Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(1): 43-47
DOI: 10.1055/s-2003-36564
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

BSE, Prionen, vCJK und (nicht nur)
homologe Transfusion

BSE, Prions, vCJD and (Not Only) Homologous TransfusionM.  Köhler1
  • 1Abteilung Transfusionsmedizin, Universitätsklinik Göttingen
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Publication Date:
10 January 2003 (online)

Einleitung

Im Frühjahr 1985 wurden in Großbritannien Verhaltensstörungen und Ataxien bei einer Reihe von Milchkühen beobachtet. Pathologisch fanden sich spongiforme Läsionen, Gliose und Neuronenverlust, ähnlich wie bei Scrapie, einer Erkrankung von Schafen. Im Laufe der Jahre erkrankten bislang mehr als 180.000 Rinder an der „Bovinen Spongiformen Encephalopathie”, BSE. Auch in weiteren Ländern wurde BSE beobachtet; in Irland, Portugal, Schweiz und, seit dem Jahr 2000 auch in Deutschland. Wie weit sich diese Epidemie noch ausbreiten wird, ist gegenwärtig unklar; kürzlich wurden auch erkrankte Tiere in Japan, Österreich und Finnland diagnostiziert.

Am 16. Oktober 2001 stellte das Bundesgesundheitsministerium den Bericht der Arbeitsgruppe „Gesamtstrategie Blutversorgung angesichts vCJK” des Arbeitskreis Blut vor [1]. In diesem Bericht wurde dargelegt, dass unter „worst case”- Szenarien in den nächsten 40 Jahren im Vereinigten Königreich bis zu 6.000 Fällen varianter Creutzfeldt- Jacobscher Krankheit (vCJK) erwartet werden, und in Deutschland und Frankreich mit je 300 bis 600 an vCJK Erkrankten, als Folge der Übertragung von BSE von Tier zu Mensch durch die Nahrungskette („Primärinfektionen”) zu rechnen sei. Die Wahrscheinlichkeit von „Sekundärinfektionen”, d. h. von Übertragungen von Mensch zu Mensch, z. B. durch Transfusion und Transplantation oder Operation, wurde als gering, doch nicht als ausgeschlossen angesehen. Neben den verschiedenen Möglichkeiten der Verbesserung der Sicherheit von Blutkomponenten wurde daher besonders auf die Ausnutzung von Einsparpotential im Sinne des optimalen (d. h. sparsamen) Einsatz von Blut und Blutprodukten hingewiesen.

Die folgende Übersicht soll einen Überblick über den Kenntnisstand zur CJK im Januar 2002 aus der Sicht der Transfusionsmedizin geben.

Pathophysiologie der Prion-Erkrankungen

Prion-Erkrankungen sind im Mensch- und Tierreich ubiquitär vorkommende Erkrankungen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass die Infektiosität nicht durch Nukleinsäuren (DNS oder RNS), sondern durch Proteine (Prionen, proteinaceous infectious particles) vermittelt wird. Prion-Proteine (PrP) sind körpereigene Strukturproteine; krankhafte (PrP-Scrapie, PrPSc) weisen die gleiche Aminosäurensequenz, d. h. Primärstruktur, wie gesundes PrP (PrP cell, PrPc) auf. Sie unterscheiden sich durch die Konformation und auch die Glykosilierung. Daraus resultiert eine unterschiedliche Sensitivität gegenüber Proteinasen, die PrPc auftrennen, daher auch PrP sensitive (PrP sen) für das gesunde, PrP resistant (PrP res) für das krankhafte Protein. PrPc und PrPsc stellen damit unterschiedliche, stabile Konformationen des gleichen Proteins dar. PrPsc kann spontan, als seltenes, stochastisches Ereignis aus PrPc entstehen (Ursache der sporadischen Formen der Prionerkrankungen), oder exogen zugeführtes, krankhaftes Prion-Protein zwingt dem natürlichen, gesunden Prion-Protein seine Form auf (Ursache der erworbenen, übertragbaren bzw. iatrogenen Prionerkrankungen). Das krankhafte PrPsc kann Aggregate, d.h. Amyloid, bilden (Übersicht bei Prusiner, 2001). Ob diese Aggregate, oder das monomere PrPsc das eigentliche infektiöse Agens darstellen, ist noch unklar (Refolding oder Seeding Modell, siehe Aguzzi et al., 2001). Ebenfalls unklar ist, wie der eigentlich zytopathische Effekt des PrPsc vermittelt wird. Mittlerweile ist klar geworden, dass das gesunde PrP nicht nur eine, sondern mehrere verschiedene, stabile pathologische Konformationen (PrPsc1, PrPsc2, siehe Abb. [1]) einnehmen kann (Übersicht bei Prusiner, 2001; Aguzzi et al. 2001). Der Pathomechanismus, der dazu führt, dass verschiedene PrPsc ein unterschiedliches Lokalisationsmuster des Befalls, und damit der daraus resultierenden Klinik hervorrufen, ist unklar. Die große Strukturhomologie der Prionproteine bewirkt, dass die Prion- Erkrankungen von einer Spezies zur anderen übertragen werden können. Es existiert zwar eine „Speziesbarriere”, die zu einer verlängerten Inkubationszeit und verringerten Infektionsrate bei der primären Infektion zwischen verschiedenen Spezies führt, bei weiteren Passagen allerdings, d. h. Sekundärinfektionen innerhalb einer Spezies, ist aber die Inkubationszeit verkürzt, und die Infektionsrate steigt.

Ätiologie der Prion-Erkrankungen

Die übertragbaren, spongiformen Encephalopathien (transmissible spongiform encephalopathies, TSEs) werden ätiologisch in

  • sporadische Formen, d. h. die klassische Creutzfeldt-Jacobsche Erkrankung (sCJD),

  • erbliche Formen, wie z. B. die Gerstmann-Sträussler-Scheinker (GSS) Erkrankung und die

  • übertragbaren Erkrankungen, wie z. B. iatrogene Creutzfeldt-Jacobsche Erkrankung (iCJD), Kuru und variante Creutzfeldt-Jacobsche Erkrankung (vCJD)

unterteilt (Übersicht bei Johnson & Gibbs, 1998).

Die sporadische CJD tritt weltweit mit einer Inzidenz von 0,5 bis 1,5 pro Million Einwohner auf. Sie ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters (mittleres Erkrankungsalter 60 Jahre), und durch kognitive Defekte (Demenz) und Myoklonus, und kurzen Krankheitsverlauf (5 Monate) gekennzeichnet; 80 % der Patienten versterben innerhalb des 1. Jahres nach Diagnose. Histopathologisch finden sich spongiforme, „schwammförmige” Veränderungen mit Verlust an Neuronen und Gliose, Amyloid ist eher selten.

Zwischen 10 und 15 % der Patienten haben eine positive Familienanamnese für CJD. Mittlerweile sind zahlreiche Mutationen am kurzen Arm des Chromosoms 20, das für PrP kodiert, beschrieben worden. Beim GSS- Syndrom wird am häufigsten eine Mutation am Kodon 102 gefunden.

Sporadische und erbliche Formen der Prion-Erkrankungen sind selten. Von besonderer Bedeutung für das Gesundheitswesen sind die erworbenen, d. h. übertragbaren Formen der TSEs. Kuru, eine endemische Erkrankung in Papua-Neuguinea, ist Folge des dort gepflegten Kannibalismus, d.h. der Verspeisung verstorbener Angehöriger. Obwohl diese Gepflogenheit seit mehreren Jahren nicht mehr durchgeführt wird, treten, aufgrund der langen Inkubationszeit, die bis zu 40 Jahre geschätzt wird, immer noch Erkrankungsfälle auf.

Die erworbenen, d.h. übertragbaren TSEs weisen eine erhebliche gesundheitspolitische Bedeutung auf. Die iatrogene Übertragung der klassischen Creutzfeldt-Jakobschen Erkrankung ist Mitte der 80er Jahre in erheblichem Umfang aufgetreten. Etwa 100 Fälle weltweit traten nach 1985 durch die Anwendung von Wachstumshormon bzw. Gonadotropin auf, welches aus Leichen-Hypophysen hergestellt wurde. Ebenfalls mehr als 60 Fälle von CJD traten nach Implantation von humaner Dura mater und Kornea auf. Von besonderer Bedeutung ist auch das Auftreten von CJD nach wiederverwendbaren intrazerebralen Elektroden oder chirurgischen Instrumenten bei Operationen am ZNS. Bei allen diesen Fällen lag die Exposition in Form von ZNS-Gewebe zu Grunde, wobei der Infektionsweg entweder direkte ZNS-Applikation oder intramuskuläre Injektion waren (Johnson & Gibbs1998; Robert-Koch-Institut 1998; Simon & Pauli 1998).

Da bislang, insbesonders bei Hämophiliepatienten, keine Übertragung der klassischen CJK durch Blut oder Blutprodukte beobachtet wurde, wird von einer geringen Infektiosität von Blut bei der klassischen CJK, und einer geringen Effektivität der intravenösen Übertragung ausgegangen. In der europäischen CJK-Studie, die 405 Patienten, davon 199 mit gesicherter CJK umfasste, waren weder Bluttransfusion noch Operation signifikante Risikofaktoren (van Duijn et al., 1998). In einer Analyse von 241 australischen Patienten mit CJK war die Bluttransfusion ebenfalls kein Risikofaktor für CJK. Verschiedenste Operationen waren allerdings ein hochsignifikanter Risikofaktor für die Entstehung der CJK. Die Autoren folgern, dass unterschiedlichste Operationen Kontaminationsereignisse darstellen und zu iatrogenen CJK-Fällen führen könnten (Collins et al., 1999).

Die (neue) variante Creutzfeldt-Jacobsche Erkrankung Charakteristika der vCJK 1996 wurde die neue Variante der Creutzfeldt-Jakobschen Erkrankung (vCJK) als eigenständige klinische Entität erkannt und beschrieben (Will et al. 1996). Die Erkrankung betrifft hauptsächlich jüngere Patienten (30 Jahre), äußert sich in psychiatrischen und sensorischen Symptomen; histopathologisch zeigen sich diffuse Amyloid-Plaques. Das Auftreten ca. 12 Jahre nach Beginn der BSE-Epidemie, die typischen histopathologischen Veränderungen und Lokalisationen der Erkrankung bei Übertragung auf Labortiere, sowie die elektrophoretisch identen Proteinmuster begründen die mittlerweile als gesichert angesehene Hypothese, dass es sich bei der vCJK um die menschliche Form der BSE handelt, die über die Nahrungskette übertragen wurde. Eine wichtige Besonderheit der vCJK ist, dass sich das PrPsc nicht nur im ZNS, sondern auch im lymphatischen Gewebe, d.h. Tonsillen, Appendix, Milz, B-Lymphozyten und Dendritischen Zellen nachweisen lässt (Übersicht bei Collinge, 1999). Diese Tatsache hat nicht nur diagnostische Bedeutung. Wie wird sich die vCJK-Epidemie entwickeln? Derzeit sind in Großbritannien 104 Menschen an vCJD erkrankt (Department of Health, Januar 2002), der Verlauf der Erkrankungshäufigkeit ist in Abb. 2 dargestellt. In Frankreich sind 5 weitere, in Irland 1 Patient gemeldet. In Großbritannien ist BSE bei ca. 180.000 Rindern diagnostiziert worden, die Dunkelziffer wird mit 750.000 Rindern geschätzt. Der Höhepunkt der BSE war 1992 erreicht. Die derzeitigen Schätzungen der vCJK-Epidemie gründen sich auf ein Modell von Ghani et al. (2000), welches u. a. von einer Inkubationszeit zwischen 30 und 60 Jahren ausgeht, und nach dem bis zu 6000 Erkrankte bis zum Jahr 2040 in Großbritannien zu erwarten wären. Die Übertragung dieses Modells, und der BSE-Fälle, auf Frankreich bzw. Deutschland erbringt dann Schätzungen zwischen 300 und 600 Fällen. Andere Modelle, wie z. B. von Valleron et al. (2001), postulieren ein weit geringeres Ausmaß der Epidemie. Letztlich sind aber all die Variablen, die in diese mathematischen Modelle einfließen, nur Schätzungen und nicht gesichert. Dies gilt insbesonders für die Inkubationszeit der vCJK. Bislang sind nur Menschen, die homozygot für MET am Kodon 129 waren, erkrankt. Dieser Polymorphismus prädisponiert für die Entwicklung einer TSE. Ob und inwieweit Menschen, die einen anderen Polymorphsimus am Kodon 129 aufweisen, erkranken, oder ob sie lediglich eine längere Inkubationszeit aufweisen, ist derzeit unklar. Weitere genetische Prädispositionsfaktoren wurden kürzlich beschrieben (Jackson et al., 2001). Kann die variante Form der CJK durch Bluttransfusion übertragen werden? Während bei der klassischen Form der CJK Blut als Gewebe mit geringstem Risiko angesehen wird, muss man bei der varianten CJK Blut als Gewebe mit Infektionspotential einordnen, da ja auch lymphatisches Gewebe PrPsc enthält. Die Tatsache, dass knockout Mäuse ohne B-Lymphozyten bei peripherer Inokulation keine Scrapie entwickeln (Klein et al., 1997), hat viele Länder zur Einführung der universellen Leukozytendepletion, als präventive Maßnahme, bewogen. Dennoch sind die Ergebnisse über den Nachweis der Infektiosität in den verschiedenen Komponenten bzw. Bestandteilen des Blutes uneinheitlich (Übersicht bei Brown et al. 2001). Dabei hat das Problem der Übertragung von Ergebnissen im Tierversuch auf die Situation beim Menschen nicht die übliche Bedeutung, vielmehr sind die Fragen entscheidend, welche Prionen (d. h. welche Art der TSE) im Tierversuch eingesetzt werden und welcher Infektionsweg untersucht wird. Im Maus-Modell, mit Prionen der Gerstmann-Sträussler-Scheinker Erkrankung, fand sich der überwiegende Anteil der Infektiosität im buffy-coat (d. h. Leukozyten und Thrombozyten) des Blutes erkrankter Tiere, die Erkrankung ließ sich auch durch intravenöse Transfusion übertragen. Während der präklinischen Phase, d. h. in der Inkubationszeit, ließ sich die Erkrankung nur durch Transfusion von buffy-coat, nicht aber durch Plasma übertragen (Brown et al., 2001). Unter den wenigen Untersuchungen zur intravenösen Übertragung hat der präliminäre Bericht der Übertragung von BSE durch Transfusion von Blut im Schafsmodell große Beachtung gefunden (Houston et al., 2000). In diesem Experiment wurden Schafe durch orale Gabe von BSE-Hirnmaterial infiziert, und danach diesen Schafen während der Inkubationszeit Blut entnommen. Dieses Blut wurde 19 anderen Schafen transfundiert. Nachdem 1 der 19 Schafe, 610 Tage nach der Transfusion, BSE entwickelte, publizierte die Arbeitsgruppe ihren präliminären Bericht. Über den weiteren Verlauf und Details zu diesem Experiment liegen derzeit (mittlerweile ca. 500 Tage nach Abfassen dieser Publikation) überraschenderweise keine publizierten Daten vor. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind Mitteilungen, dass in der betreffenden Institution irrtümlich Rinderhirne anstelle von Schafshirnen auf BSE untersucht wurden (Butler 2001 a/b). Eine der wesentlichsten Studien des letzten Jahres wurde von Lasmezas et al. (2001) an Primaten vorgelegt. Diese Arbeitsgruppe infizierte Makaken mit BSE und vCJD. In weiteren Versuchen wurde dann Hirnmaterial der erkrankten Makaken zur Infektion weiterer Makaken benutzt. Dabei wurde eine Verkürzung der Inkubationszeit von 36 bis 40 Monate auf 18 bei 25 Monate beobachtet. Auch die intravenöse Gabe von infektiösem Hirnmaterial führte zur Erkrankung. Diese Befunde sprechen dafür, dass die Infektion nach Überspringen der Speziesbarriere adaptiert, so dass die Inkubationszeit für vCJD bei Sekundärinfektionen geringer ist als für Primärinfektionen. Weiter konnte diese Arbeitsgruppe zeigen, dass anhand der Läsionsprofile und der Prion- Typisierung vCJD und BSE identische Ergebnisse aufwiesen. Bislang hat aber keiner der Empfänger von Blutkomponenten, die von Patienten gespendet wurden, die später an vCJD verstarben, vCJD entwickelt (Contreras, persönliche Mitteilung 2001). Zusammenfassend ist die intravenöse Übertragung von BSE bzw. vCJD durch Transfusion von Blut weder beim Patienten beschrieben, noch im Tierversuch zweifelsfrei bzw. bestätigt nachgewiesen wurden. Dennoch ist die intravenöse Gabe (zumindest von Hirnmaterial) ein potentieller Infektionsweg und die Möglichkeit von Sekundärinfektionen über diesen Weg ist bislang nicht ausgeschlossen. Welche Maßnahmen können zur Reduktion dieses „potentiellen Risikos” durch den Hersteller von Blutkomponenten angewendet werden? Seit mehreren Jahren werden anhand eines standardisierten Fragenkatalogs Blutspender ausgeschlossen, bei denen Hinweise für ein familiäres oder iatrogenes Risiko der CJD besteht. Viele Länder, auch Deutschland, haben sich darüber hinaus entschlossen, auch Spender, die sich während der BSE-Epidemie in Großbritannien und Irland für längere Zeit aufgehalten haben, von der Blutspende zurückzustellen. Derzeit ist in der Diskussion, ob auch Empfänger von Bluttransfusionen (im weitesten Sinne) von der Blutspende ausgeschlossen werden sollten. Da eine solche Maßnahme mit erheblichen Spenderverlusten (in der Größenordnung von 4 - 5 %) verbunden wäre, was zu erheblichen Versorgungsengpässen führen würde, wurde zunächst von der Anordnung dieser Maßnahme abgesehen. Betrachtet man den Grad der Evidenz für diese Maßnahme, so müsste man konsequenterweise auch Spender, bei denen operative Eingriffe durchgeführt worden sind, von Blutspenden ausschließen. Damit wäre ein erheblich höherer Verlust an Blutspendern (ca. 30 % und mehr) verbunden und erhebliche, empfindliche Auswirkungen auf die Versorgungssituation mit Hämotherapeutika. Mittlerweile ist auch in Deutschland die universelle Leukozytendepletion angeordnet worden, weitere präparative Möglichkeiten zur Reduktion der Prion-Belastung von Blutkomponenten sind derzeit nicht in Sicht. Diskutiert werden könnte, ob in Analogie zum französischen Vorgehen auch die Leukozyten-Kontamination von Gefrorenem Frischplasma (GFP) reduziert werden sollte, bzw. die Thrombozytenkontamination in Erythrozyten- Konzentraten und GFP. Stehen Labortests zur Erkennung der vCJK zur Verfügung? Teste zur Erkennung übertragbarer Erkrankungen im Blutspendewesen müssen die höchsten Anforderungen erfüllen. Es wird nicht nur eine hohe Sensitivität gefordert, sondern auch eine ausgezeichnete Spezifität ist Voraussetzung für den Einsatz. Falsch positive Ergebnisse führen nicht nur zur Verknappung von Blutprodukten und Kostensteigerung, besonders die Abklärung solcher Befunde, in Kombination mit der Aufklärung und Führung des Blutspenders sind zu bedenken. Insofern ist der Einsatz von Surrogatmarkern, falls überhaupt verfügbar, letztes Mittel der Wahl. Die klinische Diagnostik eines vCJK-Patienten ist mit modernen Mitteln (EEG, MRI-Scan, Tonsillenbiopsie) mittlerweile technisch kein Problem mehr. Infektionsassays in verschiedenen Tiermodellen (Maus, Hamster, etc.) erlauben auch die Validierung der Abreicherung von Prion-Proteinen bei der Herstellung von Plasmaderivaten. Limitierend ist bei diesen Assays v. a. die lange Dauer, die Folge der Inkubationszeit von (mehreren) hundert Tagen ist, die bis zum Testergebnis vergeht. Stehen aber Blutteste zur Verfügung, die es erlauben würden, sensitiv und spezifisch vCJD in der Inkubationszeit bzw. bei einem „gesunden Carrier” nachzuweisen (ungeachtet der offenen Frage, ob überhaupt tatsächlich Infektiosität bei der vCJK in der Inkubationszeit im Blut vorhanden ist, siehe oben)? Die zur Verfügung stehenden in-vitro Assays, die vor allem anhand der unterschiedlichen Glykolisierung und Sensitivität gegenüber Proteinase K zwischen PrPc und PrPsc unterscheiden, erfüllen diese Anforderungen nicht. In einer kürzlich erschienenen Übersicht wird geschätzt, dass selbst die derzeit empfindlichsten Tests (1 pg/ml) eine Zehnerpotenz sensitiver sein müssten, um niedrige infektiöse Dosen zu erfassen (Brown et al., 2001). Ein Antikörper, der zwischen PrPc und PrPsc unterscheiden kann, ist zwar angekündigt worden, allerdings hat man dann nichts mehr von diesem Antikörper gehört. Kürzlich ist eine Labormethode publiziert worden, bei der, ähnlich wie bei Nukleinsäure- Amplifikations-Techniken, PrPsc in-vitro vermehrt werden kann (Saborio et al., 2001). Ein solcher Test hätte das Potential, auch niedrige PrPsc-Kontaminationen nachzuweisen; leider sind auch diese Mitteilungen bislang nicht bestätigt worden (Contreras persönliche Mitteilung 2001, Heiden persönliche Mitteilung 2002). Welche Konsequenzen ergeben sich derzeit für den transfundierenden Arzt ? Gemäß Transfusionsgesetz ist der transfundierende Arzt besonders an die Voten und Stellungnahmen des Arbeitskreis Blut gebunden, diese stellen antizipierte Sachverständigengutachten dar. In dieser Stellungnahme werden für Deutschland zwischen 300 und 600 Fälle von Primärinfektionen von vCJK für möglich gehalten. In der Zusammenfassung der Stellungnahme der Arbeitsgruppe wird zu Sekundärinfektionen folgendes festgehalten: (4.) „Inwieweit Sekundärinfektionen, d. h. Übertragungen des vCJK- Erregers von Mensch zu Mensch, stattfinden können, ist nicht bekannt. ... Grundsätzlich kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass eine vCJK-Übertragung durch kontaminierte chirurgische Instrumente oder durch menschliches Gewebe, insbesondere durch Transplantate oder Blut und Blutprodukte erfolgt....” (5.) „... Vorsichtshalber sollte daher unterstellt werden, dass sich auch bei vCJK der Erreger im menschlichen Blut finden lässt, und zwar bis zu einem Titer von 10 infektiösen Einheiten pro Milliliter bei intravenöser Verabreichung.” (6)„... Eine mögliche Übertragung des vCJK-Erregers über Plasmaprodukte (z. B. Immunglobuline, Albumin, Faktorenkonzentrate für Hämophilie-Patienten) erscheint sehr unwahrscheinlich, da der Erreger bereits während der Herstellung dieser Blutprodukte weitgehend entfernt wird. Sollte der vCJK-Erreger über Bluttransfusionen übertragbar sein, könnte dies aber neben der theoretisch denkbaren Übertragung durch chirurgische Instrumente die einzige verbleibende Route für seine Weiterverbreitung (Sekundärinfektionen) in der menschlichen Bevölkerung darstellen.” Anders als im französischen Bericht, der in Frankreich ein Restrisiko von 1 : 120.000 für die „posttransfusionelle vCJK” definiert, findet sich in der Stellungnahme keine solche Angabe, wenngleich auch Modellrechnungen zur Sekundärinfektion dargestellt werden (Agence francaise de securite sanitaire des produits de sante 2000) . Die Frage, ob Empfänger von Blut und Blutprodukten über ein solches Risiko aufgeklärt werden sollen, wird damit nicht beantwortet. Für die Aufklärungspflicht von „theoretisch denkbaren” Komplikation liegen auch meiner Kenntnis nach keine Präzedenzfälle oder Urteile vor. Dennoch beschäftigen sich bereits jetzt Juristen mit der Frage, ob im Rahmen der Bluttransfusion (und auch im Rahmen von Operationen) über das theoretische Risiko der Übertragung von Prion- Erkrankungen aufgeklärt werden müsse (Bender, 2001). Zumindest bei elektiven Eingriffen könnte dieses Risiko durch Eigenblutspende bzw. autologe Hämotherapie vermieden werden. Der AK-Blut stellt hierzu fest: „Eine Intensivierung der Behandlung mit Eigenblut zur Verringerung eines möglichen vCJK-Risikos kann daher nur empfohlen werden, wenn die Probleme der Qualitätssicherung überzeugend gelöst sind.” In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob eine weitere Steigerung der autologen Hämotherapie, über die 10 % Transfusionswahrscheinlichkeit, die in Deutschland dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht, überhaupt machbar ist. Die Bedingung, dies von Problemen der Qualitätssicherung abhängig zu machen, kann so nicht nachvollzogen werden, da sicherlich bei den meisten Institutionen, die autologe Hämotherapie durchführen, die Qualitätssicherung dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht. Für den Fall, dass man eine Gefährdung der Patienten, bzw. eine Aufklärungspflicht hinsichtlich einer „posttransfusionellen vCJK” bejaht und postuliert, stellt sich allerdings noch das Problem des operativen Eingriffs selbst. Dessen (theoretisches) Risiko für die Übertragung von vCJK und CJK wurde von der Arbeitsgruppe des Robert-Koch-Instituts ebenso hoch eingeschätzt wie bei der Transfusion. Für die Operation selbst, unabhängig von Fremdblut oder Eigenblut, müsste dann ebenfalls eine Risikoaufklärung erfolgen. Hierzu wird der Bericht einer weiteren Arbeitsgruppe, die sich mit diesem Problem befasst, erwartet.

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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. Michael Köhler

Abteilung Transfusionsmedizin Universitätsklinik Göttingen

Robert-Koch-Straße 40

37075 Göttingen

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