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DOI: 10.1055/s-2000-7366
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Die Behandlung des schweren SHT -Machen es die Österreicher falsch?
Publication History
Publication Date:
31 December 2000 (online)
Diese Frage müssen sich die kritischen LeserInnen jedenfalls stellen, wenn sie die in dieser Ausgabe veröffentlichte Arbeit von Drobetz et al. lesen. Die notfallmedizinisch, unfallchirurgisch und intensivmedizinisch behandelnden österreichischen Ärzteteams ernten in dieser Publikation im Versorgungskonzept von schweren Schädel-Hirn-Trauma (SHT)-Patienten (Glasgow Coma Scale ≤ 8) eine nicht unerhebliche Kritik, da es in Österreich, so die Autoren, keinen diesbezüglichen Konsensus-Bericht gibt.
Wenngleich die angewandte Methodik einer telefonischen Umfrage im Zeitraum von Jänner bis Mai 1998 - befragt wurden die jeweils leitenden KollegInnen der Intensivabteilungen, an denen SHT-Patienten in Österreich behandelt werden - unbestrittene Schwächen aufweist, darf diese Kritik nicht frei im Raum stehen bleiben. Nicht zuletzt weil auch in den USA [1] [2], in Großbritannien [3] [4] wie auch in Irland [4] ähnliche Umfragen vergleichbar heterogene Behandlungskonzepte ergaben, soll nun auf die Punkte im einzelnen eingegangen werden. Um in den USA einen Standard der Behandlungsstrategie des schweren SHT's vorzugeben, wurden, als Folge eines Umfrageergebnisses [1], „Evidence-based Guidelines” von einer aus 10 Neurochirurgen bestehenden Arbeitsgruppe erarbeitet [5]. Auch eine deutschsprachige Publikation folgte [6]. Letztere, auch von Drobetz et al. zitierte Arbeit, wurde allerdings erst nach der österreichischen Telefonumfrage veröffentlicht. Zumindest diese Publikation konnte somit den kontaktierten KollegInnen zum Umfragezeitpunkt nicht bekannt gewesen sein.
Wissenschaft kennt keine nationalen Grenzen. Abgesehen von der lokalen Verfügbarkeit spezieller Pharmaka und in Abhängigkeit von nationalen Zulassungsbehörden, sollten die formalen Behandlungsrichtlinien daher, zumindest im Grundkonzept in Ländern mit ähnlicher medizinischer Infrastruktur vergleichbar sein. Der in den USA erarbeitete Evidence-based Katalog für die Behandlung schwererer SHT-Patienten hat daher auch in Österreich als Konsensus-Bericht seine wissenschaftliche und medizinische Gültigkeit. Die Frage die sich allerdings auch für einen Juristen, unweigerlich nach dem Lesen der Arbeit von Drobetz et al., aufdrängen könnte, lautet: Haben etwa die österreichischen Ärzte einen Behandlungsfehler in der Versorgung schwerer SHT Patienten begangen?
Zunächst zum Umfrageergebnis „Hyperventilation”, als hirndrucksenkende Therapie bei schwerem SHT, eine Maßnahme, für die mit Sicherheit die befragten leitenden KollegInnen an den chirurgischen Intensivabteilungen Österreichs „verantwortlich” zeichnen. 65 % der leitenden Ärzte an Österreichs Intensivstationen beatmen ihre Patienten häufig, bzw, fast immer bis zu paCO2-Werten von 30 mmHg, 21 % hyperventilieren fallweise bzw. häufig auf paCO2-Werten zwischen 25 und 30 mmHg. Dies obwohl Muizelaar [7] in einer prospektiv randomisierten klinischen Studie an 113 schweren SHT-Patienten bereits 1991 (also weit vor der Anfang 1998 von Drobetz et al. durchgeführten Telefonumfrage in Österreich) zeigen konnte, dass das neurologische Ergebnis der Patienten 3 - 6 Monate nach der traumatischen ZNS-Schädigung durch eine „prophylaktische Hyperventilation” signifikant schlechter ausfiel. Nahezu 2/3 der österreichischen Intensivmediziner, so könnten die LeserInnen glauben, waren also in der intensivmedizinischen Behandlung des schweren SHT-Patienten nicht am letzten Stand der wissenschaftlichen Forschung angelangt und könnten somit ihren Patienten sogar geschadet haben. - Interessant wäre jedenfalls auch die zusätzliche Telefonfrage gewesen ob die leitenden Intensivmediziner Österreichs prophylaktisch oder therapeutisch die Hyperventilation eingeleitet haben.
Eines der wissenschaftlich fundiertesten Lehrbücher in der Anästhesiologie war zum Zeitpunkt der Telefonumfrage das von Ronald D. Miller herausgegebene Buch „Anesthesia, Fourth Edition, Verlag Churchill Livingstone 1994”, das unter den hirndrucksenkenden Maßnahmen das Kapitel Hyperventilation auf S 1915 im Band 2 mit dem Satz beendet: „Head-injured patients with a Glasgow Coma Scale score of 7 or less require immediate endotracheal intubation and hyperventilation”. Auch nahezu alle Anfang 1998 am Markt erhältlichen deutschsprachigen intensivmedizinischen Lehrbücher empfahlen weiterhin, zumindest bei Versagen anderer hirndrucksenkender Maßnahmen, bei schwerem SHT, die Einleitung einer Hyperventilation. Auch rezente Publikationen [8] belegen, dass eine milde Hyperventilation bei schweren SHT-Patienten den globalen zerebralen Metabolismus nicht negativ beeinflusst und daher ein Sekundärschaden durch die milde Hyperventilation eher unwahrscheinlich erscheint.
Zum Einsatz hochdosierter Steroide (Dexamethason): spätestens seit der von Braakmann [9] [10] doppel-blind, prospektiv randomisierten Studie, hat diese Substanzklasse auf unfallchirurgischen Intensivstationen ihre Einsatzberechtigung in der Behandlung des schweren SHT's, verloren. Hingegen ist beim raumfordernden Tumorödem des neurochirurgischen Intensivpatienten ein Glukokortikoid klar indiziert. Interessant wäre in diesem Zusammenhang zweifelsohne der genaue Wortlaut der telefonischen Anfrage, der aus der dargestellten Methodik leider nicht voll hervorgeht. Dieser Umstand könnte das von Drobetz et al. ermittelte Ergebnis, dass an 43 % der neurochirurgischen Intensivstationen fast immer Steroide gegeben werden, hingegen nur zu 4 % an unfallchirurgischen Intensivstationen, unter Umständen erklären. Eine persönliche Validierung des Umfrageergebnisses (Mai 2000) an den neurochirurgischen Intensivstationen Österreichs erbrachte jedenfalls das Resultat, dass 80 % der Neurochirurgen niemals Steroide in der Behandlung des schweren SHT-Patienten verwenden.
Hyperton-hyperosmolare Lösungen, die in Österreich lt. Drobetz et al. seit mehreren Jahren präklinisch und intensivmedizinisch routinemäßig verabreicht werden, werden in Deutschland trotz ihrer günstigen Auswirkungen auf die „zerebrale Hämodynamik” derzeit noch nicht zur Therapie erhöhter Hirndruckwerte empfohlen, bzw. sind dafür gar nicht zugelassen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Frage „Zeitpunkt der Einführung einer intensivmedizinischen Maßnahme in die klinische Praxis” in der Methodik nicht erwähnt wird. Es bleibt daher offen, woher diese Information stammt. Neben den von Drobetz et al. zitierten Arbeiten mit günstiger Auswirkung auf die „zerebrale Hämodynamik” sollte auch eine kontrolliert prospektiv randomisierte Arbeit aus der pädiatrischen Intensivmedizin bei schweren SHT-Patienten [11] zumindest erwähnt werden da, die mit hypertonen Lösungen behandelte Patientengruppe nicht nur eine geringere Komplikationsrate aufwies, sondern darüber hinaus die Kinder auch die Intensivstation früher verlassen konnten. Letztere Arbeit trägt aus dem Blickwinkel der „Evidence-based”-Medizin somit zu einer weiteren Absicherung des Einsatzes hypertoner Lösungen bei.
Die Überwachung des Hirndruckes [12], über Ventrikel- oder Parenchymsonde, gemeinsam mit einer invasiven Messung des arteriellen Blutdruckes, sind fundamentale Erfordernisse im Management des schweren SHT's, obwohl sich bislang in keiner prospektiv randomisiert kontrollierten Studie dadurch ein besseres Outcome nachweisen ließ. Eine Indikation zum Hirndruckmonitoring wird in allen rezenten „Guidelines” für Patienten mit einem GCS ≤ 8 und pathologischem CCT empfohlen. Allerdings ist eine Ventrikeldrainage, als gold standard für die Hirbdruckmessung, mit einem höheren Infektionsrisiko behaftet und ist bei Patienten mit ausgeprägtem Hirnödem und dadurch engem Ventrikelsystem („Schlitzventrikel”), unter Umständen schwierig zu plazieren. Drobetz et al. konkludieren in ihrer Telefonumfrage, dass es in Österreich keine einheitlichen Indikationen zur Implantation von Hirndrucksonden gibt. Die vorliegende Arbeit wurde nahezu ausschließlich von unfallchirurgischen Fachkollegen geschrieben, die Kritik fällt daher in diesem Punkt in die eigenen Reihen, da, zumindest in Österreich, Hirndrucksonden bei SHT-Patienten vorwiegend von Unfallchirurgen gelegt werden.
Ein Blick über den großen Teich [2] belehrt allerdings, dass auch in den USA nur wenige Monate vor der Telefonumfrage in Österreich in dieser Fragestellung keine einhellige Meinung unter den Chirurgen herrscht. Immerhin vertraten aber bereits 1997 83 % der befragten Chirurgen in den USA die Meinung, dass bei Patienten mit schwerem SHT ein Hirndruckmonitoring indiziert ist; gegenüber 1991 bedeutet dies eine Zunahme um 55 %.
Drobetz et al. schließen ihre Kritik am Behandlungsregime schwerer SHT-Patienten in Österreich mit der Forderung zur Installation einer Trauma-Datenbank als qualitätssichernde Maßnahme. Da in Österreich aufgrund der geltenden Rechtslage jeder Intensivpatient in eine bundesweite Datenbank, zwar akronymisiert, aber mit GCS-Score, Trauma-Score sowie einem täglichen TISS-Score, der auch das Hirndruckmonitoring includiert, eingegeben werden muss, erübrigt sich diese Forderung von selbst.
Die zerebral pathophysiologischen Grundlagen, die zum Verständnis aller intensivmedizinischen Maßnahmen erforderlich sind, sind „komplex verschachtelt” und daher zum heutigen Zeitpunkt keineswegs im Detail voll verstanden. Als oberste Behandlungsrichtlinie sollte zunächst gelten, das Sauerstoffangebot in allen Regionen des Zerebrums zu keinem Zeitpunkt der Sauerstoffnachfrage nachhinken zu lassen, dies zusammen mit der Forderung, lokalen Raumforderungen bzw. Massenverlagerungen rasch entgegenzuwirken. „Evidence-based” Medizin, zusammen mit einem erfahrenen Behandlungsteam bilden dazu die beste Grundlage.
Literatur
- 1 Ghajar J, Hariri R J, Narayan R K, Iacono L A, Firlik K, Patterson R H. Survey of critical care management of comatose, head-injured patients in the United States. Crit Care Med. 1995; 23 (3) 560-567
- 2 Marion D W, Spiegel T P. Changes in the management of severe traumatic brain injury: 1991 - 1997. Crit Care Med. 2000; 28 (1) 16
- 3 Jeevaratnam D R, Menon D K. Survey of intensive care of severely head injured patients in the United Kingdom. BMJ. 1996; 312 (7036) 944-947
- 4 Matta B, Menon D. Severe head injury in the United Kingdom and Ireland: a survey of practice and implications for management. Crit Care Med. 1996; 24 (10) 1743-1748
- 5 Chesnut R M. Guidelines for the management of severe head injury: what we know and what we think we know. J Trauma. Review. 1997; 42 (5 Suppl) 19-22
- 6 Dinkel M, Hennes J. Innerklinische Akutversorgung des Patienten mit Schädel-Hirn-Traumata. Anaesth Intensivmed. 1998; 39 399-412
- 7 Muizelaar J P, Marmarou A, Ward J D, Kontos H A, Choi S C, Becker D P, Gruemer H, Young H F. Adverse effects of prolonged hyperventilation in patients with severe head injury: a randomized clinical trial. J Neurosurg. 1991; 75 (5) 731-739
- 8 Diringer M N, Yundt K, Videen T O, Adams R E, Zazulia A R, Deibert E, Aiyagari V, Dacey R G Jr, Grubb R L Jr, Powers W J. No reduction in cerebral metabolism as a result of early moderate hyperventilation following severe traumatic brain injury. J Neurosurg. 2000; 92 (1) 7-13
- 9 Braakman R, Schouten H J, Blaauw-van Dishoeck M, Minderhoud J M. Megadose steroids in severe head injury. Results of a prospective double-blind clinical trial. J Neurosurg. 1983; 58 (3) 326-330
- 10 Alderson P, Roberts I. Corticosteroids in acute traumatic brain injury: systematic review of randomised controlled trials. BMJ. 1997; 314 (7098) 1855-1859
- 11 Simma B, Burger R, Falk M, Sacher P, Fanconi S. A prospective, randomized, and controlled study of fluid management in children with severe head injury: lactated Ringer's solution versus hypertonic saline. Crit Care Med. 1998; 26 (7) 1265-1270
- 12 Lang E W, Chesnut R M. Intracranial pressure and cerebral perfusion pressure in severe head injury. New Horiz. 1995; 3 (3) 400-409
W. Schramm
Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien Univ. Klinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin
Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien, Österreich