Psychiatr Prax 2001; 28(1): 52
DOI: 10.1055/s-2001-10497
PSYCHIATRISCHE MINIATUREN
Psychiatrische Miniaturen
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

„Das Beste vom Besten!”

Alexander Veltin
  • Tübingen
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Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Frau Stefanie leidet an den Folgen einer schweren frühkindlichen Hirnschädigung. Schon in jungen Jahren wurde sie in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, vordringlich wegen rezidivierender Unruhe- und Erregungszustände. Dort fügte sie sich im Laufe der Zeit in den Rahmen einer Station für Langzeitkranke hinlänglich ein, blieb aber abhängig von der Anleitung und Führung durch die Stationsmitarbeiter, bei denen sich im Laufe der Zeit der Eindruck verfestigte, dass von ihr auf Grund der organischen bedingten seelisch-geistigen Störungen mehr als die Bewältigung des geregelten Stationsalltages nicht zu erwarten sei. Als man dennoch eines Tages begann, sich ernsthaft um Frau Stefanie zu bemühen und sie zu fördern, zeigte sie sich durchaus lernfähig. In einem Sozialtraining mit gestuften Belastungen entwickelte sie zureichende Fähigkeiten und Fertigkeiten, um fortan für die Befriedigung ihrer unmittelbaren persönlichen Bedürfnisse selbst sorgen zu können bis hin zur Tätigung kleinerer Einkäufe in der Stadt.

Obwohl Frau Stefanie so offensichtlich an Freiheitsgraden gewann, bestanden die Erregungszustände in der Art und Ausprägung fort, wie man sie seit jeher bei ihr kannte. Sie entbehrten nicht einer demonstrativen Note, die in den Krankenblatt-aufzeichnungen der zurückliegenden Jahre in dramatischen Schilderungen ihren Niederschlag gefunden hatte. Als dieses widerspruchsvoll anmutende Verhalten zwischen dem Gewinn an sozialer Kompetenz und dem Fortbestehen der elementaren affektiv-motorischen Ausbrüche in der Runde der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Sprache kam, wurde die Frage aufgeworfen, ob unter den auslösenden Momenten der spektakulären Entäußerungen bei Frau Stefanie nicht der Wunsch eine Rolle spielen könnte, sich immer wieder der ungeschmälerten Anteilnahme der Helfer an ihrem Geschick zu versichern, weil sie auf Grund ihrer mittlerweile erlangten größeren Selbständigkeit glaube, befürchten zu müssen, an Aufmerksamkeit und Beachtung zu verlieren; möglicherweise erlebe sie die Injektion eines dämpfenden Medikamentes auf dem Höhepunkt der Erregungszustände als ein Maximum an hilfsbereiter Zuwendung. Eine nicht unbegründete Vermutung; sie fand ihre Bestätigung durch den Mund einer Mitpatientin. Diese schilderte wenige Tage später der Nachtschwes-ter der Station bis ins Einzelne gehend ihre Beobachtungen als Zeugin eines neuerlichen Erregungszustandes von Frau Stefanie, der sich tagsüber ereignet hatte. Sie schloss ihren Bericht mit der im Ton der Entrüstung vorgetragenen Bemerkung: „Und dann bekam sie noch eine Spritze, das Beste vom Besten!”

Dr. Alexander Veltin

Dürrstraße 1572070 Tübingen

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