Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(1): 2-3
DOI: 10.1055/s-2003-36561
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Von der Notkompetenz zur Regelkompetenz?

Area of Competence of Rescue Services PersonalP.  Sefrin1
  • 1Klinik für Anaesthesiologie der Universität Würzburg
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Publication Date:
10 January 2003 (online)

Die Notfallmedizin ist längst aus dem Bereich der akuten Ersten Hilfe in die einer spezifischen, präklinischen Intensivtherapie gewechselt, in der auf die Mitwirkung von (Not-)Ärzten nicht verzichtet werden kann. Wie in jedem Bereich der Medizin, insbesondere aber bei spezialisierten Tätigkeiten, ist der Arzt auf eine fachlich qualitativ kompetente Assistenz angewiesen. Aus diesem Grunde gibt es im Rettungsdienst den durch das Rettungsassistentengesetz (RettAssG) geschützten Beruf des Rettungsassistenten.

Die Tätigkeit als Rettungsassistent ging aus der Mitwirkung freiwilliger Helfer der Hilfsorganisationen, die als Krankenwagenfahrer und Sanitäter früherer Zeiten im Rettungsdienst tätig waren und mit dieser Qualifikation nicht mehr den Anforderungen der modernen Notfallmedizin entsprachen, hervor. Das Besondere an diesem Beruf, der in die Reihe der medizinischen Assistenzberufe (Heil-, Hilfsberufe) eingeordnet werden muss, ist die Tatsache, dass der Rettungsassistent vorhersehbar in einem System der allgemeinen Gefahrenabwehr und der medizinischen Daseinsvorsorge auch ohne Arzt tätig werden muss. Im Unfallverhütungsbericht der Bundesregierung wird konstatiert, dass das erste Rettungsmittel mit dem Rettungsdienstpersonal bei Verkehrsunfällen nach durchschnittlich 8,1 Minuten beim Patienten eintrifft, der Notarzt aber erst nach 9,8 Minuten. Diese zeitliche Verschiebung gilt in gleicher Weise auch für andere medizinische Notfälle. Damit wird deutlich, dass das Rettungsdienstpersonal nicht ausnahmsweise, sondern regelmäßig zunächst eine eigenständige medizinische Versorgung durchzuführen hat. Dem trägt der Gesetzgeber Rechnung, nachdem er in § 3 (RettAssG) Rettungsassistenten die Aufgabe zuweist „¿ . . . am Notfallort bis zur Übernahme der Behandlung durch den Arzt, lebensrettende Maßnahmen am Patienten durchzuführen, die Transportfähigkeit herzustellen . . .¿”. Mit dieser Aufgabenzuweisung kann bei der Übernahme der Versorgung dies mit Maßnahmen verbunden sein, die ansonsten in den ärztlichen Zuständigkeitsbereich fallen. Die Rechtfertigung für dieses Handeln findet sich in der Notkompetenz. Unabhängig davon, wird auch zukünftig die adäquate Versorgung von Notfallpatienten eine gemeinsame Aufgabe von Notärzten und Rettungsdienstpersonal sein, ohne dass garantiert werden kann, dass immer jeder Notfallpatient zeitlich adäquat, direkt von einem Notarzt versorgt werden kann. Die Notkompetenz ist damit ein Ausweg, wenn dies nicht garantiert werden kann.

Die Notkompetenz resultiert aus dem im RettAssG festgeschriebenen eigenen Kompetenzbereich und ist aus der Regelung des rechtfertigenden Notstandes in § 34 des Strafgesetzbuches entwickelt. Diese Vorschrift regelt, dass eine Handlung, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt dann nicht rechtswidrig ist, wenn sie unter Abwägung der betroffenen Rechtsgüter notwendig ist, um Schlimmeres zu verhüten. Der zu diskutierende Tatbestand ist die Durchführung von (invasiven) Maßnahmen, die in die körperliche Integrität des Patienten eingreifen und einem approbierten Arzt vorbehalten sind. Die Notkompetenz ist somit ein juristischer Kunstgriff, um dem agierenden Rettungsassistenten aus dem Bereich der Strafbarkeit zu befreien. Es bleibt aber festzuhalten, dass die Notkompetenz für die ausschließliche Situation der akuten Lebensgefahr beim Notfallpatienten gedacht war. Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Notkompetenz sind einmal die Unaufschiebbarkeit der Maßnahmen und zum anderen das aus der persönlichen Qualifikation resultierende Können. Dass Rettungsassistenten in der Lage sind, bestimmte ärztliche Maßnahmen nach Schulung qualitativ zutreffend durchzuführen, zeigt die Arbeit von Wahlen und Mitarbeitern. Dies würde die Intention stützen, spezielle Maßnahmen bei einer qualitativ hochwertigen Schulung, die vor allem eine Ausweitung der Ausbildung von 2 auf 3 Jahre umfassen müsste, aus dem Bereich der Not- in die Regelkompetenz überzuführen.

Festgestellt wird von den meisten Beteiligten, dass die derzeitige Ausbildung der Rettungsassistenten nicht den rettungsdienstlichen Erfordernissen entspricht, sowohl was die Dauer, wie auch die Struktur der Ausbildung betrifft. Nur durch eine Verlängerung und Intensivierung der Ausbildung kann eine Erweiterung der Handlungskompetenz in der Ausübung des Berufes gewährleistet werden. Eine Änderung des gesetzlich vorgeschriebenen Ausbildungsganges vorausgesetzt, wäre denkbar, eine „erweiterte Kompetenz” als neuen Teil der Regelkompetenz zu schaffen.

Grundsätzlich soll auch zukünftig der Rettungsassistent- analog zu den Regelungen der anderen Assistenzberufe - Helfer des Arztes sein. Allerdings könnte er unter den besonderen Bedingungen des Rettungsdienstes zur Überbrückung des Zeitraumes bis zur Behandlungsübernahme des Notarztes eine erweiterte Kompetenz erhalten, wovon allerdings der Anspruch des Notfallpatienten auf eine ärztliche Behandlung unberührt bleibt. Die erweiterte Kompetenz grenzt sich von einer Grund-(Regel-)Kompetenz ab und erfordert als Voraussetzung eindeutige rechtliche Rahmenbedingungen und die Sicherung der Qualifikation durch ein umfassendes, ärztliches Qualitätsmanagement.

Schon jetzt gibt es Rettungsdienstbereiche, die den Rettungsassistenten weitgehende Freiheiten bei der Anwendung der derzeit unter die Notkompetenz fallenden Maßnahmen zugestehen. Auch in Zukunft wird die Qualität und die Berechtigung zur Durchführung sich daran messen lassen müssen, ob keine andere, weniger invasive Maßnahme mit dem gleichen Erfolg eingesetzt werden könnte (z. B. Maskenbeatmung vor Intubation). Wenn im Rahmen der erweiterten Kompetenz ärztliche Maßnahmen durchgeführt werden, muss sich der Anwender darüber im Klaren sein, dass die Bewertung der Maßnahmen dann auch nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen wird. Dies setzt beim Anwender eine persönliche Qualifikation, d. h. ein Beherrschen und Können, voraus. Das Können fordert einmal, dass die Maßnahme gelernt wurde und zum anderen, dass für die Anwendung die nötige Routine (Übung) besteht. Gerade hier ergeben sich Probleme bei der Häufigkeit der Anwendung, da zur Umsetzung der Maßnahme eine kontinuierliche Praxis benötigt wird [3].

Nicht alle Maßnahmen, die heute unter die Notkompetenz fallen, z. B. Venenpunktion und Infusion, sind echt lebensrettende Maßnahmen und würden sich eignen, ebenso wie die Applikation ausgewählter Medikamente, in die erweiterte Kompetenz übertragen zu werden. Voraussetzung muss aber eine verbindlich geregelte Regelkompetenz sein, die bezüglich des einheitlichen Ausbildungsumfangs und der Ausbildungsinhalte, sowie eines definierten Ausbildungserfolges festgelegt wird. Mit der Erweiterung des Ausbildungsumfanges auf einen Zeitraum von 3 Jahren, könnte durch eine Novellierung des RettAssG, neben einer höheren Grund-Regel-Kompetenz, auch eine erweiterte Kompetenz resultieren. Diese Erweiterung stellt allerdings keinen Einstieg in ein notarztfreies Rettungssystem dar. Bei Inanspruchnahme der erweiterten (Not-)Kompetenz ist in der Regel ein Notarzt hinzuzuziehen.

Voraussetzung für die Anwendung der erweiterten Kompetenz ist eine vollständige Dokumentation. Nach der Rechtssprechung ist die Durchführung dieser Maßnahmen der Beginn einer fachlich-medizinischen Behandlung, für die der Anwender auch die volle zivilrechtliche Verantwortung trägt. Die Dokumentation muss umfassend sein und alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen und Feststellungen enthalten.

Es ist unbedingt erforderlich, die Qualifikation im Rahmen der Ausbildung zu verbessern und die Ausbildungszeit auszudehnen. Unter diesen Voraussetzungen wird auch eine Ausdehnung der Handlungskompetenz des Rettungsassistenten nicht nur gerechtfertigt, sondern erforderlich sein. Dass dies unter ärztlicher Aufsicht möglich ist, konnte in der Analyse des Mainzer Rettungsdienstes unter Beweis gestellt werden. Deutlich wird aber auch, dass nur eine fundierte Qualifikation die notwendigen Voraussetzungen schafft, wobei die Übernahme der Aufgabe am Patienten nicht von Emotionen und Konkurrenzen zum Notarzt geprägt sein darf. Wenn in der Mainzer Analyse zwar das Anlegen einer Infusion in 95 % der Fälle, aber die Applikation von Sauerstoff- trotz bestehender Indikation - nur in 77 % erfolgte, werden Diskrepanzen deutlich. Auch die Tatsache, dass die Beatmung nur bei 87% der indizierten Notfallsituationen korrekt durchgeführt wurde, lässt Notwendigkeiten erkennen. Wenn nach 3 Minuten in 93 % der Fälle eine Infusion angelegt war und nur in 57 % Sauerstoff appliziert wurde, macht diese Handlungsweise Defizite bei dem Setzen von Prioritäten deutlich. In der Vergangenheit wurde bereits eine unkritische Ausdehnung der Kompetenz angeprangert. Sei es, dass Maßnahmen ergriffen wurden, die entweder aufgrund des Zustandes des Patienten nicht, bzw. noch nicht indiziert waren, sei es, dass sie wegen der unzureichenden Ausbildung zu zusätzlichen Gefahren für den Patienten führten [4].

Die erweiterte Kompetenz erstreckt sich nicht nur auf das Handeln, sondern umfasst auch die Indikationsstellung und die Abwägung der Prioritäten bei mehreren erforderlichen Maßnahmen. Um die angestrebte Qualität durch die Ausdehnung der Handlungskompetenz zu erreichen, ist ein umfassendes Qualitätsmanagement erforderlich. Um diese Ziel zu erreichen, sind neben der Politik (hinsichtlich der Änderung der gesetzlichen Vorgaben), insbesondere die Ärzteschaft gefordert, sich in dieses Qualitätsmanagement kompetent und engagiert einzubringen.

Literatur

  • 1 Bericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen - Unfallverhütungsbericht - Straßenverkehr 1998/99,. Drucksache 14/3863 vom 03.07.00
  • 2 Positionspapier zur zukünftigen Regelkompetenz des Rettungsassistenten der BAND.  Notarzt. 2002;  18 175-177
  • 3 Sefrin P. Das Personal im Rettungsdienst und die Notkompetenz.  Notfallmed. 1990;  16 52-60
  • 4 Wischhöfer E, Ging E, Pillen A. Der Übersamariter.  Notarzt. 1989;  5 71-76

Prof. Dr. med. P. Sefrin

Klinik für Anaesthesiologie der Universität Würzburg, Sektion für Präklinische
Notfallmedizin

Josef-Schneider-Str. 2

97080 Würzburg

Email: PSefrin@anaesthesie.uni-wuerzburg.de

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