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DOI: 10.1055/s-2000-7193
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Sterbehilfe in Europa - gibt es Alternativen?
Publication History
Publication Date:
31 December 2000 (online)
Die unstrittig großen Erfolge in allen Bereichen der modernen Medizin haben neben dem Vertrauen der Bevölkerung in diese Medizin auch Ängste vor einer menschenunwürdigen Praxis der gewaltsamen Lebensverlängerung hervorgerufen.
Die in Deutschland immer wieder artikulierte Forderung zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe und die Erfahrungen in den Niederlanden mit der Durchführung der Euthanasie fordern uns heraus, über die ethische, standesrechtliche und rechtliche Zulässigkeit der lebensbeendenden Maßnahmen nachzudenken. Die Frage ist aber auch, ob wir nicht eine Alternative anbieten können, um unerträgliche Schmerzen, aussichtsloses Leiden und Verlust der Würde verhindern können.
Die Arbeit von T. Wernstedt u. Mitarbeitern „Sterbehilfe in Europa” ist ein wichtiger Beitrag, der uns dafür sensibilisieren muß, daß Sterbehilfe in ganz Europa ein heiß diskutiertes Thema ist.
Ausgehend vom Hippokratischen Eid gehen die Autoren auf die Problematik der heutigen Zeit ein und stellen die Frage, wann die modernen medizinischen Möglichkeiten vom Nutzen für den Patienten in das Gegenteil umschlagen und ob der Mensch überhaupt jemals ein Recht hat, über das Leben eines anderen zu verfügen. Ein kurzer historischer Abriss zeigt auf, dass der Euthanasiebegriff in der Antike, während des Nationalsozialismus in Deutschland und in der Gegenwart ganz unterschiedlich verwendet wurde und wird. Auf Grund unserer Vergangenheit wird für das gezielte aktive Herbeiführen des Todes eines Menschen der Begriff Euthanasie weitgehend vermieden und dafür mit aktiver Sterbehilfe umschrieben.
Unklarheiten in den Definitionen erschweren die Diskussion im internationalen Gedankenaustausch ebenso wie in der Betrachtung theologischer und philosophischer Argumente. Zwei unterschiedliche philosophische Positionen sind für die Zulässigkeit von Sterbehilfebegriffen entscheidend. In der deontologischen Ethik, die auf die Absicht des Handelnden und nicht auf die Folgen abzielt, ist die Differenzierung in aktive, passive und indirekte Sterbehilfe sinnvoll.
Aus der Sicht des Utilitarismus, der sich an den Folgen einer Handlung und nicht an der Art der Handlung orientiert, ist eine Unterscheidung zwischen aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe sinnlos.
Das Recht auf Leben ist in allen europäischen Verfassungen als menschliches Grundrecht verankert und aktive Sterbehilfe in den von den Autoren untersuchten Staaten (Norwegen, Schweden, Dänemark, Italien, Frankreich, Großbritannien, Schweiz, Österreich, Niederlande, Deutschland) verboten. Aktive Sterbehilfe gilt als Mord, Totschlag oder vorsätzliche Tötung.
Direkt oder indirekt gibt es aber in allen Staaten durch Schaffung eines Sondertatbestandes die Möglichkeit der Strafmilderung. Mit Ausnahme der Königlichen Niederländischen Medizinischen Gesellschaft (KNMG) lehnen alle anderen europäischen Ärztegesellschaften aktive Sterbehilfe ab.
In Deutschland gab es in den letzten Jahren wiederholt Stellungnahmen zu dieser Problematik, sowohl von der Bundesärztekammer als auch von deutschen Fachgesellschaften (Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, Deutsche Gesellschaft für Gerontologie, Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin). Aktive Sterbehilfe wird unverändert konsequent abgelehnt. Gleichzeitig wird der Verzicht auf aussichtslose lebensverlängernde Maßnahmen bejaht, die Betonung der Patientenautonomie, die Berücksichtigung einer schriftlichen Willenserklärung des Patienten, die Bestellung eines „Betreuers” und die ärztliche Sterbebegleitung in den Vordergrund gestellt.
Betrachtet man die Einstellung der KNMG, so hat sich folgende Entwicklung ergeben:
1984: Aktive Sterbehilfe wird durch den Ärztebund geduldet 1988: Euthanasie wird standesrechtlich als zulässig angesehen; eine Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe wird abgelehnt. 1995: Euthanasie bei psychisch Kranken und nicht-terminalen Leidenszuständen ist möglich.
Der Remmeling-Report und Untersuchungsergebnisse der Arbeitsgruppe von van der Wal u. a. zeigten, dass nicht nur Patienten aktive Sterbehilfe erhielten, die darum gebeten hatten. Es wurde auch aktive Sterbehilfe durchgeführt ohne ausdrücklichen Wunsch des Patienten.
Die Diskussion zur Legalisierung der Euthanasie in den Niederlanden entstand als Protest gegen die Macht der Ärzte und mit dem Hinweis auf das Recht des Patienten auf Autonomie mit der Folge, den Zeitpunkt des Lebensendes frei zu bestimmen. Die schleichende Ausweitung der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden hat aber in Wirklichkeit den ärztlichen Paternalismus verstärkt.
Die Existenz der Häufigkeit und Akzeptanz von nicht freiwilliger Euthanasie sowie der Anteil von Tumorpatienten, die der Euthanasie zugeführt werden, sind meines Erachtens Ausdruck einer nicht ausreichenden Ausschöpfung palliativmedizinischer Behandlungsmöglichkeiten.
Vor allem die Untersuchungen von van der Wal und van der Maas haben dazu geführt, dass die Diskussionen über die gesamte Problematik um die Euthanasie in den Niederlanden noch keineswegs abgeschlossen sind [1]. So will das niederländische Kabinett einen wesentlichen Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung der Palliativmedizin legen.
Obwohl aktive Sterbehilfe in den untersuchten Ländern verboten ist, gibt es mit Ausnahme der Niederlande keine zuverlässigen Zahlen darüber, wie Ärzte dieses Problem tatsächlich handhaben. Wir können aber davon ausgehen, dass in allen Ländern ein nicht unerheblicher Anteil der Ärzte aktive Sterbehilfe durchgeführt hat und der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe zustimmen würde. Überraschend ist nach einer Analyse der Untersucher, dass britische Ärzte aktive Sterbehilfe häufiger als dänische, norwegische und deutsche praktizieren, obwohl in Großbritannien ein palliativmedizinisches Versorgungsnetz angeboten wird.
Wenn wir die Entwicklung der Euthanasie in den Niederlanden sehen, die Umfragen zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe bei niedergelassenen Ärzten und in der Bevölkerung in Deutschland ernst nehmen sowie das Leid Schwerstkranker und Sterbender vermindern wollen, müssen wir eine Antwort darauf finden. Diese Antwort ist meines Erachtens die Palliativmedizin.
Palliativmedizin ist die Lehre und Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren, weit fortgeschrittenen und fortschreitenden Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung. Hauptziel ist die Verbesserung der Lebensqualität des Patienten.
Um dieses Ziel zu erreichen, gehören zur Palliativmedizin folgende Inhalte und Prinzipien:
kompetente Symptomkontrolle, insbesondere der Schmerzen, Integration der psychischen, sozialen und geistig-seelischen Probleme, Kompetenz in den wichtigen Fragen der Kommunikation und Ethik, Akzeptanz des Sterbens und des Todes als ein Teil des Lebens, durch zeitbegrenzte Rehabilitation, Wiederherstellung bzw. Erhaltung der Selbständigkeit und maximalen Leistungsfähigkeit, kann der Patient bis zum Tod so aktiv und kreativ wie möglich leben. Patienten und Angehörige werden gleichermaßen betreut, Unterstützung der Angehörigen sowohl während der Erkrankung wie beim Sterben des Patienten und in der Zeit danach. Arbeit im multiprofessionellen und interdisziplinären Team.
Bisher hat sich die Palliativmedizin in Deutschland weitgehend durch Einzelinitiativen ausgezeichnet. Diese Initiativen haben nachweisen können, dass die Palliativmedizin eine wesentliche Verbesserung der Betreuung, Behandlung und Begleitung der Patienten und ihrer Angehörigen darstellt. Es ist an der Zeit, Palliativmedizin als ein Konzept anzusehen, damit alle in der medizinischen Behandlung involvierten Berufsgruppen - insbesondere Ärzte und das Krankenpflegepersonal - in der Lage sind, Palliativmedizin anzubieten.
Um der Palliativmedizin den Stellenwert zu geben, den sie verdient, müssen wir nicht nur unsere ärztlichen und pflegerischen Kolleginnen und Kollegen überzeugen, nicht nur unsere Standesorganisationen, sondern auch die Bevölkerung, unsere Politiker und Kostenträger.
Eine optimal organisierte und durchgeführte palliative Medizin ist in der Lage
Schmerzen und andere Symptome auf ein erträgliches Maß zu reduzieren unnötiges Leid zu verhindern, die Würde des Menschen wieder herzustellen.
Palliativmedizin ist in der Lage, durch eine ganzheitliche, fürsorgliche und phantasievolle Pflege und geistig-seelische, mitmenschliche Betreuung Leiden umfassend zu lindern. Palliativmedizin ist eine eindeutige Absage an die aktive Sterbehilfe. Palliativmedizin ist aktive Lebenshilfe.
Literatur
- 1 Van der Wal G, Van der Maas P J, Bosma J M. Evaluation of the notification procedure for physician assisted suicid, and other medical practices involving the end of life in the Netherlands. N Engl. J Med 1996 335: 1706-1711
Prof. Dr. med. E. Klaschik
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Zentrum für Palliativmedizin am Malteser Krankenhaus Bonn
Von Hompesch-Str. 1
53123 Bonn