Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2000; 35(9): 605-607
DOI: 10.1055/s-2000-7094-10
MINI-SYMPOSIUM
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Untersuchung der Bindung von Anästhetika an cerebrale Adrenozeptoren

P.  H.  Tonner, T.  Krause, A.  Paris, J.  Scholz, J.  Schulte am Esch
  • Klinik für Anästhesiologie (Direktor: Professor Dr. med. J. Schulte am Esch) Universitäts-Krankenhaus Eppendorf, Hamburg
Further Information

Publication History

Publication Date:
28 April 2004 (online)

Zahlreiche Wirkungen von Anästhetika auf das zentrale Nervensystem sind seit Beginn der Ära der modernen Anästhesie mit der öffentlichen Demonstration einer Äthernarkose durch W.T.G. Morton im Massachusetts General Hospital in Boston 1846 beschrieben worden. Diese Effekte werden durch Bindung von Anästhetika an verschiedene Strukturen des ZNS hervorgerufen. So konnte gezeigt werden, dass die Wirksamkeit von Anästhetika mit ihrer Löslichkeit in Lipiden korreliert (Meyer-Overton Korrelation), dass aber auch Bindungsstellen an wasserlöslichen Proteinen existieren. Der genaue molekulare Wirkmechanismus von Anästhetika ist aber, trotz einer Vielfalt an Befunden an verschiedenen Modellsystemen, bis heute nicht eindeutig geklärt worden. Neben einem unspezifischen Wirkort, wie zum Beispiel der Lipidzellmembran, sind Anästhetika auch spezifische Wirkorte zugeschrieben worden, wie zum Beispiel umschriebene Bindungsstellen an bestimmten Proteinen. Im Vordergrund des Interesses stehen dabei die Aktivierung von inhibierenden Signaltransmissionssystemen, wie zum Beispiel dem Gamma-Aminobuttersäure (GABA)-Rezeptor, oder aber die Inaktivierung exzitatorischer Systeme, wie dem N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptor. Im Gegensatz zu diesen ligandgesteuerten lonenkanälen gehören Adrenozeptoren der Gruppe der Rezeptoren an, deren Wirkung über G-Proteine vermittelt wird. Seit den 60er Jahren ist bekannt, dass Agonisten eines Subtyps von α-Adrenozeptoren, die sogenannten α2-Adrenozeptoren, eine sedativ-hypnotische Wirkkomponente aufweisen.

α2-Adrenozeptoren verfügen über viele Eigenschaften, die die Verwendung dieser Gruppe von Medikamenten in der Anästhesie wünschenswert erscheinen lässt. Schon vom Prototyp der α2-Adrenozeptoragonisten, dem Clonidin, wurde berichtet, dass es neben der blutdrucksenkenden Wirkung eine sedierende Wirkkomponente besitzt. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass Clonidin auch eine anästhetikasparende Wirkung ausübt, wenn es unmittelbar präoperativ oder intraoperativ verabreicht wird [1]. Dem hochspezifischen vollen α2-Adrenozeptoragonisten Dexmedetomidin ist sogar eine vollständige anästhetische Wirkung zugesprochen worden. Nicht zuletzt rufen α2-Adrenozeptoragonisten aber auch analgetische und anxiolytische Wirkungen hervor. In der Intensivmedizin werden α2-Adrenozeptoragonisten aber nicht nur zur Analgosedierung, sondern auch zur Therapie der im Opiat- und Alkoholentzug auftretenden Symptomatiken eingesetzt.

Zur Untersuchung der Bindung Anästhetika an α2-Adrenozeptoren im Hirngewebe von Ratten haben wir eine Methode entwickelt, um die Verdrängung der Bindung eines radioaktiv markierten Agonisten wie zum Beispiel von 125J-Parajodoclonidin (PIC) in Anwesenheit verschiedener Konzentrationen des untersuchten Anästhetikums an Gefrierschnitten von Rattenhirnen autoradiographisch zu erfassen [2] [3] [4]. Die Rezeptorautoradiographie besitzt gegenüber anderen Rezeptorbindungsstudien den Vorteil, dass regionale Verteilungen der Bindung der untersuchten Substanzen gemessen werden können. Wie schon beschrieben, wird das Rattenhirn komplett mit dem Hirnstamm entnommen. Um den Metabolismus des Gewebes möglichst schnell zu stoppen, wird das Gewebe zunächst bei -30°C in dem Lösungsmittel Isopentan eingefroren und nach Einbettung des Gewebes in ein Gefriermedium bis zur endgültigen Verwendung bei -80°C tiefgekühlt gelagert. Isopentan wird zum initialen Einfrieren verwendet, da es das Gewebe schnell gleichmäßig durchtränkt und so Risse durch Temperaturunterschiede im Gewebe bei ungleichmäßigem Einfrieren vermieden werden können. Hirnschnitte werden erstellt, indem das Gewebe bei einer Temperatur von -20°C auf Kryostatblöcke aufgefroren wird. Die so vorbehandelten Proben werden mit einem Ultramikrotom in einer Schichtdicke von 15 - 20 µm geschnitten. Die Orientierung der Schnitte (frontal, sagittal, parasagittal, etc.) ist abhängig von der untersuchten Fragestellung und von der zu untersuchenden Hirnregion. Die Hirnschnitte werden auf einen Objektträger aufgebracht und mit kaltem TRIS-Puffer gewaschen, um überschüssige Liganden zu entfernen, die die Messung in unkontrollierter Weise beeinflussen könnten. Das weitere Vorgehen entspricht weitgehend der Methodik von einfachen Rezeptorbindungsstudien. Die spezifische Bindung eines radioaktiv markierten Agonisten wird ermittelt, indem der Agonist mit den Hirnschnitten inkubiert wird. Durch simultane lnkubation des radioaktiven Agonisten mit einem Überschuss an nicht radioaktiv markierten Agonisten kann dann die unspezifische Bindung ermittelt werden. Der Effekt eines Anästhetikums auf die Bindung des Agonisten wird erfasst, indem der radioaktiv markierte Agonist in Anwesenheit von verschiedenen Konzentrationen des Anästhetikums mit den Hirnschnitten inkubiert wird. Auf diese Weise lässt sich die Konzentrationsabhängigkeit der Verdrängung des Angonisten ermitteln. Nach der Inkubation der Hirnschnitte mit den zu untersuchenden Substanzen werden die Schnitte wiederum in kaltem TRIS-Puffer intensiv gewaschen, um nicht gebundene Radioaktivität vollständig zu entfernen.

Für die Rezeptorautoradiographie werden die Hirnschnitte dann auf einen für die Art des radioaktiven Markers sensitiven Autoradiographiefilm aufgebracht. Die Zeitdauer der Exposition ist abhängig von dem benutzten radioaktiven Isotop und kann zwischen wenigen Tagen (125J) beziehungsweise mehreren Monaten (3H) variieren. Der Film wird dann entwickelt und fixiert. Die Auswertung des Films erfolgt densitometrisch.

In einer ersten mittels dieser autoradiographischen Rezeptorbindungstechnik durchgeführten Untersuchung konnte gezeigt werden, dass die beiden intravenösen Anästhetika Propofol und Ketamin auch in hohen Konzentrationen nicht in der Lage sind, den α2-Adrenozeptoragonisten PIC aus seiner Bindung an cerebrale α2-Adrenozeptoren zu verdrängen [4]. Propofol gehört zu den potentesten der derzeit klinisch verwendeten intravenösen Anästhetika. Die anästhetische Potenz von Propofol korreliert wie nach der Meyer-Overton-Regel gefordert gut mit seiner hohen Lipidlöslichkeit. Aus diesem Grund ist Propofol eine im Wesentlichen unspezifische Wirkweise zugeschrieben worden. Darüber hinaus konnte aber auch gezeigt werden, dass Propofol in klinischen Dosierungen nikotinerge Acetylcholinrezeptoren, GABA-Rezeptoren sowie auch Natrium- und Chloridkanäle in ihrer Funktion beeinflussen kann. Von Ketamin konnte dagegen in klinischen Konzentrationen im wesentlichen eine Inhibierung von NMDA-Rezeptoren demonstriert werden. Obwohl Ketamin auch auf andere Signal-übermittelnde Proteine, wie zum Beispiel nikotinerge Acetylcholinrezeptoren einwirkt, scheint es im Gegensatz zu den meisten anderen Allgemeinanästhetika keine Wirkung auf die GABAerge Transmission zu besitzen.

Agonisten von α2-Adrenozeptoren werden pharmakologisch in Phenylethylamine, Imidazoline und Oxaloazepine eingeteilt. Eine chemisch-strukturelle Verwandtschaft zwischen α2-Adrenozeptoragonisten und klinisch verwendeten Allgemeinanästhetika ist nur vom Imidazolderivat Etomidat bekannt. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass Etomidat an cerebrale α2-Adrenozeptoren binden kann und in hohen Konzentrationen eine komplette Verdrängung des α2-Adrenozeptoragonisten PIC bewirkt [2]. Dass diese Wirkung nicht nur in vitro, sondern auch in vivo von Bedeutung ist konnte am Tiermodell dargestellt werden. So wurde bei Kaulquappen, die mit Etomidat anästhesiert wurden, durch simultane Applikation des α2-Adrenozeptorantagonisten Atipamezol eine Reduktion der Wirkstärke des Anästhetikums hervorgerufen [5]. Im Gegensatz zu dieser Wirkung von Etomidat konnte vom Barbiturat Thiopental kein Effekt auf cerebrale α2-Adrenozeptoren gezeigt werden. In Gegenwart des α2-Adrenozeptorantagonisten Atipamezol konnte entsprechend gezeigt werden, dass die anästhetische Wirkung von Thiopental unverändert war.

Abgesehen von diesen Effekten von Allgemeinanästhetika auf cerebrale α2-Adrenozeptoragonisten konnte demonstriert werden, dass auch die klinisch beschriebenen Interaktionen von Opioiden mit α2-Adrenozeptoragonisten mit der beschriebenen Rezeptorautoradiographie untersucht werden können. Einige der Wirkungen des wenig spezifischen Opioidanalgetikums Pethidin wie zum Beispiel der Effekt auf das postanästhetische Shivering können vermutlich über eine Bindung von Pethidin an cerebrale α2-Adrenozeptoren erklärt werden [6]. Neuere Untersuchungen gehen dabei von einer Wirkung auf den α2B-Adrenozeptorsubtyp aus [7].

Anästhetika weisen in Abhängigkeit von ihren physikochemischen Eigenschaften im Organismus zahlreiche Wirkungen auf Die Untersuchung der Wirkungen von Anästhetika auf spezifische Rezeptorsysteme ergibt nicht nur neue Erkenntnisse in Bezug auf das jeweilige Nebenwirkungsspektrum einer Substanz. Es zeichnet sich ab, dass im Sinne einer „multi-site theory of anaesthesia” auch bisher nicht bekannte spezifische Wirkorte von Anästhetika im Zentralen Nervensystem beschrieben werden können.

Literatur

  • 1 Ghignone M, Quintin L, Duke P C, Kehler C H, Calvillo O. Effects of clonidine on narcotic requirements and hemodynamic response during induction of fentanyl anesthesia and endotracheal intubation.  Anesthesiology. 1986;  64 36-42
  • 2 Tonner P H, Krause T, Scholz J, Twisselmann H, Schulte am Esch J. Etomidate interaction with cerebral alpha2-adrenoceptors.  J. Neurosurg. Anesth.. 1997;  9 386
  • 3 Krause T, Schweers S, Tonner P H, Scholz J. Wechselwirkungen von Bupivacain mit zentralen Alpha2-Adrenozeptoren.  Anästhesiol. Intensivmed. Notfallmed. Schmerzther.. 1998;  33 5220
  • 4 Scholz J, Tonner P H, Krause T, Paris A, Steinfath M, Wappler F, von Knobelsdorff G. IInteraktion intravenöser Anästhetika mit cerebralen Alpha2-Adrenozeptoren.  Anästhesiol. Intensivmed. Notfallmed. Schmerzther.. 1999;  34 642-647
  • 5 Tonner P H, Scholz J, Suppe E, Krause T, Schulte am Esch J. The alpha2-adrenergic antagonist atipamezole reduces the anesthetic effect of etomidate.  Anesthesiology. 1997;  87 A 636
  • 6 Krause T, Scholz J, Tonner P H, Schweers S, Schulte am Esch J. Wechselwirkungen von Pethidin und Tramadol mit zentralen Alpha2-Adrenozeptoren. Hinweise auf einen möglichen Wirkmechanismus in der Reduktion von postoperativem Kältezittern.  Anästh. Intensivmed.. 1999;  40 873-874
  • 7 Takada K, Tonner P H, Maze M. Meperidine functions as an alpha2B adrenoceptor agonist.  Anesthesiology. 1999;  91 A 809

Priv.-Doz. Dr. Peter H. Tonner

Klinik für Anästhesiologie

Universitäts-Krankenhaus Eppendorf

Martinistrasse 52

20246 Hamburg

Email: tonner@uke.uni-hamburg.de

    >