Psychother Psychosom Med Psychol 2002; 52(8): 331
DOI: 10.1055/s-2002-33078
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Was lange währt, wird endlich gut?

A Happy Outcome is Worth Waiting for?Elmar  Brähler, Bernhard  Strauß
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Publication Date:
31 July 2002 (online)

Seit dem 26. 4. 2002 ist amtlich, woran fast keiner mehr geglaubt hatte: Eine neue Approbationsordnung. Die Entwicklung der in dieser Zeitschrift repräsentierten Fachgebiete ist eng mit der Entwicklung der Approbationsordnung in den letzten Jahrzehnten verbunden gewesen. 1970 löste die Approbationsordnung die Bestallungsordnung von 1953 ab und ordnete das Medizinstudium gründlich neu. Die Fächer Medizinische Psychologie, Medizinische Soziologie und Psychosomatik/Psychotherapie wurden als Pflicht- und Prüfungsfächer in die Approbationsordnung aufgenommen. Der Anteil der psychosozialen Fächer am gesamten Unterricht der Medizinstudenten betrug dennoch nicht mehr als ca. 7 %. In den 80er Jahren gab es bereits Bemühungen, die Studienbedingungen an die Erfordernisse der späteren Praxis anzugleichen. Es wurde der Murrhardter Kreis gegründet, der - gefördert von der Bosch-Stiftung - versuchen wollte, vor allem Konzepte aus den angelsächsischen Ländern für Deutschland nutzbar zu machen. Dort lag der Anteil der psychosozialen Inhalte stets wesentlich höher als hierzulande.

Die 90er Jahre standen im Zeichen der Bemühungen um eine neue Approbationsordnung, durch welche die Medizinerausbildung in Deutschland international wettbewerbsfähig werden sollte. Doch statt sich den Empfehlungen des Murrhardter Kreises anzunähern, wurden die Vorschläge zur neuen Approbationsordnung immer rückschrittlicher. Mitte der 90er Jahre waren dann alle unsere Fächer praktisch völlig aus den Entwürfen verschwunden. Dieser Schock führte jedoch auch zu einer Rückbesinnung bei den Psychosozialen Fachgesellschaften auf ihre gemeinsame Verantwortung und Überzeugung. Das Resultat dieser gemeinsamen Anstrengungen war der Entwurf der Approbationsordnung aus dem Jahre 1997/98, der zwar nicht unseren Idealvorstellungen entsprach, dennoch aber Fortschritte gegenüber der bisherigen Approbationsordnung signalisierte. Eben dieser Entwurf ist am 26. 4. 2002 durch den Bundesrat endgültig in Kraft gesetzt worden.

Welche Chancen bietet dieser Entwurf?

Die Medizinische Psychologie und die Medizinische Soziologie haben ein zusätzliches Seminar in der Vorklinik erhalten (sind allerdings nicht mehr mündliches Prüfungsfach in der ÄVP). Die Psychosomatik/Psychotherapie ist unangetastet geblieben und sogar neben Psychoanalyse u. a. Fächern Wahlfach im klinischen Abschnitt. Es gibt eine Reihe von Querschnittsfächern, die eigentlich starke psychosoziale Komponenten enthalten und die auch Pflichtfach im klinischen Abschnitt sein werden, so z. B. die Medizin des Alterns und des alten Menschen, Prävention und Gesundheitsförderung, Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege, Rehabilitation, Naturheilverfahren, Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Außerdem besteht die Möglichkeit, klinische Kurse wie Anamnesegruppen bereits in der Vorklinik durchzuführen. Es besteht die Chance, ein studienübergreifendes psychosoziales Curriculum zu entwickeln und so sozial „kompetente” Ärzte heran zu bilden, die eine patientenorientierte Struktur von Krankenhäusern und Praxen ermöglichen und befördern.

Welche Gefahren lauern?

Bislang waren für unsere Fächer die Beispielstundenpläne von großer Bedeutung, da sie für die Kapazitätsberechnung juristisch verbindlich waren. Diese Beispielstudienpläne haben uns auch vor mancher Auseinandersetzung mit einer naturwissenschaftlich-medizintechnischen Übermacht bewahrt. Wenn nun möglicherweise die ZVS abgeschafft und die üblichen Kapazitätsberechnungen keine Rolle mehr spielen werden, dann werden wohl auch die Stundenpläne dereguliert. Einzelne Fakultäten könnten sich im Unterricht bestimmte Schwerpunkte setzen. Dies bedeutete dann, Auseinandersetzungen gegen eine große Übermacht zu führen. Es liegt an uns, ob die Chancen oder Risiken künftig eher dominieren. Wir sind vor die Aufgabe gestellt, gemeinsam Konzepte zu entwickeln, um uns in einer guten Medizinerausbildung zu behaupten.

Prof. Dr. Bernhard Strauß

Institut für Medizinische Psychologie des Klinikums der Universität

Stoystraße 3

07740 Jena

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