Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2002; 37(9): 538-546
DOI: 10.1055/s-2002-33768
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Infektionserreger als biologische
Waffen

Germs Employed as Biological WeaponsC.  G.  Meyer, J.  May
  • 1Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Hamburg
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Publication Date:
05 September 2002 (online)

Nicht erst seit den Milzbrandanschlägen im Herbst 2001 in den USA ist die Bedrohung durch biologische Waffen gegenwärtig. Das bekannteste historische Beispiel für den Einsatz biologischer Waffen stammt aus dem Jahr 1346. Um in der belagerten Hafenstadt Kaffa auf der Krim eine Epidemie auszulösen, katapultierten die angreifenden Tataren die Leichen von an Pest verstorbenen Kriegern in die Stadt. Genuesische Kaufleute, die sich während der Belagerung in Kaffa aufhielten, schleppten dann die Pest nach Europa ein.

Die Engländer verteilten im 18. Jahrhundert absichtlich mit Pockenviren kontaminierte Decken an die amerikanische Urbevölkerung und dezimierten so feindliche Stämme. Im 1. Weltkrieg planten die Deutschen, Schafe aus Rumänien, die für den Export nach Russland bestimmt waren, mit Bacillus anthracis (Milzbrand) und Burkolderia mallei (Rotz) zu infizieren. Auch argentinische Maultiere, die zu den Alliierten exportiert werden sollten, wurden mit Milzbrand infiziert. Die berüchtigte B-Waffeneinheit 731 der japanischen Armee verabreichte in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Mandschurei mit Clostridium botulinum verseuchte Nahrungsmittel an Kriegsgefangene und führte im 2. Weltkrieg Infektionsexperimente mit B. anthracis, Salmonella typhi, Vibrio cholerae, Yersinia pestis und weiteren infektiösen Mikroorganismen durch.

In deutschen Konzentrationslagern wurden Häftlinge mit Rickettsien, Plasmodien und Hepatitisviren infiziert. Die Briten experimentierten 1942 auf der schottischen Insel Gruinard mit Milzbranderregern, was bis zur Entseuchung der Insel durch Formaldehyd und Seewasser 1986 zu einer jahrzehntelangen Kontamination der Umwelt führte. Das offizielle B-Waffenprogramm der USA wurde 1943 mit B. anthracis- und Brucella-suis-Experimenten initiiert. In Camp Detrick, dem heutigen Fort Detrick, wurden Infektionsexperimente an Freiwilligen mit Francisella tularensis und Coxiella burnetii durchgeführt. Auch die Eigenschaften von Aspergillus fumigatus, Bacillus subtilis und Serratia marcescens und ihr Potential als B-Waffen wurde untersucht. Dabei interessierten besonders Infektionsdosen, Lagerung, Verfahren zur Aerosolisierung und das Verhalten der Aerosole in größeren geographischen Regionen unter bestimmten klimatischen Bedingungen. Bisher ist nicht bekannt, ob die USA im Koreakrieg biologische Waffen angewendet haben.

Brasilianische Indianerstämme wurden zu ihrer Ausrottung und Vertreibung von ergiebigen landwirtschaftlichen Nutzflächen Mitte des 20. Jahrhunderts systematisch mit Pocken, Masern, Influenza und Tuberkulose infiziert. Der Gebrauch biologischer Waffen in Konflikten und Kriegen in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist nicht endgültig belegt.

Die ¿Biological and Toxin Weapons Convention¿ (1972) ächtete die Entwicklung, Produktion, Lagerung und den Gebrauch biologischer Waffen. Überprüfungen der Verpflichtungen sind in dem Abkommen (UNO-Resolution 2826, 144 Mitgliedsstaaten) jedoch nicht vorgesehen und entsprechende Nachverhandlungen sind bis heute ohne Ergebnis geblieben. Seit dem Golfkrieg 1991 und dem Bekanntwerden der Programme zur Entwicklung biologischer Kampfstoffe im Irak und der früheren Sowjetunion, besonders aber nach den Milzbrandfällen 2001 in den USA, ist die Bedrohung durch militärischen und zivil-kriminellen Einsatz von Biowaffen allgemein bewusst. Dazu haben auch Berichte von tatsächlichen oder geplanten Anschlägen durch fanatische Religionsführer, politisch motivierte Gruppen und Einzelpersonen (z. B. Rajneeshee-Kult, Aum Shinrikyo, Minnesota Patriots Council, Larry Wayne Harris) beigetragen. Es wird angenommen, dass in einer Reihe von Staaten derzeit aktiv an offensiven B-Waffenprogrammen gearbeitet wird.

Neben getrockneten Aufbereitungen eignen sich besonders Aerosole zur Verbreitung von Infektionserregern und Toxinen; sie sind unsichtbar, geruchs- und geschmacklos und ihre Herstellung ist im Vergleich zu konventionellen Waffen ungleich billiger. Die Herstellung der Erreger entspricht den Produktionsverfahren von Antibiotika und Impfstoffen. Ein besonderes Risiko geht von der Modifizierung existenter bzw. der Generierung neuer Mikrorganismen mit definierten pathogenen Eigenschaften aus. Es ist inzwischen möglich, Antibiotikaresistenz zu induzieren und antigene Bereiche, Stabilität und bestimmte pathogene Eigenschaften von Mikroorganismen gezielt zu modifizieren. So wurde in der früheren Sowjetunion z. B. versucht, die für das Botulismustoxin kodierende DNA-Sequenz in andere Bakterienspezies zu transfizieren und ein Toxin-produzierendes Hybrid zu entwickeln, das von Mensch zu Mensch übertragen werden kann.

Die Verbreitung großer erregerhaltiger Aerosolmengen kann von Fahr- und Flugzeugen aus erfolgen. Eine Verbreitung über Inhalationsaerosole ist dann am erfolgreichsten, wenn ihre Partikelgröße zwischen 1 und 5 µm liegt, da die Organismen so den unteren Respirationstrakt erreichen können. Kleinere Partikel werden ausgeatmet, größere gelangen nicht in tiefe Regionen der Lunge. Wegen des Verdünnungseffektes ist die Verbreitung von Infektionserregern in Wasser weniger effektiv. Dies trifft jedoch nicht zu, wenn Wasser nahe einer Entnahme- und Verbrauchsstelle kontaminiert wird. Andere Möglichkeiten bestehen in der Verbreitung von Erregern über Bomben oder Granaten, wobei eine definierte Partikelgröße oft nicht erreicht werden kann.

Biologische Waffen lassen sich nach bestimmten Eigenschaften unterscheiden. Zum einen gibt es Erreger bzw. Toxine, die einfach auszubringen sind, leicht von Mensch zu Mensch übertragen werden und zu Erkrankungen mit hoher Letalität führen (Bacillus anthracis, Francisella tularensis, Yersinia pestis, Variolavirus, Erreger viraler hämorrhagischer Fieber, Botulismustoxin). Erreger der zweiten Kategorie sind ebenfalls einfach zu verbreiten, führen aber zu Erkrankungen mit niedrigerer Letalität (Coxiella burnetii, Brucella spp., Burkholderia mallei, Alphaviren, Ricin-Toxin, Epsilon-Toxin von Clostridium perfringens, Staphylococcus Enterotoxin B). In der dritten Gruppe finden sich leicht zu kultivierende Erreger mit hoher Morbidität und Letalität (Nipahvirus, nicht über Insekten übertragene Bunyaviren, durch Zecken übertragene hämorrhagische Fieber- und Enzephalitisviren, das Gelbfiebervirus, multiresistente Tuberkulose).

Im Folgenden sollen beispielhaft die Erreger und assoziierten Erkrankungen der ersten genannten Kategorie dargestellt werden.

Milzbrand

Bacillus anthracis, der Erreger des Milzbrandes, war das erste Bakterium überhaupt, das als Krankheitserreger identifiziert wurde. Milzbrand ist primär eine Erkrankung vieler domestizierter und frei lebender Warmblüter (Schafe, Rinder, Pferde, Maultiere, Ziegen). 1877 gelang Robert Koch die Kultivierung des Organismus und der tierexperimentelle Beweis seiner Pathogenität sowie der Nachweis der Fähigkeit des Erregers, Endosporen zu bilden.

B. anthracis ist ein großes grampositives Stäbchen (1 - 1.5 µm m × 4 - 10 µm) aus der Familie der Bacillaceae mit zentral gelegenen Sporen, die sehr resistent sind und über Jahrzehnte in der Umwelt infektionstüchtig bleiben können. Die Sporen können durch Dampfsterilisation oder durch Verbrennen zerstört werden. Obwohl Milzbrandsporen weltweit in kontaminierten Bodenproben gefunden werden, gelingt eine Kultivierung meist nur aus Proben von Regionen, in denen die Krankheit endemisch ist. Selbst in endemischen Gebieten treten größere Krankheitsausbrüche nur selten auf.

Pathogenitätsfaktoren Die virulenten Stämme von B. anthracis besitzen eine antigenetisch einheitliche Kapsel, die aus einem Poly-D-Glutamat-Polypeptid besteht. Dieses Polypeptid ist nicht toxisch, sondern schützt das Bakterium gegen bakterizide Substanzen des Wirtsserums und behindert die Aktivität von Phagozyten, besonders von Makrophagen. Es existieren smooth (S)- und rough (R)-Varianten, die sich in ihren Kapseleigenschaften unterscheiden. R-Varianten sind relativ avirulent. Für die Produktion der Kapsel ist das Plasmid pX02 erforderlich, dessen Übertragung auf nicht-verkapselte B. anthracis zu dem verkapselten Phänotyp des Erregers führt. Die Kapsel spielt in der initialen Phase einer Infektion eine wichtige Rolle, in späteren Stadien ist das Anthrax-Toxin von größerer Bedeutung. Das Toxin führt zu Sauerstoffdepletion, erhöhter vaskulärer Permeabilität, Schock und Atem- und Herzstillstand. Der Tod tritt oft plötzlich dann ein, wenn in späteren Phasen der Infektion die Konzentration des Toxins massiv erhöht ist. Für die Produktion des Toxins ist pX01, ein weiteres Plasmid, verantwortlich. Das Toxin besteht aus drei thermolabilen Komponenten. Faktor I, der ¿edema factor¿ (EF), ist eine Adenylatzyklase und führt zur Ödembildung. Faktor II ist das ¿protective antigen¿ (PA). Es bindet an humane Zellen und vermittelt die Endozytose der Toxinkomponenten EF und LF. PA induziert in experimentellen Tierinfektionen protektive Antikörper. Der Rezeptor für das PA wurde inzwischen identifiziert (Anthrax-Toxin Rezeptor); es handelt sich um ein Typ I-Membranprotein mit einer extrazellulären Von-Willebrand-Faktor-A-Domäne, die PA direkt bindet. Faktor III, der ¿lethal factor¿ (LF), ist eine Zn++- abhängige Protease, die zu erhöhter Produktion von Zytokinen in Makrophagen und Lymphozyten führt und nach der PA-vermittelten Aufnahme in Zellen zelluläre Signalsysteme unterbricht. Der genaue Mechanismus der Zytotoxizität ist noch nicht endgültig geklärt. Während die drei Faktoren, abgesehen von ihrer Antigenität, isoliert keine wesentlichen biologischen Aktivitäten in Tieren induzieren, sind es Kombinationen der Faktoren, die pathogenetisch wirksam sind. PA und LF wirken kombiniert letal, die Kombination aus EF und PA verursacht Ödeme und PA/LF/EF bedingt Ödeme und Nekrosen. Experimentelle Befunde zeigen, dass das Toxin die A-B-enzymatische Struktur bakterieller Exotoxine hat, wobei PA dem B-Fragment und EF oder LF jeweils dem aktiven A-Fragment entsprechen. EF/PA erhöht zyklisches AMP in empfänglichen Zellen; dies führt zu Permeabilitätsänderungen und Ödembildung. In Neutrophilen und Makrophagen kommt es zu einer Depletion von ATP und so zu einer Hemmung der Phagozytose. EF/LF scheint zu einer erhöhten Suszeptibilität durch Unterdrückung der Neutrophilenaktivität zu führen. Somit beruht die Virulenz von B. anthracis im wesentlichen auf der aus Poly-D-Glutamat zusammengesetzten Kapsel sowie den EF- und LF-Komponenten des Exotoxins. Die Expression dieser Virulenzfaktoren ist von einer erhöhten C02-Konzentration abhängig. Gelangen die Organismen und ihre Toxine in die Zirkulation, kommt es zur systemischen Pathologie. Verbreitung Menschliche Erkrankungsfälle kommen weltweit vor (weltweit ca. 2000 Fälle/Jahr), bevorzugt jedoch in subtropischen/tropischen Regionen mit Viehzucht und bei fehlenden veterinärmedizinischen Public Health-Programmen. Gehäuft werden natürliche humane Erkrankungen in Mittel- und Südamerika, der Karibik, Afrika, China, Afghanistan, Philippinen, Ost- und Südeuropa, Türkei und der ehemaligen UdSSR beobachtet. In industrialisierten Ländern ist Milzbrand selten. Nachdem von 1970 bis 1979 in Deutschland noch 29 humane Milzbrandinfektionen gemeldet wurden, wird die Erkrankung hier seitdem kaum noch gefunden. Über tierische Infektionen in den USA wurde vor allem aus Texas, Louisiana, Mississippi, Oklahoma, South Dakota, Nebraska, Arkansas und Kalifornien berichtet. Über die Verbreitung der Sporen in der Umwelt ist wenig bekannt, von einer weiten Verbreitung in Regionen, wo tierische Erkrankungen auftreten, ist jedoch auszugehen. Zu einem großen Ausbruch von Lungenmilzbrand kam es 1979 bei einem Unfall in einer Anlage für B-Waffen-Forschung in Swerdlowsk, Russland. Von 79 erkrankten Personen verstarben 68 an den Folgen der Infektion. Übertragung Der Erreger kann über unterschiedliche Transmissionswege zu humanen Infektionen führen. Der häufigste Infektionsweg (> 95 %) beruht auf dem Eindringen von B. anthracis-Sporen in Hautläsionen nach Kontakt mit infizierten Tieren oder kontaminierten Tiermaterialien. Für eine erfolgreiche aerogene Transmission über kontaminierte Staubpartikel muss die Konzentration der Sporen in den Atemwegen 8.000 bis 50.000 Erreger betragen. Die orale Aufnahme der Erreger über unzureichend gegartes Fleisch kann zu gastrointestinalem Milzbrand führen. Eine besondere berufliche Exposition besteht für Hirten, Schafscherer, Tierärzte und Beschäftigte in der Woll-, Fell- und Lederindustrie. Selten kommt es zu aerogenen Infektionen beim Schlachten. Übertragungen von Mensch zu Mensch kommen nicht vor. Klinik Die Inkubationszeit beträgt einige Stunden bis zu 7 Tage; meist kommt es nach 2 Tagen zu den ersten Symptomen. Es lassen sich, abhängig vom Transmissionsweg, lokale und generalisierte Manifestationsformen unterscheiden. Hautmilzbrand ist die häufigste Form natürlich erworbener Infektionen. Eintrittsorte des Erregers liegen meist am Kopf, Hals und im Bereich der oberen Extremitäten. In der Regel kommt es nach 12 - 36 Stunden zur Entwicklung einer Papel, anschließend zu einer nicht schmerzhaften Pustel und der Ausbildung einer Ulzeration mit einer zentralen nekrotischen schwarzen Läsion, die mit Schorf bedeckt ist. Regionale Lymphknoten können beteiligt sein. Hautmilzbrand kann Ursache einer Disseminierung sein. Die Letalität eines unbehandelten Hautmilzbrandes beträgt ca. 20 %; unter antibiotischer Therapie sind Todesfälle selten. Die Symptome des Lungenmilzbrandes ähneln zu Beginn einem schweren grippalen Infekt mit respiratorischen Symptomen. Nach wenigen Tagen kommt es progredient zu hohem Fieber, Hämorrhagien, Zyanose, konfluierenden Lungeninfiltraten, Pleuraergüssen, Atemnot, lokaler hämorrhagischer Lymphadenitis mit ausgeprägter Mediastinalverbreiterung und Schock. In den meisten Fällen endet Lungenmilzbrand nach 2 - 4 Tagen tödlich. Die Erregerdisseminierung führt zu schwersten Allgemeinsymptomen, Herzbeteiligung (Rhythmusstörungen), dolenter Lymphangitis und Lymphadenitis sowie evtl. zu einer fulminanten Sepsis. Darmmilzbrand ist seltener und tritt eher als Gruppenerkrankung auf. Nach oraler Aufnahme der Erreger kommt es nach Invasion in Mukosaläsionen und Befall regionaler Lymphknoten zu abdominellen Beschwerden, Fieber, Diarrhöen, Erbrechen, Peritonitis und Schock. Die Prognose dieser Erkrankungsform ist, auch unter spezifischer Therapie, ungünstig. In Autopsien findet sich die Milz schwarz verfärbt. Menigeale Manifestationen als Folge anderer Primärherde sind Raritäten; sie verlaufen meist rasch letal. Immunität Bei Tieren gibt es genetisch bedingte Unterschiede der Empfänglichkeit für die Infektion mit B. antracis. Dies kann sich zum einen in einer Resistenz gegenüber der Erkrankung, zum anderen in Resistenz gegenüber dem Toxin äußern. Tiere, die eine Infektion überlebt haben, sind in aller Regel gegenüber Zweitinfektionen immun. Die Immunität scheint auf Antikörpern gegen das Toxin und das Kapsel-Polypeptid zu beruhen, wobei die relativen Anteile der Protektion variabel zu sein scheinen. Auch bei Menschen sind Zweiterkrankungen unwahrscheinlich. Diagnostik Der Direktnachweis der Erreger (Risikogruppe 3) erfolgt in Abstrichen aus Primärlasionen, Sputum, Stuhl und Blut. Die Kultivierung in selektiven und nicht-selektiven Medien unter aeroben und anaeroben Bedingungen (Dauer ca. 12 - 24 Stunden) und die biochemische Charakterisierung wird in Speziallabors durchgeführt. Eine serologische Diagnostik ist unter den Routinemaßnahmen nicht etabliert und wäre bei den raschen Verläufen auch nicht zur Akutdiagnostik geeignet. Molekulargenetische (PCR)-Verfahren erlauben eine rasche und sensitive Diagnostik. Das Verfahren ist nur in wenigen Institutionen, z. B. im Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, etabliert. Die genetische Charakterisierung von als Biowaffe verwendeten Anthraxisolaten und ihr Vergleich mit den mehr als 1200 bekannten Anthraxstämmen, die in amerikanischen B-Waffenlabors vorhanden sind, erlaubt theoretisch eine detaillierte Typisierung und eine Herkunftsbestimmung. Therapie Die antibiotische Therapie erfolgt bei allen Formen der Infektion mit Penicillin G (anfänglich 2 Millionen Einheiten 4 × täglich i. m., Fortsetzung mit oraler Penicillingabe für insgesamt 7 Tage; eine sehr viel längere Therapie kann erforderlich sein); alternativ, und inzwischen weitgehend bevorzugt, kann Ciprofloxacin gegeben werden. Erythromycin, Tetracycline und Chloramphenicol in üblichen Dosierungen sind ebenfalls gut wirksam. Dennoch ist die Letalität bei generalisiertem Milzbrand sehr hoch. Chirurgische Interventionen und Biopsien von Läsionen sind wegen der Gefahr einer iatrogenen Disseminierung kontraindiziert. Peritonitiden stellen eine Ausnahme dar. Therapeutische Versuche mit Anti-Anthrax-Serum bzw. humanem Gammaglobulin geimpfter Personen, das Antitoxin-Antikörper enthält, sind nicht endgültig evaluiert. Eine vermutete oder gesicherte Inhalation der Erreger stellt die Indikation zur sofortigen prophylaktischen Gabe von Antibiotika dar. Die Behandlung soll über 60 Tage durchgeführt werden, da sich inhalierte Sporen oft mit großer Verzögerung in die vegetativen Formen umwandeln. Prävention Auf Milzbrand verdächtige Tiere müssen getötet und entsorgt werden (vergraben, mit Löschkalk abdecken; evtl. Formaldehydbehandlung). Hygienische Schutzmaßnahmen für exponierte Berufsgruppen sind erforderlich; Sekrete und andere Materialien von Erkrankten sind als infektiös anzusehen und zu entsorgen (insbesondere durch Dampfsterilisation). Die empfohlene Vermeidung des Kontaktes mit infizierten Tieren und kontaminierten Materialien in Regionen mit niedriger Immunisierungsrate der Tiere wird für endemische Regionen gefordert, ist aber meist nicht praktikabel. Wichtig ist der Hinweis auf die Notwendigkeit ausreichenden Garens von Fleischgerichten. Dies gilt ebenfalls präventiv für eine Reihe weiterer über Nahrungsmittel übertragener Erkrankungen. Für Tiere steht eine Vakzine zur Verfügung, die in industrialisierten Ländern weite Anwendung findet. Diese Impfsubstanzen sind für Menschen ungeeignet. In Russland wird ein attenuierter humaner Lebendimpfstoff produziert. Der Anthrax-Impfstoff, der seit 1970 in den USA verfügbar ist und mit dem besonders Militärpersonal routinemäßig geimpft wird, wurde häufig modifiziert und beruht inzwischen auf einer Präparation des ¿protective antigen¿, das aus zellfreiem Kulturfiltrat eines avirulenten B. anthracis-Stammes gewonnen wird. Adjuvans ist Aluminium-Hydroxyd. Das Impfschema erfordert 3 Impfungen im Abstand von jeweils zwei Wochen sowie drei weitere Immunisierungen in den Monaten 6, 12 und 18; die erste Impfung sollte vier Wochen vor einer vermuteten Exposition erfolgen. Jährliche Boosterungen sind erforderlich. Impfungen sollten nur in der Altersgruppe zwischen 18 und 65 Jahren durchgeführt werden; für andere Altersgruppen liegen bisher keine Erfahrungen vor. Nicht geimpft werden sollen Schwangere, Personen mit Immunsuppression (einschließlich Steroidtherapie) und solche mit einer nachgewiesenen Allergie gegen Bestandteile der Substanz. Die Effektivität in der Vermeidung des Hautmilzbrandes wird mit 93 % angegeben; eine vergleichbar hohe Wirksamkeit wird für die inhalative und gastrointestinale Form der Infektion vermutet. Bisher wurde der Impfstoff nahezu ausschließlich für Angehörige des US-Militärs verwendet. Lediglich kleinere Mengen standen für Angehörige solcher Berufsgruppen zur Verfügung, die Kontakt mit möglicherweise infizierten Tieren oder kontaminierten importierten Tiermaterialien haben und für Menschen, die in Labors mit dem Erreger arbeiten. Geringe kurzdauernde Lokalreaktionen finden sich bei ca. 30 % der männlichen und 60 % der weiblichen Geimpften; schwerere Lokalreaktionen (Schwellungen im Bereich der Injektionsstelle) sind selten. Bei bis zu 30 % können leichte systemische Beschwerden (Kopfschmerzen, Übelkeit, Exanthem, Fieber, Muskel-/Gelenkschmerzen) auftreten. Systemische Nebenwirkungen können wie bei allen Impfungen auftreten, sind jedoch sehr selten. Bei Personen mit Autoimmunerkrankungen, anamnestischer Poliomyelitis und neurologischen Erkrankungen kommt es eher zu Nebenwirkungen der Impfung. Es wird diskutiert, ob das sogenannte Golfkriegssyndrom von gegen Botulismustoxin und Anthrax geimpften amerikanischen Veteranen Folge dieser Impfungen sein kann. In kürzlich publizierten Studien gelang es, den ¿lethal factor¿ und den Rezeptor für das ¿protective antigen¿ auf humanen Zellen zu charakterisieren; diese Erfolge stellen neue Ansätze für die Entwicklung von Impfstoffen dar. Bei Tieren ist es gelungen, mit einem applizierten löslichen Rezeptormolekül die Bindung des Toxins an Zellen zu verhindern. Neuere Forschungsstrategien verfolgen auch das Konzept sogenannter intrazellulärer Impfstoffe. Dabei werden Erregerantigene mit T-Zellen in Kontakt gebracht, um eine direkte Stimulation der Zell-vermittelten Immunität zu erreichen. Das PA scheint sich besonders gut als Träger- und Transportmolekül (¿model pathogen molecule¿) für virale und bakterielle Antigene zu eignen. B. anthracis als biologische Waffe Grundsätzlich ist die Anzüchtung von pathogenen B.-anthracis-Erregern möglich. Die Herstellung größerer Mengen trockener Erreger setzt mikrobiologische Kenntnisse voraus. Zu ihrer großflächigen Verbreitung, z. B. mit Sprühflugzeugen, müssen die Sporen in einem Aerosol mit einer definierten Partikelgröße (1 - 5 µm) und einer ausreichenden Konzentration bei entsprechend günstigen Bedingungen (Temperatur, Windrichtung etc.) ausgebracht werden. Kleinere Partikel werden wieder ausgeatmet und größere Partikel können die Lunge nicht erreichen. Stimmen alle Bedingungen, können mit einigen Kilogramm der Erreger eine sehr große Anzahl von Menschen infiziert werden.

Botulismus

1820 wurde Botulismus erstmals als Krankheitsentität nach einem durch kontaminierte Wurst ausgelösten Ausbruch beschreiben; 1897 wurde das Botulismustoxin isoliert. Clostridium botulinum ist ein sporenbildender, grampositiver obligater Anaerobier der Familie Clostridiaceae. Die Erkrankung wird durch Neurotoxine hervorgerufen, die die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln hemmen und zu Lähmungen führen. Botulismustoxin ist in großen Mengen vergleichsweise einfach herzustellen und nach inhalativer Aufnahme geringster Mengen tödlich. Eine Differenzierung der Toxine A, B, C1, C2, D, E, F, G ist möglich. Zur Toxinbildung müssen anaerobe Verhältnisse in einem proteinreichen Medium, Temperaturen von ca. 3 - 50° C und ein pH-Wert > 4,5 vorliegen. Menschliche Erkrankungen werden in der Regel durch die Toxintypen A, B, E und F hervorgerufen. Botulismustoxin wird therapeutisch bei einigen neurologischen Erkrankungen, insbesondere bei Dystonien, angewendet.

Verbreitung Die Organismen kommen ubiqitär im Erdboden vor und besiedeln den Verdauungstrakt von Fischen und vielen Säugern. Sporadisch tritt Lebensmittel-assoziierter Botulismus weltweit, häufiger jedoch in gemäßigten Regionen auf. In Deutschland werden jährlich etwa 30 Erkrankungsfälle bekannt. Das Toxin ist ein einfach strukturiertes Molekül mit einem zentralen Zinkanteil. Die Erhitzung auf 80° C für 10 Minuten inaktiviert das Toxin. Die hitzestabilen Sporen können nur durch Autoklavieren unter Dampfdruck zerstört werden. Unterschiedliche Arten von Botulismus kommen natürlicherweise vor. Nach dem Eindringen von C. botulinum-Sporen in Hautläsionen gelangt Toxin hämatogen in Nervenzellen und führt nach 4 - 14 Tagen zu Symptomen. Intestinaler Botulismus tritt nach oraler Sporenaufnahme mit Erde oder verwesenden Materialien bei Kleinkindern auf. Nicht einwandfrei hergestellte und luftdicht aufbewahrte Lebensmittel sind jedoch häufigste Ursache von Vergiftungen. Aus Sporen können sich vegetative Bakterien entwickeln und Toxine produzieren. Klinik Je früher Symptome einsetzen, desto höher ist die Letalität. Wegen unterschiedlicher lokaler Konzentrationen erkranken nicht alle Menschen nach dem Verzehr toxinhaltiger Lebensmittel. Abhängig von dem Übertragungsweg finden sich bei natürlichen Infektionen unterschiedliche Krankheitserscheinungen. Nahrungsmittel-assoziierter Botulismus: 12 - 36 Stunden, evtl. erst 2 Wochen nach Aufnahme von Sporen oder des Toxins kommt es zu Schwäche, schwerem Krankheitsgefahr, Übelkeit, abdominellen Krämpfen, Obstipation und Erbrechen, gefolgt von bulbärer Dysfunktion durch die anticholinerge Wirkung des Toxins mit Sehstörungen (Doppelbilder) und weiteren variablen Augensymptomen, trockenem Mund und Schluck- und Sprachstörungen. Weitere neurologische Erscheinungen sind Paralysen und allgemeine Schwäche. Die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskulatur ist gestört; dabei sind die Atemmuskulatur, Hirnnerven und das Reflexverhalten beteiligt. Die Atemschwäche kann eine maschinelle Beatmung erforderlich machen. Das Bewusstsein ist nicht beeinträchtigt. Die Rekonvaleszenz verläuft sehr protrahiert. Der Wundbotulismus ist selten, wahrscheinlich auch wegen inkorrekter Diagnosestellung. Nach Inokulation von C.-botulinum-Sporen in Hautläsionen kommt es zur Toxinbildung. Die Erkrankung wird auch bei i.-v.-Drogenabhängigen beobachtet; Symptome beginnen nach etwa 10 Tagen. Der Säuglingsbotulismus ist die häufigste Form des Botulismus. Nach oraler Aufnahme von Sporen (auch über Honig; ungefährlich für Erwachsene) beginnt die Toxinbildung im Gastrointestinaltrakt und es kommt zu Trinkstörungen, Ptosis, Obstipation, Lethargie und Retention oraler Sekretionen. In der Folge sind Hirnnervenausfälle, Paralysen und Apnoe häufig. 3 - 12 % der Fälle von Botulismus verlaufen tödlich. Die Prognose ist vom Zeitpunkt der Diagnose und dem Einsetzen der Therapie abhängig. Nach Überleben der ersten 10 Tage verbessert sich die Prognose deutlich; nicht frühzeitig diagnostizierte und unbehandelte Fälle verlaufen häufig letal. Bei absteigenden paralytischen Erkrankungen ist Botulismus zunächst eine klinische Verdachtsdiagnose. Ein Toxinnachweis aus Serum, Mageninhalt und in Lebensmitteln durch intraperitoneale Inokulation der Materialien in Mäuse oder Meerschweinchen (führt zur ¿Wespentaille¿ der Tiere) ist anzustreben. Die anaerobe Anzüchtung von C. botulinum aus unterschiedlichen Materialien ist schwierig und erlaubt keine Aussage über das Vorhandensein von Toxinen. Zur Therapie erfolgt nach Hypersensitivitätstestung die sofortige und evtl. wiederholte i.m.- und i.v.-Gabe von polyvalentem Antitoxin (aus Pferdeserum gewonnen; Flasche mit 250 ml; 1 ml enthält ca. 170 mg Protein mit Antitoxin gegen C. botulinum Typ A 750 I.E., Typ B 500 I.E., Typ E 50 I.E.; cave Anaphylaxie), forciertes Erbrechen bzw. Magenspülung und Abführmaßnahmen. Bei Wundbotulismus ist die Eröffnung und Reinigung der Wunde und die Gabe von Penicillin G für 1 Woche erforderlich. Botulismus-Toxin als biologische Waffe Bei terroristischen Anschlägen käme es vermutlich zur Toxinverbreitung über Aerosole. Sporen können wegen der anaeroben Erfordernisse zur Toxinbildung nicht verbreitet werden. Anschläge und Massenintoxikationen würden Behörden und Versorgungssystemen erhebliche Probleme bereiten. Intensivmedizinische Betreuung, z. B. mit maschineller Beatmung vieler Betroffener, wäre in großem Umfang nicht zu bewältigen. Weitere Probleme ergeben sich bezgl. der Verfügbarkeit und Effizienz des Antidots, das nur gegen einige der bekannten Toxinkomponenten wirksam ist. Die Antitoxinbehandlung muss so schnell wie möglich begonnen werden, da sich sonst die Prognose dramatisch verschlechtert. Eine Impfung ist nicht verfügbar. Zwar wurde vor mehr als 30 Jahren in den USA eine Vakzine entwickelt, die offenbar gegen einige der Toxinkomponenten wirksam ist. Diese Impfung wurde bisher jedoch nicht ausreichend klinisch getestet.

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Korrespondenzadresse

Priv. Doz. Dr. Christian G. Meyer

Bernhard-Nocht- Institut für Tropenmedizin

Bernhard-Nocht-Straße 74

20359 Hamburg

Email: c.g.meyer@bni.uni-hamburg.de

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