Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(18): 951-952
DOI: 10.1055/s-2002-26728
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Primäre Prävention des Typ-2-Diabetes

Primary prevention of type 2 diabetes M. Hanefeld
  • Zentrum für Klinische Studien GWT, TU Dresden
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Publication Date:
02 May 2002 (online)

Prof. Dr. M. Hanefeld

Der Diabetes hat sich im letzten Jahrzehnt zu einer wahren Volkskrankheit entwickelt. Über 95 % der neu Erkrankten sind Typ-2-Diabetiker. Bis 2010 wird mit 6-8 Millionen Diabetikern in Deutschland gerechnet, etwa 10 % der Bevölkerung im Erwachsenenalter. Diese Annahme stützt sich auch auf die weite Verbreitung von Diabetes-Vorstadien. So konnte bei Verwandten von Typ-2-Diabetikern und Personen mit metabolischem Syndrom ohne bekannten Diabetes im Alter von 40-70 Jahren in 26,2 % eine „impaired glucose tolerance“ (IGT) im 75  g OGTT (oraler Glukose-Toleranztest) festgestellt werden, 11,5 % hatten eine „impaired fasting glucose“ (IFG) [1]. Diese Risikogruppen für Diabetes haben eine jährliche Konversionsrate zu Typ-2-Diabetes von 3-10 %.

Dabei ist IGT mehr als ein Diabetes-Vorstadium. Bereits zu diesem Zeitpunkt ist die kardiovaskuläre und Gesamtsterblichkeit gegenüber Personen mit normaler Glukosetoleranz um mehr als das Doppelte erhöht [2] . Die Probanden der RIAD(Risk Factors in IGT for Atherosclerosis and Diabetes)-Studie mit IGT hatten bereits eine signifikante Zunahme der Intima-Media-Dicke (IMT) der Arteria Carotis im Duplex-Sonogramm und wiesen wie Typ-2-Diabetiker das ausgeprägte Cluster des Metabolischen Syndroms auf. Diabetogenese und Atherogenese verlaufen offensichtlich parallel und haben zu einem großen Teil die gleichen Risikofaktoren. Dabei scheint die subklinische chronische Inflammation eine zentrale Rolle zu spielen. Lange bevor der Typ-2-Diabetes diagnostiziert wird, besteht auch ein Defizit der frühen Insulinsekretion und eine verstärkte Insulinresistenz, wie bei E. Henkel et al. [3] in diesem Heft nachzulesen. Extrapoliert man die epidemiologischen Daten zu IFG und IGT, so wird deutlich, dass die IGT die höhere Last an kardiovaskulärem und Gesamtsterblichkeitsrisiko birgt [4]. Dies spricht für eine eigenständige Rolle der postprandialen Hyperglykämie als Progredienzfaktor der Arteriosklerose. Die lange Vorperiode mit sich frühzeitig entwickelnden kardiovaskulären Begleitkrankheiten erklärt auch die eher bescheidenen Ergebnisse zur Prävention der Makroangiopathie bei neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes [5] [6].

Damit werden präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Begleitkrankheiten zu einem kategorischen Imperativ. Mit Hinblick auf das Gesundheitsrisiko haben sich die Bemühungen bisher vor allem auf die Prävention des Diabetes bei Personen mit IGT gerichtet. Primäre Prävention bei IGT wird deshalb ein großes Thema der Jahrestagung der DDG 2002 in Dresden sein.

Die jetzt vorgelegten Ergebnisse sind ermutigend. In frappierender Übereinstimmung konnte in zwei der drei Life-Style Studien [7-9] eine Senkung der Konversion von IGT zu Typ-2-Diabetes um etwas über 50 % erreicht werden. Die finnische Life Style Studie [8] und das US-amerikanische „Diabetes Prevention Program“ (DPP) [9] zogen dabei alle Register: Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung, physische Konditionierung, psychosomatische Betreuung, so dass der Einzeleffekt der Interventionskomponenten nicht abgelesen werden kann. Wir wissen aber aus allen Vorläuferstudien, dass Gesundheitsverhalten eine Einheit bildet. In der Daquing-Studie [7] waren Ernährungsumstellung und Konditionierung gleich wirksam, die Kombination beider erhöhte den Effekt auf die Konversionsrate nicht. In allen Studien war die Langzeit-Compliance zur physischen Konditionierung am besten.

Nicht jeder kann oder will seinen Lebensstil so ändern, wie in den drei Life-Style Studien beschrieben. Deshalb ist die Suche nach geeigneten Medikamenten durchaus legitim, muss sich aber stets an den Ergebnissen der Life-Style Studien messen lassen und kann nur als „add on“ Medikation akzeptiert werden. Hierzu liegen nunmehr zwei Studien vor, bei denen die Prävention des Diabetes das primäre Ziel war: der Metformin-Arm der DPP [9] und die STOP-NIDDM Studie [10]. In der DPP wurde mit Metformin eine Reduktion neuer Diabetesfälle um 31 % erzielt. In der STOP-NIDDM Studie, die Acarbose einsetzte, betrug die Reduktion 25 % in der „Intention to Treat“-Analyse. Die Ergebnisse der „per protocol“-Analyse waren noch wesentlich besser, da mehr Probanden (19 %) in der Acarbose-Gruppe die Studie vorzeitig beendeten als in der Plazebogruppe (5,2 %). Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass Acarbose gut vertragen wurde und keinerlei ernste Nebenwirkungen auftraten. Acarbose hemmt primär den Anstieg des Blutzuckers nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit. Soweit aus vorläufigen Mitteilungen bekannt wurde (Abstracts) sind in dieser Studie auch die kardiovaskulären Ereignisse und neu aufgetretenen Hypertoniefälle signifikant reduziert worden. Damit läge erstmalig eine evidenzbasierte Studie zur Prävention von Diabetes und Makroangiopathie durch Kontrolle der postprandialen Hyperglykämie vor.

Hilfe scheint auch von anderer Seite in Sicht. In der WOSCOPS- [11] und HOPE-Studie [12] traten unter einem Statin (Pravastatin) bzw. einem ACE-Hemmer (Ramipril) 31 % weniger neue Diabetesfälle auf - ein Befund der in Zusammenhang mit pleiotropen, in diesem Falle antiinflammatorischen, Effekten dieser Medikamente gesehen wird. Gegenwärtig starten zwei Großstudien: DREAM (Diabetes Reduction Approaches with Ramipril and Rosiglitazone Medications) und NAVIGATOR (Nateglinide and Valsartan in Impaired Glucose Tolerance Outcome Research), die so angelegt sind, dass auch Endpunkte, kardiovaskuläre Ereignisse und Gesamtsterblichkeit, ermittelt werden können. DREAM wird die Wirksamkeit der im Akronym aufgeführten Medikamente und ihre Kombination gegen Plazebo testen. In der ersten Phase wird die Effizienz zur Verhinderung des Typ-2-Diabetes, in der zweiten Phase der Effekt auf die Endpunkte geprüft. NAVIGATOR wird die Wirksamkeit eines „prandialen“ Insulinsekretagogums (Nateglinide) zur Restitution der frühen Insulinsekretionsphase und eines AT1-Blockers (Valsartan) und deren Kombination prüfen. Erste Ergebnisse hierzu werden 2005/2006 erwartet. Damit sollte die primäre Prävention von Diabetes und Arteriosklerose bei IGT definitiv Evidenz basiert sein.

Der gegenwärtige Stand der klinischen Forschung zu IGT und primärer Prävention des Diabetes wirft viele Fragen auf. Ist IGT eine Krankheit, ein Risikomarker oder ein Risikofaktor? Die IDF (Internationale Diabetes Föderation) wird in einem in Kürze erscheinenden „ad hoc“-Statement die IGT als Risikofaktor deklarieren, der Lebensstilmodifikationen erfordert. Wer aber soll eventuell Medikamente erhalten, wenn diese nicht angewendet werden können, weil der Patient dazu nicht in der Lage ist, nicht akzeptiert werden oder nicht ausreichen. Diese Fragen werden den Kongress und die Diabetologen noch lange beschäftigen. Mehr Anstrengungen für eine gesündere Lebensweise sind das Gebot der Stunde, denn der „große Knall“ in der Diabetesepidemiologie hat schon stattgefunden. Eine riesige Welle von Neuerkrankungen mit zahlreichen Begleit- und Folgekrankheiten und damit hohen Kosten droht.

Literatur

  • 1 Köhler C, Temelkova-Kurktschiev T, Schaper F, Fücker K, Hanefeld M. Prävalenz von neuentdecktem Typ 2 Diabetes, gestörter Glukosetoleranz und gestörter Nüchternglukose in einer Risikopopulation.  Dtsch med Wochenschr. 1999;  124 1057-1061
  • 2 DECODE Study Group on behalf of the European Diabetes Epidemiology Study Group . Will new diagnostic criteria for diabetes mellitus change phenotype of patients with diabetes? Reanalysis of European epidemiological data.  BMJ. 1998;  317 371-375
  • 3 Henkel E, Köhler C, Temelkova-Kurktschiev T, Hanefeld M. Prädiktoren von Glukosetoleranzstörungen in einer Risikopopulation für Typ 2 Diabetes: die RIAD-Studie.  Dtsch med Wochenschr. 2002;  127 953-957
  • 4 DECODE Study group on behalf of the European Diabetes Epidemiology study group . Glucose tolerance and mortality: comparison of WHO and American Diabetic Association diagnostic criteria.  Lancet. 1999;  354 617-621
  • 5 UKPDS Group . Intensive blood control with sulfonyl-ureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33).  Lancet. 1998;  352 837-853
  • 6 Hanefeld M, Fischer S, Schmechel H. et al . Diabetes Intervention Study. Multi-Intervention trial in newly diagnosed NIDDM.  Diabetes Care. 1991;  14 308-317
  • 7 Pan X R, Li G W, Hu Y H, Wang J X, Yang W Y, An Z X, Hu Z X, Lin J, Xiao J Z, Cao H B, Liu P A, Jiang X G, Jiang Y Y, Wang J P, Zheng H, Zhang H, Bennett P H, Howard B V. Effects of diet and exercise in preventing NIDDM in people with impaired glucose tolerance. The Da Qing IGT and Diabetes Study.  Diabetes Care. 1997;  20 537-544
  • 8 Tuomilehto J, Lindstrom J, Eriksson J G. et al . Prevention of type 2 diabetes mellitus by changes in life style among subjects with impaired glucose tolerance.  N Engl J Med. 2001;  344 1343-1350
  • 9 Knowler W C, Barrett-Connor E, Fowler S E. et al . Reduction in the incidence of type 2 diabetes with life style intervention or metformin.  N Engl J Med. 2002;  346 393-403
  • 10 Chiasson J L, Josse R G, Gomis R. et al . Acarbose can prevent the progression of impaired glucose tolerance to type 2 diabetes mellitus: Results of a randomised clinical trial, The STOP-NIDDM Trial.  Lancet. 2002; in press; 
  • 11 Freeman D J, Norrie J, Sattar N, Neely R D, Cobbe S M, Ford I, Isles C, Lorimer A R, Macfarlane P W, McKillop J H, Packard C J, Shepherd J, Gaw A. Pravastatin and the development of diabetes mellitus: evidence for a protective treatment effect in the West of Scotland Coronary Prevention Study.  Circulation. 2001;  103 357-362
  • 12 Yusuf S, Sleight P, Pogue J, Bosch J, Davies R, Dagenais G. Effects of an angiotensin-converting-enzyme inhibitor, ramipril, on cardiovascular events in high-risk patients. The Heart Outcomes Prevention Evaluation Study Investigators.  N Engl J Med. 2000;  342 145-153

Prof. Dr. M. Hanefeld 

Zentrum für Klinische Studien GWT, TU Dresden

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