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DOI: 10.1055/s-2000-5942
„Spontanisieren” der Atmung im Rahmen der Narkoseausleitung - Kontra
Publication History
Publication Date:
31 December 2000 (online)
Es ist eine weit verbreitete Praxis im Rahmen der Narkoseausleitung vor dem Aufwachen des Patienten durch Hypoventilation eine Spontanatmung des Patienten zu erreichen. Zum Teil wird auf diese Weise auch bereits vor dem definitiven Ende des operativen Eingriffs eine Spontanatmung angestrebt. Dem Autor sind keine Studien bekannt, die Vorteile eines „Spontanisieren” der Atmung im Rahmen der Narkoseausleitung belegen. Eine kritische Durchsicht der physiologischen Grundlagen der Atmung sowie der publizierten Daten zur Beeinträchtigung der Atmung durch Anästhetika lässt keine Vorteile eines „Spontanisierens” erwarten.
Normalerweise regelt das ZNS die alveoläre Ventilation entsprechend dem Bedarf des Organismus. Neben Regelkreisen zur Aufrechterhaltung konstanter CO2, O2 und H+-Ionen Konzentrationen steht das Atemzentrum unter dem Einfluss höherer zentral-nervöser Strukturen. Willkürliche In- und Exspiration sind möglich, körperliche Anstrengung, emotionaler Stress und Schmerzwahrnehmung werden über eine zentrale Mit-Innervation dem Atemzentrum zugeleitet. Die Abhängigkeit der Atmung vom CO2-Spiegel kann durch die CO2-Antwortkurve dargestellt werden. Bei pCO2-Werten oberhalb einer Schwelle steigt das Atemminutenvolumen (AMV) quasi linear an. Unterhalb dieser individuell variablen Schwelle (meist knapp unterhalb des normalen pCO2-Ruhewerts) ist das AMV zunächst weitgehend unabhängig vom pCO2 (sog. Hockey-Schläger-Kurve).
Die CO2-Antwortkurve wird durch Anästhetika dosisabhängig nach rechts verschoben und abgeflacht [1], zusätzlich entfallen Einflüsse höherer zentral-nervöser Strukturen. Bereits eine Normoventilation führt unter Einfluss von Anästhetika in der Regel zu einem Sistieren der spontanen Atmung. Um eine Wiederaufnahme der Spontanatmung zu erreichen, kann der Patient hypoventiliert werden; überschreitet der pCO2 die o.g. Schwelle setzt die Spontanatmung wieder ein. Alternativ kann normoventiliert werden, bis die Wirkung der Anästhetika soweit abgeklungen ist, dass Spontanatmung einsetzt.
Aus einem durch Hypoventilation provoziertem „Spontanisieren” der Atmung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass der Patient schneller aus der Narkose erwacht. Wir müssen davon ausgehen, dass die Rückkehr höherer corticaler Funktionen wie Bewußtsein primär von der Konzentration der Anästhetika im ZNS abhängig ist. Die Abnahme der Anästhetikakonzentration im ZNS wird aber weder durch Hypoventilation noch durch das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein spontaner Atmung beschleunigt. Allenfalls kann diskutiert werden, ob bei Verwendung volatiler Anästhetika eine Hypoventilation die „Abatmung” des Anästhetikums nicht sogar verzögert.
Es könnte argumentiert werden, dass die Wiederaufnahme spontaner Atemaktivität in der Schlussphase eines operativen Eingriffs Rückschlüsse über die Narkosetiefe erlaubt. Somit könnte der Anästhesist die Zufuhr der Anästhetika genauer dem individuellen Bedarf des Patienten anpassen. Durch Vermeidung unnötig tiefer Narkosen könnten verlängerte Aufwachphasen vermieden werden. In der Tat stimulieren Schmerz und chirurgische Stimulation das Atemzentrum, die CO2-Antwortkurve wird nach links verschoben und steiler. Aus Beobachtungen, dass beide Einflüsse einander entgegengesetzt wirken [2], kann nicht automatisch auf den antagonistischen Wirkmechanismus geschlossen werden [3]. Auch kann man nicht unmittelbar folgern, dass dieses klinisch sinnvoll ausgenutzt werden kann. (Aus der Überlegung, ein Kfz werde über das Gaspedal beschleunigt und über die Bremse verzögert, kann nicht geschlossen werden, es sei sinnvoll bei Tempo 50 km/h mit voll durchgetretenem Gaspedal und angezogener Handbremse zu fahren).
Bereits die atemdepressiven Effekte einzelner Anästhetika besitzen eine ausgesprochen große intra-individuelle Variabilität [4]. Es muß davon ausgegangen werden, dass die intra-individuelle Variabilität durch Hinzutreten weiterer Effekte eher noch gesteigert sein könnte. Neben dem chirurgischen Stimulus bzw. Schmerzreiz stellt möglicherweise der pCO2-Anstieg per se einen starken Stressor dar, der eine Aufwachreaktion induziert. In Betracht gezogen werden müssen aber auch Beobachtungen, dass eine Hyperkapnie die Schmerzschwelle anhebt, ein Effekt, der vermutlich auf Ausschüttung von Endorphinen zurückzuführen ist [5]. Auch kann, insbesondere bei Verwendung von Opiaten eine Toleranz auch hoher pCO2-Werte ohne Aufnahme spontaner Atemaktivität eine tiefe Narkose vortäuschen, ohne dass Awareness sicher ausgeschlossen wäre. Ich halte daher spontane Atemtätigkeit vor Ende des operativen Eingriffs nicht für einen zuverlässigen Parameter zur Beurteilung der Narkosetiefe.
Es empfiehlt sich daher, solange ein Nutzen des „Spontanisieren” der Atmung im Rahmen der Narkoseausleitung nicht durch klinische Studien belegt wurde, auf ein „Spontanisieren” zu verzichten. Trotz eines möglicherweise bestehenden psychologischen Drucks auf den Anästhesisten, im Interesse der Fortsetzung des operativen Betriebs den Patienten schnell aufwachen zu lassen, sollte man nicht in einen vermeintlichen Aktionismus verfallen. Statt dessen sollte der Patient normoventiliert werden, bis die Wirkung der Anästhetika abgeklungen ist, und eine weitere Beatmung nicht mehr erforderlich ist.
Literatur
- 1 Sollevi A, Lindahl S GE. Hypoxic and hypercapnic ventilatory responses during isoflurane sedation and anaesthesia in women. Acta Anaesthesiol Scand. 1995; 39 931-938
- 2 Borgbjerg F M, Nielsen K, Franks J. Experimental pain stimulates respiration and attenuates morphin-induced respiratory depression: a controlled study in human volunteers. Pain. 1996; 94 123-128
- 3 Sarton E, Dahan A, Teppema L, Berkenbosch A, van den Elsen M, van Kleef J. Influence of acute pain induced by activation of cutaneous nociceptors on ventilatory control. Anesthesiology. 1997; 87 289-296
- 4 Lehmann K A, Neubauer M-L, Daub D, Kalff G. CO2-Antwortkurven als Maß für eine opiatbedingte Atemdepression. Anaesthesist. 1983; 32 242-258
- 5 Gamble G D, Milne R J. Hypercapnia depresses nociception: endogenous opioids implicated. Brain Res. 1990; 220 198-258
Dr. med. H. Röpcke
Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und spezielle Intensivmedizin der Universität
Sigmund-Freud-Str. 25
53127 Bonn