Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2000; 35(9): 607-608
DOI: 10.1055/s-2000-7094-11
MINI-SYMPOSIUM
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Kinetik der Inhibition nichtdepolarisierender: Muskelrelaxantien am nikotinergen Acetylcholinrezeptor

I.  Wenningmann1 , J.  P.  Dilger2
  • 1Klinik für Anästhesiologie und spezielle Intensivmedizin, Universitätskliniken Bonn.
  • 2Departments of Anesthesiology and Physiology and Biophysics, University at Stony Brook, Stony Brook, New York
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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Die neuromuskuläre Endplatte ist eines der am besten untersuchten Beispiele einer chemischen Synapse. Trotzdem ist eine vollständige Beschreibung ihrer Inhibition durch nichtdepolarisierende Muskelrelaxantien (NDMR) wegen ihrer Komplexität bislang nicht möglich.

Teil dieser Komplexität ist die Tatsache, dass ein Equilibrium zwischen Neurotransmitter, NDMR und Acetylcholinrezeptor (AChR) nie erreicht wird. Während der neuromuskulären Erregung wird Acetylcholin (ACh) vom Motorneuron freigesetzt, diffundiert durch den synaptischen Spalt, bindet am AChR und öffnet den Kanal. Nachdem der Kanal sich wieder schließt, dissoziiert ACh vom Rezeptor ab und wird durch die Acetylcholinesterase hydrolysiert. Die Acetylcholinesterase ist eines der schnellsten Enzyme des Organismus. Es kommt kaum zu einer erneuten Bindung eines ACh-Moleküls am Rezeptor. Der ganze Vorgang ist in weniger als 1,5 ms abgeschlossen. Die Synapse ist dann wieder für eine erneute Erregungsübertragung vom Nerven zum Muskel bereit.

NDMR inhibieren die Transmission an der neuromuskulären Endplatte durch Bindung am AChR. Es ist allgemein anerkannt, dass ihr Hauptmechanismus die kompetitive lnhibition an eine der beiden ACh Bindungsstellen am AChR ist. Beide Bindungstellen müssen durch ACh besetzt sein, um den Rezeptor zu öffnen. Die Bindung hingegen von nur einem NDMR Molekül reicht aus, um den Kanal am Öffnen zu hindern.

Wir haben uns die Fragen gestellt:

Wie schnell binden und dissoziieren NDMR am AChR? Können diese Moleküle während einer neuromuskulären Erregung vom Rezeptor dizzoziieren?

Wir haben deshalb die Assoziations- und Dissoziation-Raten für die beiden NDMR Pancuronium und d-Tubocurare am fetalen Maus AChR untersucht. Dafür haben wir ein neues 3 Kanülen Perfusionssystem konstruiert, das uns eine zeitlich gezielte Applikation von NDMR und ACh an outside-out-Patchen erlaubt. Um die Kinetiken des Wirkbeginns (kon) für NDMR am Rezeptor zu bestimmen, perfundierten wir die Patche für variable Zeitintervalle (10 - 1500 ms) mit dem Muskelrelaxans und bestimmten dann den Strom nach Applikation von 100 µM ACh, um die Fraktion der freien Rezeptoren zu bestimmen. Um die Kinetiken des Wirkungsendes (koff) zu bestimmen, equilibrierten wir die Rezeptoren mit NDMR, perfundierten für ein bestimmtes Intervall mit NDMR freier Lösung und applizierten dann ACh.

Wir wiederholten dieses für verschiedene NDMR Konzentrationen. Die Raten der Wirkkinetik kon und koff wurden nach der Voraussage des single-site Bindungs Modell berechnet; dieses beschreibt die stärker affine der beiden NDMR Bindungsstellen.

Die Potenzen von Pancuronium und d-Tubocurare unterscheiden sich hauptsächlich durch ihre unterschiedlichen Dissoziationsraten. Pancuronium ist 7 mal potenter als d-Tubocurare (5 vs. 35 nM) und dissoziiert 5 mal langsamer als d-Tubocurare (1.7 bs 8.5/s) vom Rezeptor. Die Dissoziationsrate war für beide Medikamente konzentrationsunabhängig. Die Assoziationsrate für beide Substanzen ist nahezu diffusionslimitiert (∼2 × 108/ M/s) [1]. Die Raten für d-Tubocurare sind 100-fach schneller als zuvor publizierte Wert [2]. Der Grund dafür mag in dem unvollständigen Lösungswechsel des von dem in der Untersuchung benutzen 2 Kanülen Perfusionssystem liegen.

Die Dissoziation von Muskelrelaxantien vom Rezeptor könnte zu langsam sein, um eine signifikante Rolle bei dem synaptischen Ereignis zu spielen. Zu beachten ist aber, dass unsere Experimente bei Raumtemperatur durchgeführt wurden. In vivo Kinetiken könnten erheblich schneller sein. Sowohl Diffusion als auch Gating des Kanals sind bei Körpertemperatur beschleunigt. Zudem ist zu erwarten, dass Substanzen mit einer niedrigeren Potenz schneller vom Rezeptor abdissoziieren als die von uns verwendeten NDMR. Deshalb werden weitere Substanzen bei Körpertemperatur und am menschlichen AChR untersucht.

Die kinetische Untersuchung des nikotinergen AChR hilft einerseits den Mechanismus der neuromuskulären Übertragung besser zu verstehen, zum anderen kann unsere Methode Beispiel für die Untersuchung von Medikament-Wirkkinetiken an anderen Ionenkanälen/Synapsen sein.

Literatur

  • 1 Wenningman I, Dilger J P. The kinetics of d-tubocurarine and pancuronium binding to nicotinic acetylcholine receptors.  Anesthesiology. 1999;  91 A-1046
  • 2 Bufler J, Wilhelm R, Parnas H, Franke C, Dudel J. Open channel and competitive block of the embryonic form of the nicotinic receptor of mouse myotubes by (+)-tubocurarine.  J. Physiol. (Lond.). 1996;  495 83-95

Dr. med. I. Wenningmann

Klinik für Anästhesiologie und spezielle Intensivmedizin Universitätskliniken Bonn

Sigmund Freud Str. 25

53105 Bonn

Email: wenningman@uni-bonn.de

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