Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(19): 1042
DOI: 10.1055/s-2002-28324
Leserbriefe
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Immunpathogenese der Atherosklerose. Die Mainzer Hypothese

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Publication Date:
08 May 2002 (online)

Bei Vorstellung der Mainzer Hypothese zur Immunpathogenese der Atherosklerose kommt der Autor [1] - unbeschadet der diesem Konzept immanenten und sich vermutlich noch ausweitenden Komplexität - zu der berechtigten Aussage, dass der Atherogenese am besten »durch Entlastung des Cholesterin-Transportsystems« entgegengewirkt werden könne. Hauptsächlich wurde dabei auf die Einstellung eines optimalen LDL/HDL-Konzentrationsquotienten und auf die Normalisierung eines erhöhten Blutdrucks im Gefüge des präsentierten Modells abgehoben. Zugleich wurde zu Recht bemängelt, dass dieser Konzentrationsquotient bisher viel zu wenig als Diskriminator für ein atherogenes Risiko berücksichtigt worden sei.

Im deutschen Sprachraum machten Wieland und Seidel 1978 und 1979 [7] [8] sowie der Verfasser dieser Zeilen 1979 und 1980 [2] [3] aufgrund experimenteller Untersuchungen bereits darauf aufmerksam, dass sich zur Diskriminierung des Risikos für koronare Herzkrankheit und Atherosklerose überhaupt die Aussagekraft der Einzelmessgrößen unter den Lipiden und Pipoproteinen im Serum einschließlich verschiedener Apolipoproteine [4] erheblich steigern lässt, wenn man die beiden Hauptkomponenten mit entgegengesetzter biologischer Wertigkeit zueinander in Beziehung setzt: nämlich die vasoaggressiven LDL zu den als vasoprotektiv eingeschätzten HDL (nicht als Cholesterinfraktionen, sondern als Gesamtlipoproteine). Aus den Werten dieses Quotienten können relative Verschiebungen der beiden Lipoproteinklassen selbst bei normalem Gesamtcholesteringehalt im Serum erkannt werden. Das Konzentrationsverhältnis LDL/HDL, auch als »Atherosklerose-Index« bezeichnet, erweist sich unter den allgemein bestimmten »Lipid-Parametern« als stabilster Risikoindikator. Allerdings bietet die Angabe dieses Quotienten keinen Hinweis auf ein mögliches atherogenes Risiko bei isolierter Erhöhnung triglyzeridreicher VLDL, da dieses Lipoprotein oder dessen Cholesterinanteil im Index nicht enthalten ist. Seitdem ab Mitte der 80er-Jahre (weiterführende Literatur bei [5] [6]) wiederholt gezeigt werden konnte, dass ein gestörter VLDL-Stoffwechsel neben erhöhten LDL-Cholesterin-Werten und erniedrigtem HDL-Cholesterin-Gehalt unter bestimmten Voraussetzungen als unabhängiger pathogenetischer Risikofaktor für koronare Herzkrankheit angesehen werden muss, erschien eine Erweiterung des »Atherosklerose-Index« um VLDL-Cholesterin sinnvoll und aussagekräftiger, weil damit die direkt oder indirekt atherogen wirksamen Komponenten von β-cholesterinreichen Abbauprodukten, sog. »remnants«, triglyceridreicher VLDL in die Risikobeurteilung eingeschlossen sind. Anhand von Ergebnissen bei 200 normo- und hyperlipoproteinämischen Patienten beiderlei Geschlechts zeigte sich, dass der erweiterte »Atherosklerose-Index« (LDL-Cholesterin + VLDL-Cholesterin)/HDL-Cholesterin bei Frauen (Männern) bis zu einem Wert von 2,5 [3] [1] Normolipoproteinämie erwarten lässt. Die entsprechenden Angaben für den üblicherweise als »Atherosklerose-Index« bezeichneten Quotienten LDL/HDL (als Lipoproteine, nicht als Cholesterinfraktionen) lauten 0,9 für Frauen und 1,1 für Männer. Die Abweichungen der für Männer ermittelten Werte von denen für Frauen ergeben sich aus dem signifikant niedrigeren Niveau von HDL-Cholesterin bei Männern [6].

HDL bestehen bekanntermaßen aus einem Kontinuum von Teilchen, deren beide Hauptkomponenten HDL2 und HDL3 sind. Sie bestimmen im Wesentlichen den Gesamt-HDL-Cholesterinwert. Der vasoprotektive Effekt von HDL wird auf die Unterfraktionen HDL2a und HDL2b zurückgeführt (weiterführende Literatur bei [4-6]). HDL2 ist eine dynamische Bezugsgröße, die stark invers mit dem Ausmaß einer angiographisch nachgewiesenen koronaren Herzkrankheit korreliert. Demgegenüber gilt HDL3 mit mehreren Subfraktionen als Substrat für die Veresterung von Cholesterin im Plasma. Eine Transformation von HDL3 in HDL2 erfolgt durch Aufnahme von Bestandteilen, die während der Lipolyse von VLDL freigestzt werden. Experimentell zeigte sich nun [5], dass bei sehr niedrigen HDL-Konzentrationen bis 35 mg/dl Serum HDL-Cholesterin weitgehend aus HDL3-Cholesterin besteht, wobei in linearer Funktion einem Zuwachs von HDL-Cholesterin um 1 mg/dl eine mittlere Zunahme von HDL3-Cholesterin von 0,87 mg/dl entspricht. Mit zunehmender Konzentration von HDL-Cholesterin flacht sich der Anteil von HDL3-Cholesterin nach einer parabolischen Funktion allmählich ab, ohne dass eine »Sättigungskonzentration« erreicht wird. Umgekehrt erhöht sich der HDL2-Cholesterin-Anteil an Gesamt-HDL-Cholesterin konzentrationsabhängig ebenfalls nach einer parabolischen Funktion progressiv. Mit anderen Worten: In einem Konzentrationsbereich bis zu etwa 35 mg/dl kommt ein Konzentrationszuwachs von Gesamt-HDL-Cholesterin im Mittel zu 87 % durch eine Zunahme des Anteils von HDL3-Cholesterin zustande. Im mittleren und oberen Konzentrationsbereich von Gesamt-HDL-Cholesterin (etwa zwischen 40 und über 120 mg/dl) erfolgt eine Erhöhung des Gehaltes von HDL-Cholesterin im Serum immer mehr durch Steigerung des absoluten und relativen Anteils von HDL2-Cholesterin. Aber auch bei sehr hohen Gesamt-HDL-Cholesterinkonzentrationen ist eine Obergrenze für den absoluten HDL3-Cholesteringehalt nicht erkennbar. Mit dieser Erkenntnis konnte die Notwendigkeit für eine zusätzliche Bestimmung von HDL2- und HDL3-Cholesterin auf wenige Spezialfälle in Klinik und Praxis und auf die Forschung beschränkt werden.

Literatur

  • 1 Bhakdi S. Immunpathogenese der Atherosklerose. Die Mainzer Hypothese.  Dtsch med Wochenschr. 2002;  127 390-394
  • 2 Mertz D P, Göhmann E. Lipoproteinanalytik. Vergleichende Studie mit verschiedenen elektrophoretischen Verfahren.  Med Klin. 1979;  74 866-870
  • 3 Mertz D P. »Atherosklerose-Index« (LDL/HDL): Risikofaktor bei Störungen des Fettstoffwechsels.  Med Klin. 1980;  75 159-161
  • 4 Mertz D P, Göhmann E, Ostertag J. Differentialeinsatz von Apolipoproteinen und Lipoproteinen als Diskriminatoren für ein atherogenes Risiko.  Med Welt. 1981;  32 1611-1615
  • 5 Mertz D P, Rinne R. Interrelationen zwischen HDL2- und HDL3-Cholesterin im Serum und dem Cholesteringehalt in Lipoproteinen hoher, niedriger und sehr niedriger Dichte (HDL, LDL, VLDL).  Akt Endokr Stoffw. 1987;  8 23-28
  • 6 Mertz D P, Rinne R. Normalwerte des erweiterten »Atherosklerose-Index«: (LDL-Cholesterin + VLDL-Cholesterin)/HDL-Cholesterin.  Akt Endokr Stoffw. 1987;  8 123-126
  • 7 Wieland H, Seidel D. Fortschritte in der Analytik des Lipoproteinmusters.  Inn Med. 1978;  5 290-297
  • 8 Wieland H, Niazi M, Bartholomé M, Seidel D. A new method for measurement of plasma lipoproteins. A clinical evaluation. Verh. V. Internat. Symp. on Atherosclerosis. Houston 6th-9th November 1979

Autor

Prof. Dr. Dieter Paul Mertz

Am Rosenberg 44

79238 Ehrenkirchen

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