Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(36): 1059
DOI: 10.1055/s-2000-7206
Fragen aus der Praxis
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Heparin nach Kniegelenkarthroskopie

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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Frage: In Abhängigkeit welcher Faktoren (Alter, Komorbidität, Gewicht) muss und wenn ja, wie lange, nach Kniegelenksarthroskopie heparinisiert werden (niedermolekulare Heparine)?

Antwort: Wegen nach wie vor bestehender Unsicherheiten zum Ausmaß und zur Dauer einer Thromboembolieprophylaxe bei Operationen an der unteren Extremität erschienen im Jahre 1998 Leitlinien der DGOT (Dt. Ges. für Orthopädie und Traumatologie, Pauschert et al. Z Orthopädie 1998; 136: 471-479).

Die Notwendigkeit einer Prophylaxe ist unumstritten, weil venöse Komplikationen eine ernsthafte Gefährdung des Patienten darstellen. Neben frühestmöglicher Mobilisation, Antithrombosestrümpfen und/oder intermittierender Kompression hat die medikamentöse Prophylaxe ihren festen Stellenwert. Niedermolekulare Heparine setzten sich wegen der geringen Belastung bei einmaliger s.c.-Applikation pro Tag und Wegfall von Kontrollen der antikoagulatorischen Aktivität durch. Für die Wahl des jeweiligen Präparates ist die anti-Faktor-Xa-Aktivität nach dem individuellen Risiko abzuschätzen. Entsprechend den Leitlinien der DGOT fallen arthroskopische Eingriffe am Kniegelenk in den mittleren Risikobereich mit einem täglichen Dosierungsbedarf von 1750-3000 Einheiten Anti Xa. Zusätzliche Risikofaktoren für die Wahl einer Dosierung im höheren Bereich (3000 IE Anti Xa) sind: Alter über 60 Jahre, tiefe Venenthrombose in der Anamnese, Adipositas, Operationsdauer über 60 Minuten, Nikotin-Abusus, Malignome und internistische Begleiterkrankungen. Der Beginn der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe hat 2-12 Stunden präoperativ in Abhängigkeit vom Anaesthesieverfahren zu erfolgen. Fortgesetzt wird die Heparingabe 12-24 Stunden nach dem Eingriff.

Die Dauer einer Prophylaxe wird offenbar sehr different gehandhabt. Verbreitet sind Medikationszeiträume von 7-10 Tagen, sodass bei arthroskopischen Eingriffen die Applikationen von niedermolekularen Heparinen ambulant weitergeführt werden muss. Jedoch finden sich auch Formulierungen wie: »während des stationären Aufenthaltes« (Schippinger et al. Acta Orthop. Scand 1998; 69: 144-146) oder »bis zur vollständigen Mobilisation«. Bei minimal invasiven Kniegelenksoperationen dauert die kurze stationäre Phase ja nur wenige Tage an oder die Operation wird ohnehin ambulant durchgeführt, sodass die Leitlinien der DGOT mit fasslichen Hinweisen angeführt werden sollen, welcher Mobilisationsgrad als »voll« zu gelten hat:

selbständige Bewegung der unteren Extremitäten 4-6 Stunden pro Tag Teilbelastung des operierten Beines mit mehr als 20 Kp und freie Beweglichkeit des oberen Sprunggelenkes außer bei Unterschenkel-Gehgips.

So kann es also sein, dass einerseits ein jugendlicher Patient ohne allgemeinchirurgische Risikofaktoren mit vollständiger Mobilisation nach 2-3 Tagen maximal 5 Tage zur Prophylaxe eine Dosierung von 1750 IE Anti Xa bekommt und andererseits ein 65-Jähriger mit Adipositas, koronarer ischämischer Herzkrankheit und einer Mobilisationsphase von 8 Tagen mit täglich 3000 IE Anti Xa über mindestens 8 Tage geführt werden muss.

In einer Serie von 184 Kniegelenksarthroskopien ohne jede Thromboembolieprophylaxe konstatierten Demers et al. (Arch Intern Med 1998; 158: 47-50) phlebografisch in 18% tiefe Venenthrombosen, die wiederum in 40% klinisch stumm abgelaufen waren. Klinisch fassbare Embolien traten nicht auf. Die Arthroskopie-Patienten von Schippinger (s.o.) erhielten zur Prophylaxe täglich 5000 IE Anti Xa während des stationären Aufenthaltes und boten 5 Wochen postoperativ bei der Duplexsonografie, der Phlebografie und der Lungenperfusionsszintigrafie in zwölf der 101 operierten Fälle entweder eine TVT oder eine abgelaufene Lungenembolie. Bei acht der neun Lungenembolien wurde keine Symptomatik bemerkt. Über die Dauer einer medikamentösen Thromboembolieprophylaxe gibt es bislang keine Einigkeit und somit keine standardisierte Empfehlung. Aus dem Bereich mit hohem Risiko, d.h. Alloarthroplastik des Hüftgelenkes, soll auf jüngere Untersuchungen verwiesen werden, die statistisch signifikant zeigen konnten, dass eine verlängerte postoperative Prophylaxe mit fraktionierten Heparinen bis zu 5 Wochen die Häufigkeit von tiefen Venenthrombosen senkt (zitiert bei Dahl, Frostick u. Huss. Acta orthop. Scand. 1999; 70: 404-406). Dem Verfasser sind keine Studien bekannt, die die Frage nach späten thromboembolischen Komplikationen und der Effektivität niedermolekularer Heparin-Prophylaxe über mehrere Wochen im mittleren Risikobereich gestellt haben.

Eine medikamentöse Thromboseprophylaxe bei der Arthroskopie des Kniegelenkes gänzlich wegzulassen, ist nach gegenwärtigem Wissensstand und Meinung des Verfassers ein Spiel mit der Gesundheit des Patienten, da der Eingriff im mittleren Risikobereich angesiedelt ist. Bei der Indikation zur individuellen Dosierung und zeitlichen Ausdehnung der Heparin-Prophylaxe spielen zusätzlich zu medizinischen Beweggründen forensische Gesichtspunkte eine nicht untergeordnete Rolle. Einen Standard zur Dosierung und zur Dauer wird es vorerst nicht geben, sodass weiterhin die Leitlinien der DGOT mit ihrem praktikablen Empfehlungen für den individuellen Einzelfall mit seinen operativen und patientenseitigen Risiken herangezogen werden müssen.

Privatdozent Dr. med. M. Witt

Universität Rostock

Orthopädische Klinik und Poliklinik

Ulmenstraße 45

18055 Rostock

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