Laryngorhinootologie 2001; 80(11): 639-641
DOI: 10.1055/s-2001-18283
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Phänotyp-Genotyp-Korrelationen in Speicheldrüsentumoren

Stellenwert der molekularen AnalytikPhenotype-Genotype Correlations in Salivary Gland Tumors. Status of Molecular AnalysisK. Röser, Th. Löning
  • Abteilung für Oralpathologie, Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Hamburg
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Publication Date:
07 November 2001 (online)

Neoplasien der Speicheldrüsen sind zwar relativ seltene Tumoren, jedoch ist die Problematik in der Differenzialdiagnostik und der Abschätzung der Prognose nicht zu unterschätzen. Die große Varianz an histopathologischen Erscheinungsformen spiegelt sich in der WHO-Klassifikation wider. Die Ätiologie der Tumoren ist weitgehend ungeklärt, die Histogenese strittig und zuverlässige Tumormarker fehlen noch.

Neben den klassischen klinisch-pathologischen Indikatoren sollen messbare Parameter wie zytometrische, proliferative, zytogenetische und molekulare Parameter zu weiteren prognostischen Informationen beitragen. Hier haben sich die durchflusszytometrische Bestimmung des DNA-Ploidie-Grades und der immunhistochemische Nachweis von Proliferationsmarkern als wertvoll erwiesen. Widersprüchliche Ergebnisse gerade bei den Proliferationsmarkern sind häufig technisch bedingt.

Untersuchungen auf molekularer Ebene zu Tumorsuppressorgenen (z. B. p53), Proto-Onkogenen (HER-2) und Karyotypisierungen sind zunächst für die Klinik von geringem Nutzen, jedoch tragen die biologischen Informationen zu einem besseren Verständnis der molekularen Mechanismen bei, die an der Entwicklung und dem Verlauf der Tumoren beteiligt sind.

Die Frage, ob die aufgeführten Parameter tatsächlich zusätzliche Informationen liefern und förderlich sind für die Behandlung von Patienten mit Speicheldrüsentumoren, kann nur anhand von umfangreichen Studien überprüft werden. Grundlage hierfür sind eine einheitliche histologische Klassifikation und standardisierte Methoden sowie große Datenbanken mit langen Follow-up-Informationen.

Denkbar günstige Voraussetzungen für solche Studien bietet das Hamburger Speicheldrüsenregister. Es ist neben dem Register des Armed Forces Institute of Pathology in Washington mit ca. 18 000 registrierten Fällen die zweitgrößte Sammlung. In Zusammenarbeit mit der HNO- und Radiologischen Klinik, die sich u. a. auf die Behandlung von Speicheldrüsentumoren spezialisiert haben, kann zudem auf umfassend dokumentierte klinische Daten zurückgegriffen werden (s. Tab. [1]).

Tab. 1 Genetische Veränderungen bei Speicheldrüsentumoren Tumorgruppe Fallzahl im HH-Speicheldrüsenregister Anzahl publizierter Fälle/eigene Fallkontrollstudien betroffener Chromosomen-Locus identifizierte Gene/verfügbare Daten benigne Speicheldrüsentumoren 8 000 pleomorphe Adenome 3 000 335 12(q14 - 15)5(p13)6(p21-p23)8(q12)X HMG1C upreg. PLAG1 HMG1Y Aktivierung PLAG1 Androgen-Rez.-G. Basalzelladenome 40 Myoepitheliome 40 40 12(q12) CGH-Daten Warthin’s Tumoren 1 000 16 t(11;19) Karzinome 6 000 19 6(q25-qter)9(p21) LOH 47 %LOH TP53 p16 (silent point mutation) Karzinome im pleomorphen Adenom 350 17 12(q)3(p)6(q)8(p) LOH 27 %LOH 17 %LOH 12 %LOH 8 %MikrosatellitenAlterationen adenoid-zystische Karzinome 400 10150 9(p21)t(6;9) LOH 10 %SteroidrezeptorenLektinbindung(UEA1; SNA1) Azinuszell-Karzinom 250 9(p21) Basalzelladenokarzinome 60 Mukoepidermoidkarzinome 600 821 9(p21)t(11;19) LOH 12,5 % myoepitheliale Karzinome 80 40 CGH-Daten polymorphe low-grade Adenokarzinome 9(p21) Speichelgangkarzinome 90 940 9(p21) LOH 78 %Inaktivierung p16 Her-2 Überexpr. Speicheldrüsentumoren 14 000

Umfassende molekulare Untersuchungen von Speicheldrüsentumoren liegen nur für das pleomorphe Adenom vor. Aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen geht hervor, dass einige pleomorphe Adenome einen normalen Karyotyp aufweisen, andere eine Aberration auf dem Chromosom 8 und die übrigen eine Aberration auf Chromosom 12 zeigen. Die von der Aberration betroffenen Gene konnten identifiziert und charakterisiert werden. Und zwar wird im Falle der Aberration auf Chromosom 8 durch einen Promoteraustausch das PLAG1-Gen verstärkt exprimiert, und auf Chromosom 12 kommt es zu einer Rearrangierung des HMGIC-Gens. Letzteres codiert für Proteine der HMG-Gruppe, die als transkriptionale Aktivatoren fungieren.

Veränderungen in der Expression dieser beiden Gene konnten außerdem bei vielen gutartigen mesenchymalen Tumoren anderer Organe (z. B. Leiomyome, Lipome, Polypen des Genitalsystems, pulmonale Chondrome) beobachtet werden, so dass sie evtl. als Unterscheidungsmerkmal für epitheliale und mesenchymale Differenzierung gelten können.

In Zusammenarbeit mit dem Institut für Humangenetik der Universität Bremen (Prof. Dr. Jörn Bullerdiek) werden mittels Array-Analysen Expressionsprofile von pleomorphen Adenomen unterschiedlicher molekulargenetischer Subtypen erstellt, um eine prognostische Relevanz der unterschiedlichen chromosomalen Veränderungen abzuleiten und eventuelle funktionelle Konsequenzen der Chromosomentranslokationen aufzudecken.

Mukoepidermoidkarzinome und adenoid-zystische Karzinome sind die häufigsten malignen Speicheldrüsentumoren und gelten als die einzigen, bei denen ein histologisches Grading von prognostischer Bedeutung ist. Jedoch unterliegen solche Einschätzungen einer gewissen Subjektivität, so dass molekulare Marker durchaus auch bei diesen Tumoren benötigt werden.

Zytogenetische Untersuchungen des Mukoepidermoidkarzinoms ergaben, dass ein Drittel der untersuchten Tumoren eine Translokation t(11;19)(q21;p12 - 13.1) aufweisen. In Anlehnung an die Erfahrungen und Erfolge bei der Identifizierung der am Bruchereignis beteiligten Gene beim pleomorphen Adenom, konnte bei einem Mukoepidermoidkarzinom mit der Translokation t(11;19)(q21;p12 - 13.1) der Bruchpunkt lokalisiert werden und mittels Sequenz-Screening, Herstellung spezifischer Sonden und anschließender Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung der Bruchpunkt bereits auf 5Mb eingeengt werden. Ziel dieses Projektes, das ebenfalls gemeinsam mit der Arbeitsgruppe im Zentrum für Humangenetik der Universität Bremen bearbeitet wird, ist die Fortsetzung der Einengung des Bruchpunktes bis zur Identifizierung des Gens einschließlich Charakterisierung sowie Bestimmung der Funktion des Gens.

Die Rolle der Subtypisierung von adenoid-zystischen Tumoren der Speicheldrüsen nach verschiedenen Baumustern (solid, kribriform, tubulär) konnte eindrucksvoll in einer Fallkontrolluntersuchung von Patienten, die in der radiologischen Klinik des UKE (Prof. Dr. W. Alberti) behandelt worden waren, demonstriert werden. Dabei ließ sich belegen, dass der solide Typ mit einem schlechten Verlauf korreliert. Anders als beim Mammakarzinom steht der Steroidrezeptor-Status in keinem Zusammenhang mit dem histologischen Grading. Interessanterweise scheint die Expression von Progesteron-Rezeptoren sogar mit einer schlechteren Prognose einherzugehen.

Vielversprechende Ergebnisse ergaben sich zudem aus lektinhistochemischen Studien an adenoid-zystischen Karzinomen, die in Zusammenarbeit mit der Abt. für Neuroanatomie (Prof. Dr. Udo Schumacher) durchgeführt wurden. Diese Untersuchungen ergaben, dass Fallgruppen mit SNA-I (Sambucus nigra Agglutinin)- und UEA-I (Ulex europaeus Agglutinin)-Bindung ein signifikant schlechteres Überleben zeigen.

In aktuellen Studien sind wir ferner der besonderen Bedeutung der Myoepithelzelle in Speicheldrüsentumoren nachgegangen. Phänotypische Untersuchungen deuten in Analogie zur Mamma darauf hin, dass es sich um eine relativ weit differenzierte Zelle handelt. Bemerkenswert ist, dass die Myoepithelzellen an der Mehrzahl der Speicheldrüsentumoren beteiligt sind und häufig sogar dominieren. Auf der Suche nach Kriterien für die diagnostisch besonders schwierige Gruppe der myoepithelialen Tumoren wurden zum Nachweis chromosomaler Störungen in Zusammenarbeit mit der Pathologie der Universität Münster (Prof. Dr. W. Böcker) vergleichende genomische Hybridisierungen (CGH) an Myoepitheliomen und myoepithelialen Karzinomen der Speicheldrüsen durchgeführt. Erste Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen gutartigen und den bösartigen Tumoren und lassen die Hoffnung zu, dass genomische Marker zur Unterscheidung eingesetzt werden können.

Exemplarisch für die Bedeutung einer Sammlung von seltenen Tumoren und einer intensiven Zusammenarbeit mit der Klinik steht die nahezu abgeschlossene Studie an Speichelgangkarzinomen, einem sehr seltenen, aber prognostisch äußerst ungünstigen Tumor. Es ist uns gelungen, die weltweit größte Fallzahl an Speichelgangkarzinomen zusammenzustellen und in Zusammenarbeit mit der HNO-Klinik des UKE (Prof. Dr. Udo Koch) die dazugehörigen Patientendaten zu erfassen. Das so zusammengestellte Material wurde für mehrere experimentelle Untersuchungen verwendet. In einer Teilstudie wurde aufgrund der morphologischen Ähnlichkeit dieses Tumors zum Milchgangkarzinom der Mamma und mit der Hoffnung auf einen therapeutischen Ansatz die HER-2-Expression untersucht. Tatsächlich liegt in einem beträchtlichen Anteil speziell dieser Tumoren eine Überexpression des HER-2/neu-Gens vor, und es ergab sich zudem eine Korrelation zur Prognose.

Als Fazit ergibt sich aus diesem Überblick, dass die Aufgabe der molekularen Pathologie darin bestehen muss, geno- und phänotypische Beobachtungen zusammenzuführen, damit für den Patienten alle diagnostischen, prognostischen und therapeutischen Erkenntnisse ausgeschöpft werden können.

Literatur beim Verfasser.

Dr. rer. nat. Kerstin Röser

Abteilung für Oralpathologie, Institut für Pathologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)

Martinistraße 52
20246 Hamburg

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