Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(12): 725
DOI: 10.1055/s-2001-18988
EDITORIAL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Schlaganfall-Patient -
eine Herausforderung für die
präklinische Notfallmedizin

The Stroke Patient - A Challenge for Pre-Clinical Emergency MedicineH. A. Adams1 , K. Weissenborn2
  • 1Zentrum Anästhesiologie - Abteilung II
    Medizinische Hochschule Hannover
  • 2Neurologische Klinik, Medizinische Hochschule Hannover
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Publication History

Publication Date:
13 December 2001 (online)

In der Therapie des Schlaganfalls hat sich in den letzten Jahren ein geradezu dramatischer Paradigmenwechsel vollzogen, der mit dem schon länger zurückliegenden Umbruch in der präklinischen und klinischen Versorgung des Patienten mit Myokardinfarkt zu vergleichen ist. Noch vor wenigen Jahren führte die Notfallmeldung „Schlaganfall”, vergleichbar jener der „hilflosen Person”, bei den Mitarbeitern des Rettungsdienstes (und damit auch den Notärzten) zu einer weitgehend resignierend-distanzierten Grundhaltung. Es herrschte die Auffassung, dass es sich für die betroffenen, meist alten Patienten um einen prinzipiell hoffnungslosen Endzustand handele, und die therapeutischen Bemühungen beschränkten sich präklinisch auf einfachste Maßnahmen wie Absaugen des Atemwegs und stabile Seitenlage. Die Frage nach Intubation und Beatmung stellte sich in der Regel nicht, und sie wäre meist negativ beantwortet worden. Der Transport erfolgte in die nächstgelegene Abteilung für Innere Medizin, wo sich das therapeutische Repertoire nur marginal von den präklinischen Maßnahmen unterschied. Präklinisch und klinisch war allgemein akzeptiert, dass hier ein alterstypisches Leiden den natürlichen Tod herbeiführt.

Die heute so deutliche veränderte Grundhaltung beruht im Wesentlichen auf Umwälzungen im diagnostischen und therapeutischen Bereich. Diagnostisch ist es die breite Verfügbarkeit des Computer-Tomographen (CT) zur Differentialdiagnose von ischämischem Insult und intrakranieller Blutung, die früher dem Rettungdienst schlicht als „roter” Infarkt bei stark erhöhtem Blutdruck bzw. als „weißer” Infarkt bei normalem Blutdruck vermittelt wurde. Als neues therapeutisches Rüstzeug steht die systemische Thrombolyse im Vordergrund, die durch verstärkte intensivmedizinische Bemühungen entscheidend unterstützt wird. Insgesamt hat dies zur Etablierung von Schlaganfall-Zentren geführt, die neben neurologischer Fachkompetenz und jederzeitiger Verfügbarkeit eines CT durch eine entsprechende Intensiv- bzw. Überwachungskapazität („Stroke Unit”) gekennzeichnet sind.

Dieser Wandel ist nicht ohne Auswirkungen auf die präklinische Notfallmedizin geblieben. In vielen Leitstellenbereichen führt das Einsatzstichwort „Schlaganfall” obligatorisch zur Entsendung des Notarztes unter Einsatz von Sondersignal. Neben dem üblichen Auftrag der Sicherung und Erhaltung der Vitalfunktionen (hier insbesondere die Erhaltung des zerebralen Perfusionsdrucks und ggf. die Sicherung des Atemwegs mit Beatmung) steht der Rettungsdienst zusätzlich vor der zeitkritischen logistischen Herausforderung, den Patienten unverzüglich in eine geeignete Behandlungseinrichtung zu bringen. Diese Aufgabe muss in jedem Rettungsdienstbezirk individuell gelöst werden, wobei die jederzeitige Verfügbarkeit eines CT in der Zielklinik vorauszusetzen ist. Dass darüber hinaus eine Fülle von Begleitaufgaben zu erledigen ist, um die Rettungskette auch in diesem Bereich zu optimieren, geht aus der Arbeit von Luiz et al. in diesem Heft beispielhaft hervor. Eine bessere Versorgung des Patienten mit Schlaganfall kann auch hier nur gelingen, wenn die Rettungskette aus Laien, niedergelassenen Ärzten, Rettungsdienst und Krankenhäusern optimal zusammenwirkt.

Bei allen Bemühungen, das Krankheitsbild „Schlaganfall” vom therapeutischen Nihilismus zu befreien, muss jedoch vor blindem Aktionismus gewarnt werden. Dazu zählt nicht nur die Applikation gerinnungshemmender Medikamente vor Abschluss der Bildgebung zum Blutungsausschluss. Bedeutsamer ist die Erkenntnis, dass nicht alle Patienten von den neuen Konzepten profitieren und der Schlaganfall in vielen Fällen auch weiterhin die Lebensspanne terminiert. Darin liegt eine ethische Herausforderung, zu deren Beantwortung die Bewertung der gesamten Lebensumstände des Patienten erforderlich ist und das Alter nicht die alleinige Entscheidungsgrundlage bilden darf. Schon präklinisch ist zu bedenken, ob im konkreten Fall das allgemeingültige Ziel der Notfall- und Intensivmedizin noch erreicht werden kann, den Patienten wieder in ein selbstbewusstes und möglichst auch selbstbestimmtes Leben zu entlassen. Dieser Frage müssen sich noch vor den Klinikärzten zunächst die Notärzte stellen - und dies kann auch bedeuten, den Behandlungsumfang im Einzelfall wohlüberlegt zu begrenzen.

Prof. Dr. med. H. A. Adams

Zentrum Anästhesiologie
Medizinische Hochschule Hannover

Carl-Neuberg-Straße 1

30625 Hannover

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