Laryngorhinootologie 2001; 80(12): 740-742
DOI: 10.1055/s-2001-19583
OTOLOGIE
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Fortschreitende Lärmschwerhörigkeit, verursacht durch Hörgeräte - ein Dilemma für den Arbeiter wie für den Gutachter

Progressive Noise Induced Hearing Loss Caused by Hearing Aids, a Dilemma for the Worker and the Expert AlikeH. Feldmann
  • Univ.-HNO-Klinik Münster
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Publication Date:
16 January 2002 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Bei der Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit wird häufiger beobachtet, dass der Hörverlust über Jahre in typischer Weise fortschreitet, obwohl die berufliche Lärmexposition durch technische und organisatorische Mittel praktisch beseitigt ist. Der Gutachter sucht nach einer Erklärung. Hörgeräte als gehörschädigende Lärmquelle? Der Gutachter sollte sich an Hand der Berichte des Hörgeräte-Akustikers und durch eigene Untersuchungen über folgende Befunde informieren: Lautstärke, bei der das Optimum des Sprachverständnisses erreicht wird, Unbehaglichkeitsgrenzen für Töne und Sprache, Verständnisquote, die mit Hörgeräten im Freifeld bei 65dB erreicht wird. Ferner sollte er durch ausführliche Befragung feststellen, wie lange täglich bei welchen Gelegenheiten die Hörgeräte benutzt werden. Folgerungen: Es ist wahrscheinlich, dass beim Gebrauch der Hörgeräte im täglichen Leben etwa dieselbe Lautstärke eingestellt wird, bei der im Sprachaudiogramm das Optimum der Verständlichkeit erzielt wurde. Liegt dieses z. B. bei 100 dB und werden die Hörgeräte täglich 2 h getragen, so ist dies etwa gleichbedeutend mit einer beruflichen Lärmexposition von 94 dB (A) über 8 h ohne Gehörschutz. Diskussion: Unter allen im Lärm Tätigen, entwickeln nur ca. 1 - 2 % eine Lärmschwerhörigkeit von versicherungsrechtlich relevantem Ausmaß; es sind dies Individuen mit einer ungewöhnlichen Vulnerabilität der Innenohren. Gleichzeitig haben Lärmarbeiter meist eine erhöhte Unbehaglichkeitsschwelle; sie sind also an höhere Geräuschpegel gewöhnt. Darum neigen sie auch dazu, ihre Hörgeräte laut einzustellen. Der Gutachter muss abschätzen, ob die Schallbelastung durch den privaten Gebrauch der Hörgeräte eventuell das größere Risiko einer Lärmschädigung bedeutet als die nur noch grenzwertige berufliche Lärmbelastung. Die versicherungsrechtlichen Konsequenzen, ob es sich dann um einen noch berufsbedingten Folgeschaden oder um einen berufsunabhängigen Nachschaden handelt, werden diskutiert.

Progressive Noise Induced Hearing Loss Caused by Hearing Aids, a Dilemma for the Worker and the Expert Alike

Background: Investigating cases of noise induced hearing loss the expert is often confronted with the situation that the hearing loss is progressive although the noise exposure has been reduced to almost non-damaging levels. Other causes such as age, hereditary deafness, head injuries, blasts, internal diseases can be excluded. Hearing aids as sources of damaging noise? By consulting the protocol of the hearing-aid acoustician and by own examinations the expert should obtain the following data: loudness level that yields best discrimination score of speech; level of discomfort for tones and speech, discrimination score that is achieved under free field condition with a speech level of 65 dB, using the hearing aids. Furthermore he should explore the circumstances under which the hearing aids are used: how many hours per day, at what occasions etc.? Interpretation: It is likely that in using the hearing aids they are adjusted to emit an intensity level identical to the one yielding the optimal discrimination score. If this e. g. is 100 dB and the hearing aids are used for 2 hours per day this would be equivalent to an exposure to industrial noise of 94 dB (A) for 8 hours daily without ear protection. Discussion: Among all individuals working under industrial noise exposure today only about 1 - 2 % having unusually vulnerable inner ears will suffer a noise induced hearing loss. On the other hand workers in industrial noise are accustomed to loud noise levels, usually have a raised threshold of discomfort and therefore are likely to adjust their hearing aids to such high intensities. The expert will have to decide whether in an individual case the industrial noise exposure or the use of the hearing aids is the dominant risk for further damage. The consequences in respect to the regulations of the workers’ health insurance are discussed.

Literatur

  • 1 Niemeyer W. Schwerhörigkeit durch Lärm. In: Ganz H, Iro H (Hrsg) HNO-Praxis heute. Bd. 18. Berlin; Springer 1998
  • 2 Niemeyer W. Kritisches zur Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit. In: Ganz H, Iro H (Hrsg) Praxis heute. Bd. 20. Berlin; Springer 2000
  • 3 Böhme G. Zur Progredienz frühkindlicher sensorineuraler Hörschädigungen.  Laryngo-Rhino-Otol. 1985;  64 470-472
  • 4 Kollar A, Bleisch W, Arnold W, Mathis A. Zur Frage der Progredienz der sensorineuralen Schwerhörigkeit bei Kindern.  Otorhinolaryngol Nova. 1992;  2 289-293
  • 5 Niemeyer W. Relation between the discomfort level and the reflex threshold of the middle ear muscles.  Audiology. 1971;  10 172-176
  • 6 Zenner H P, Struwe V, Schuschke G, Spreng M, Stange G, Plath P, Babisch W, Rebentisch E, Plinkert P, Bachmann K D, Ising H, Lehnert G. Gehörschäden durch Freizeitlärm.  HNO. 1999;  47 236-248

Prof. Dr. med. Harald Feldmann

Univ.-HNO-Klinik

Kardinal-von-Galen-Ring 10
48149 Münster

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