Suchttherapie 2002; 3(Suppl. 1): S1-S2
DOI: 10.1055/s-2002-32774
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

Jörg Gölz
  • 1Praxiszentrum Kaiserdamm, Berlin
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Publication Date:
11 July 2002 (online)

Innerhalb von nur sechs Jahren tauchte die Hepatitis C aus der nebligen Umschreibung „Non-A-, Non-B-Hepatitis” als exakt bestimmbares Krankheitsbild hervor. 1989 wurde das HC-Virus als RNA-Virus identifiziert, seit 1994 lässt sich das Krankheitsbild mit hoher Empfindlichkeit serologisch diagnostizieren, und seit 1995 ermöglicht die molekulare Diagnostik mittels PCR unabhängig vom Genotyp die Sicherung der Diagnose und ein differenziertes Monitoring der Therapie.

Im gleichen Zeitraum hat sich das Wissen über die Morphologie, die Replikationsschritte, die Immunantwort des Körpers und die Virusdynamik explosiv vermehrt. Damit verknüpft waren fundamentale Fortschritte in der Behandlung: Die Kombination mit Ribavirin, die Pegylierung der rekombinanten Interferone und das Konsensusinterferon haben die Heilungsraten im Vergleich zur IFN-Monotherapie aus dem Bereich von 7 % bis 20 % in den Bereich von 40 % bis 80 % gesteigert. Schon jetzt deutet sich für die kommenden Jahre die Entwicklung zusätzlicher Therapieoptionen an. Geschult an der Erfolgsgeschichte der HIV-Therapie wird auch auf dem Gebiet der viralen Hepatitiden nach Substanzen gesucht, mit denen die Replikationsenzyme der Viren gehemmt werden können.

Die Fortschritte in der Diagnostik ließen erkennen, dass die Leberzirrhose als Folge einer chronischen Hepatitis C zur häufigsten Indikation für eine Lebertransplantation geworden war. Bei 400000 Patienten mit chronischer HCV-Infektion müssten in der Bundesrepublik etwa 3000 Lebertransplantationen pro Jahr durchgeführt werden. Die Zahl der vorhandenen Spenderorgane liegt bei einem Viertel dieser Zahl. Dies führte zu einer gesteigerten Behandlungsaktivität bei chronischen HCV-Trägern mit hohem Risiko für eine Leberzirrhose.

Dieser therapeutische Aufbruch ist noch nicht bei der Gruppe der HCV-infizierten Drogenabhängigen angekommen. An einzelnen spezialisierten Zentren werden jetzt vermehrt auch Drogenabhängige im Rahmen von Studien behandelt. An der Basis des Versorgungssystems, in den suchtmedizinischen Praxen, herrscht aber bis heute eine auffällige Zurückhaltung.

Dabei sind in den letzten zehn Jahren mit dem suchtmedizinischen Paradigmenwechsel zu schadensmindernden Behandlungsformen gute Vorraussetzungen für diese Behandlung geschaffen worden: War unter dem Primat der Abstinenztherapie die Beziehung zwischen Arzt und Drogenpatient ständig durch Abstinenzbemühen und Rückfälle unterbrochen, förderte die Substitutionstherapie lang dauernde stabile Objektbeziehungen zwischen Ärzten und Drogenabhängigen und damit ein therapeutisches Setting, in dem komplexe Therapieregimes erfolgreich abgeschlossen werden können.

Die Ursachen für die therapeutische Zurückhaltung in diesem Versorgungsfeld müssen vor allem im wirtschaftlichen Risiko gesucht werden, das eine solche Therapie wegen der Kosten für den behandelnden Arzt darstellt. Es ist der Wildwuchs an Regeln und Sanktionsandrohungen, mit denen ein fehlfinanziertes Gesundheitssystem seit Jahrzehnten versucht, strukturelle Mängel allein unter dem Aspekt der Ausgabenbegrenzung zu bearbeiten.

Die starre Budgetzuweisung für den einzelnen Patienten, ganz unabhängig vom Zeitaufwand der Behandlung, führt zu einer widersinnigen Selektion: Krankenhaus und Praxis müssen aus wirtschaftlichen Gründen darauf achten, die Zahl der zeit- und personalaufwändigen Patienten möglichst klein zu halten. Der Zwang, das Medikamentenbudget seiner Fachgruppe einzuhalten, zwingt den einzelnen niedergelassenen Arzt, Therapien mit hohen Kosten zu vermeiden, da auch im Begründungsverfahren für die Budgetüberschreitung immer das unkalkulierbare Risiko wenigstens eines Teilregresses droht. Die Tendenz der Krankenkassen, im Zweifelsfall nur noch Therapieverfahren der Evidenzklasse 1 zu bezahlen, macht jedes innovative Behandeln zum wirtschaftlichen Risiko für den Arzt.

Die quartalsweise wiederkehrende Durchsetzung des eigenen therapeutischen Handelns gegen die ständig wechselnden leistungsrechtlichen Interpretationen durch die Sozialgerichte ist für den einzelnen Arzt darüber hinaus noch mit hohem bürokratischen Dokumentations- und Begründungsaufwand verbunden, sofern es sich um Therapien mit hohen Kosten handelt.

Die Lösung dieser grotesken Arbeitsbedingungen liegen im politischen Raum. Unabhängig davon sollte sie uns Ärzte nicht von einer professionellen Arbeit abhalten. Nach der Durchsetzung schadensmindernder Behandlungsansätze in der Suchttherapie folgt jetzt in einem zweiten Schritt die Etablierung infektiologischer Behandlungsstandards auch bei Patienten mit der Vorgeschichte einer Drogenabhängigkeit. Die Beiträge dieses Supplements sind der Epidemiologie, der Prävention, den virologischen und immunologischen Grundlagen und der Behandlungstechnik der chronischen HCV-Infektion bei drogenabhängigen Patienten gewidmet. Es ist nicht zufällig, dass dies in einem Supplement einer suchttherapeutischen Zeitschrift und nicht etwa in einer infektiologischen Zeitschrift geschieht. Die Themen beider Disziplinen liegen sehr weit auseinander und es ist leichter, wenn sich suchttherapeutisch ausgebildetete Ärzte das infektiologische Wissen aneignen als umgekehrt.

Die in diesem Supplement zusammengetragenen Daten sollen den behandelnden Ärzten den aktuellen Stand des Wissens vermitteln und ihnen damit Mut machen, sich dieser neuen Herausforderung zu stellen, trotz aller außermedizinischen Widrigkeiten, die damit verbunden sind.

Uns allen, die täglich mit solchen Entscheidungen ringen, sollte es Mut machen, dass das unbeirrt medizinisch begründete Handeln gegen alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und auch medizinischen Tabus lebendig ist: Im letzten Jahr hat die Transplantationsabteilung der Universität Essen (Prof. Dr. Broelsch) einer doppelinfizierten Drogenpatientin mit dekompensierter Leberzirrhose eine Leber transplantiert. Nachdem sechs Zentren wegen Drogenabhängigkeit und HIV-Infektion abgelehnt hatten, fand ich doch einen Ort, an dem nicht Tabus das Handeln leiten, sondern medizinischer Sachverstand.

Für die finanzielle Unterstützung bedanken wir uns bei folgenden Firmen, die damit das Erscheinen dieses Heftes möglich gemacht haben:

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Dr. med. Jörg Gölz

Praxiszentrum Kaiserdamm

Kaiserdamm 24

14057 Berlin

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