-vektoren oder -Konstrukte mit hoher Spezifität, ein Prinzip, das den nuklearmedizinischen Nachweisverfahren entgegenkommt, angemessene Verstärkungs-/ = Amplifikationsstrategien, die im Gegensatz zur klassischen Röntgentechnik nicht außerhalb, sondern im Patienten auf zellulärem Niveau liegen, und sensitive Systeme zur hochauflösenden Bildgebung, was die Rolle der Radiologie in dem zukünftigen Aufgabengebiet beschreibt.

Diese drei grundlegenden Schritte sind den molekularbiologischen In-Vitro-Nachweismethoden vergleichbar bzw. entsprechen den Schritten der Immunhistologie (Sonde = Antikörper, Verstärkung = z. B. Avidin - Biotin, Bildgebung - Mikroskop).

Mit der Entwicklung entsprechender Systeme sind folgende Applikationen denkbar:

Bildgebung zur Steuerung der Gen-Applikation Trotz der vielen bereits laufenden klinischen Gentherapiestudien sind grundlegende Arbeiten zur differenzierten Analyse der Effektivität von unterschiedlichen Systemen zur interventionellen Applikation notwendig. Dies birgt auch berufspolitische Aspekte in sich, da in Zukunft nur derjenige lokale Gentherapie machen wird, der in speziellen Kursen eingehende Kenntnisse erlernt hat und entsprechende „biologische Sicherheits-Zeugnisse” besitzt. Bildgebung zum Nachweis der Genexpression Bei systemischer Applikation der Vektoren ist die Verifizierung der Wirkung am Zielort zwar aus tierexperimentellen Studien partiell bekannt, eine Objektivierung bei klinischer Applikation ist jedoch vor einer breiten klinischen Anwendung notwendig. Hier erwarten die Grundlagenforscher eine entsprechende Anstrengung von uns. Ziel sollte die Entwicklung universeller „Reporter-Gene” sein, mit denen sich die Aktivität unterschiedlicher Promotoren im zeitlichen Verlauf erfassen lässt. Früherkennung und molekulare Charakterisierung Hier schließt sich der Kreis zu unserem eingangs gewählten Szenario. Erste Ansätze dieses Weges sind mit verschiedenen Enzymen bzw. Markern (Kathepsine, PSA, Matrix-Metallo-Proteinasen) zur Zeit in der Entwicklung und setzen insbesondere einen intelligenten Einsatz von Präcursoren voraus. Bildgebung der medikamentösen Therapie Für die neue Bildgebung ist eine andere Form der Medikamentenentwicklung mit Computersimulation und anschließender In-Vivo-Testung notwendig. Hier hat die molekulare Bildgebung Grundlagenaufgaben in der Bestimmung der Pharmakokinetik und -dynamik zu erfüllen, um Wirkung und Effektivität der neuen Marker zu bestimmen.

Hierzu bedarf es mehr als der Anstrengung einzelner Forscher, da bei dem Wettbewerb um entsprechende Mittel hierfür zunehmend weniger Erfolgsaussichten gegenüber den Mittelgebern signalisiert werden können.

Die nordamerikanische Röntgengesellschaft (RSNA) hat zusammen mit den befreundeten Fachgesellschaften (AIMBE und BECON) im NIH im Juni 1999 ein Strategie-Meeting zum Thema „Visualizing the Future of Biology and Medicine” abgehalten, in dem Empfehlungen für die zukünftige Förderpolitik der Grundlagenforschung im Bereich der biomedizinischen Bildgebung erarbeitet wurden, die abschließend zusammenfassend wiedergegeben werden sollen:

Multidisziplinäre Forschungsprogramme mit spezifischem Schwerpunkt auf dem Gebiet der molekularen Bildgebung und der bildgestützten Therapie. Bildgebung, Sonden und Kontrastmittel Neueste Entwicklungen eröffnen die Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bildgebender Verfahren, die zusammen mit neuartigen molekularen Markern den Nachweis spezifischer biologischer Prozesse eröffnen. Ausbildung und Training Neue Ausbildungsprogramme in molekularer Bildgebung sind notwendig, um Nachfolgegenerationen an Wissenschaftlern heranzuziehen für die die Prinzipien der Bildgebung, Physik, Molekularbiologie, Physiologie, Pathophysiologie und Pharmakologie ein intellektuelles Kontinuum darstellen.

Hierzu sollen zwei Übersichtsartikel in den nächsten Heften einen ersten Anstoß geben und finden hoffentlich bei den Lesern der Röntgenfortschritte eine entsprechende Resonanz.

„Geht der radiologischen Forschung die Luft aus?” fragt M. Thelen [3] in einem Editorial in dieser Zeitschrift Anfang 1998 und kommt zu dem Schluss, „dass der wichtigste Schritt nach Erkennung des Problems der Wechsel aus der Rolle der Reagierenden auf die Bühne der Akteure ist”. Auch wenn dieser Schlusssatz nicht auf die spezifische Situation der Molekularen Bildgebung abzielt, mit der wir aus dem vorher Gesagten konfrontiert werden, so gilt er dennoch auch für die vor uns liegende Aufgabe, uns nach den Errungenschaften der traditionellen Radiologie mit den Erfolgen der anderen Fachdisziplinen zu beschäftigen, die unter anderem auf dem Gebiet der molekularen Medizin liegen.

Dabei kann die gemeinsame Initiative der Deutschen Röntgengesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Strahlentherapie bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit der Werbung um die Notwendigkeit einer eigenständigen radiologie-spezifischen Forschung auf dem Gebiet mit der hieraus resultierenden Initiative zum Thema „Mikromilieu solider Tumoren” nur ein Anstoß sein, getragen werden muss diese Entwicklung von der „new-generation@rad.century- 2.1K” durch Aneignung des erforderlichen Wissens und die kontinuierliche Formulierung von entsprechenden Forschungsanträgen.

Anregungen hierzu können sich Interessierte auf dem international besetzten Symposium „Molecular Radiology” in Marburg am 21. und 22. Oktober 2000 [4] von einem ausgewählten Kreis von Experten auf diesem Gebiet holen.

Literatur

  • 1 Günther R W. Presidential Address - Opening ceremony ECR 2000. Radiology 2000: new-generation@rad.century- 2.1K.  Eur Radiol. 2000;  1 1038-1041
  • 2 Weissleder R. Molecular Imaging: Exploring the Next Frontier.  Radiology. 1999;  212 609-614
  • 3 Thelen M. Geht der radiologischen Forschung die Luft aus?.  Fortschr Röntgenstr. 1998;  168 1-3
  • 4 Informationen unter: www.uni-marburg.de/mzr

Prof. Dr. K. J. Klose

Abt. für Strahlendiagnostik Medizinisches Zentrum für Radiologie

Philipps-Universität

Baldingerstraße

35043 Marburg

    >