Psychother Psychosom Med Psychol 2002; 52(6): 255
DOI: 10.1055/s-2002-32249
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

„Akut-versus-Reha”

Acute Care versus Rehabilitativ CarePeter  Joraschky
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Publication Date:
14 June 2002 (online)

Eine bundesdeutsche Polarität beschäftigte die Psychosomatiker nicht erst jetzt, aber sie gewinnt zunehmend an Brisanz. Eine Round-Table-Diskussion auch mit Kostenträgern bei der 53. Arbeitstagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin 2002 in Ulm belegte dies deutlich.

Die stationäre psychosomatische Therapie leidet von Beginn an und immer noch an einem vergleichsweise sehr kurzen „akuten” Bein. Dieses Leiden sollte durch Aufstockung in den Landesbettenplänen anbehandelt werden, zur gleichen Zeit begannen die Einsparungszwänge der Kostenträger, auch die psychosomatische Medizin zu erfassen und entdeckten das wackelige Geschöpf mit dem mächtigen „Reha-Bein”. Ein fester Tritt gegen das Schienbein testete die Standfestigkeit des psychosomatischen Versorgungssystems erheblich aus. Dieser Tritt erfolgte durch die Verbände gesetzlicher Krankenkassen, indem die Indikationsstellung, Behandlungsdauer und Zuständigkeit des Kostenträgers für die stationäre Psychotherapie infrage gestellt wurden. Insbesondere der Versuch des MDK, seit Oktober 2000 die Behandlungsdauer in Nordrhein-Westfalen zu limitieren, führte zu Erdbeben in der Versorgungssicherheit, ausgelöst durch tektonische Verschiebungen zwischen Rentenversicherungsträgern und Krankenkassen (angestoßen durch das SGB IX). Wie kein anderes medizinisches Fach sind die bettenführenden psychosomatischen Kliniken, da überwiegend Reha-Kliniken, mit Fragen der Kostenträger konfrontiert. Gleichzeitig hat der akute Kostenträgerkonflikt die traditionsreiche friedliche Koexistenz von „Akut” und „Reha” labilisiert, teilweise polarisiert und gibt zu grundsätzlichen Überlegungen über die fundamentale Schieflage der Versorgungssituation in der psychosomatischen Medizin Reflexionsanstöße:

Die psychosomatische Versorgungsstruktur in Deutschland stellt sich gegenwärtig so dar, dass ca. 4500 so genannte Akutbetten vorgehalten werden; davon sind nur ca. 10 % an den Universitätskliniken bzw. in wenigen Schwerpunktkrankenhäusern angesiedelt, so dass sie für die regional-städtische in das Krankenhaus eingebundene Versorgung kaum eine Rolle spielen. Dem gegenüber stehen noch immer ca. 13 000 „Reha-Betten” mit steigender Tendenz. Insofern muss von der strukturell-institutionellen Seite her festgestellt werden, dass aus der angestrebten Integration der psychosomatischen Medizin in die Krankenhäuser eine Separation geworden ist, der jetzt in den Landesbettenplänen meist zögerlich gegengesteuert wird.

Wie könnten Lösungsansätze aussehen? Gesundheitspolitisch ist eine Ausgewogenheit zwischen Akut- und Reha-Behandlung auch in der Zuordnung der Betten dringend. Das Ziel der Vernetzung - ambulant - teilstationär - stationär - rehabilitativ - sollte von Akutkrankenhäusern gestaltet werden, um die jeweiligen Therapiebausteine für den Patienten zu einem Gesamtbehandlungsplan zusammenzusetzen. Hier könnte die Akutklinik für die Versorgungskette eine Mediatorfunktion übernehmen. Da durch die gewachsenen Realitäten nur eine partielle Umschichtung der Betten in die regionale Versorgung aus den Reha-Kliniken erfolgen kann, wird sich vor allem die Frage der Kooperation der Kostenträger stellen. Hier machen Koch u. Schulz (1999) den Vorschlag, Fallgruppen, abgestimmt nach akuten und chronischen Anteilen, definiert über Diagnosen, Schweregrad, Risikofaktoren und Komorbidität z. B. in vier verschiedene Kategorien einzuteilen, da das Problem der eindeutigen Zuordnung in akute und chronische Patienten nie lösbar sein wird. Eine Flexibilisierung der Behandlungskette und der Behandlungszeiten könnte mit diesem Modell auch leichter erfolgen. Mit der Versorgungsforschung wäre es möglich, mehr Forschungsdaten im Hinblick auf Indikation, Dosis, Wirkungsrelation, verschiedene Therapiemodelle im Rahmen einer nicht separierten, sondern integrierten Versorgungskette abzusichern, also nicht nur die Schwächen des bisherigen Systems immer wieder darzustellen, sondern Möglichkeiten, wie Akut mit Reha feste Knoten eines funktionierenden Therapienetzes sein können.

Peter Joraschky, Dresden

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