Zusammenfassung
Fragestellung: Wie häufig werden Patienten einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, die
den Versorgungsauftrag für eine Region hat, in den Maßregelvollzug verlegt? Ist eine
Tendenz ableitbar, aggressive, bedrohliche Patienten so schnell wie möglich „abzuschieben”?
Methode: In der für die Region Berlin-Neukölln zuständigen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
wurden in dem Beobachtungszeitraum von einem Jahr (2000) alle Patienten erfasst, die
unmittelbar vor oder während der stationären Behandlung eine schwere Straftat begangen
hatten. Die Ermittlungsschritte und weiterführenden juristischen Konsequenzen werden
nachgezeichnet. Ergebnisse: 0,1 % der im Beobachtungszeitraum behandelten Patienten wurden aus der Klinik direkt
in ein Krankenhaus des Maßregelvollzuges verlegt. Wochen bis Monate nach der regulären
Entlassung erfolgte bei 0,4 % der Patienten die Einweisung in eine forensische Abteilung.
Eine ambulante Begutachtung ordnete das Gericht bei 0,5 % der Patienten an. Schlussfolgerungen: Nur wenig Patienten wurden in den Maßregelvollzug verlegt. Eine Tendenz, aggressive
Patienten so schnell wie möglich „abzuschieben” und damit die forensische Psychiatrie
zu „missbrauchen”, kann aus dieser Untersuchung nicht abgeleitet werden.
Abstract
Issue: In psychiatric and psychotherapeutic clinics that are responsible for supplying care
for a region, how often are patients transferred to forensic psychiatric hospitals?
Is there a tendency to „send off” aggressive or threatening patients as quickly as
possible? Method: In the psychiatric and psychotherapeutic clinic responsible for the Berlin's Neukölln
district, for one year (2000) all patients who committed a severe criminal offence
immediately before or during their in-patient treatment were registered for observation
in 2000. The steps of investigation and further legal consequences were recorded.
Results: During the period of observation, 0.1 percent of the patients were transferred from
the clinic to a forensic psychiatric hospital. Weeks or months after their regular
release, 0.4 percent of the patients were committed to a forensic department. The
court ordered an ambulant psychiatric evaluation for 0.5 percent of the patients.
Conclusion: Only a few patients were transferred to forensic psychiatric hospitals. A tendency
to „send off” aggressive patients as soon as possible, thus abusing forensic psychiatry,
was not found in this study.
Literatur
1
de Smit N W.
Über die babylonische Sprachverwirrung zwischen Psychiatern und Juristen - Gedanken
zu einer forensischen Sozialpsychiatrie jenseits der Gutachterfunktion.
Psychiat Prax.
1976;
3
87-93
2 Konrad N.
Im Abseits der Psychiatriereform: Psychisch Kranke im Strafvollzug. In: Schmidt-Zadel R, Kunze H (Hrsg) Personenzentrierte Krankenhausbehandlung im Gemeindepsychiatrischen
Verbund. Bonn; Psychiatrie-Verlag 2002: 180-189
3
Schanda H.
Probleme bei der Versorgung psychisch kranker Rechtsbrecher - ein Problem der Allgemeinpsychiatrie?.
Psychiat Prax.
2000;
27
72-76
4 Böker W, Häfner H. Gewalttaten Geistesgestörter. Eine psychiatrisch-epidemiologische
Untersuchung in der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg; Springer-Verlag 1973
5
Angermeyer M C, Schulze B.
Psychisch krank - eine Gefahr?.
Psychiat Prax.
1998;
25
211-220
6
Eink M.
„Oh Gott, wie viel Verrückte laufen frei herum?”.
Soziale Psychiatrie.
1999;
23
11-14
7
Haller R, Kemmler G, Kocsis E, Maetzler W, Prunlechner R, Hinterhuber H.
Schizophrenie und Gewalttätigkeit.
Nervenarzt.
2001;
72
859-866
8
Spießl H, Krischker S, Cording C.
Aggressive Handlungen im psychiatrischen Krankenhaus.
Psychiat Prax.
1998;
25
227-230
9
Steinert T, Vogel W D, Beck M, Kehlmann S.
Aggressionen psychiatrischer Patienten in der Klinik.
Psychiat Prax.
1991;
18
155-161
10 Steinert T. Aggression bei psychisch Kranken. Stuttgart; Enke 1995
11
Fähndrich E.
Erfahrungen mit der Basisdokumentation im klinischen Bereich.
Psycho.
2000;
26
381-385
12 Statistisches Landesamt Berlin .2001 (Stand der Daten: 31. Dezember 1999)
13 Fähndrich E. Jahresbericht der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie. Berlin;
Krankenhaus Neukölln 2000 www.knk-berlin.de/psychiatrie
14
DGSP .
Bochumer Erklärung der DGSP zum Maßregelvollzug.
Soziale Psychiatrie.
1999;
23
29
15
Bauer M.
Von der Schwierigkeit der Gemeindepsychiatrie mit so genannten forensischen Patienten.
Psy Pflege.
1996;
2
107-111
Dr. med. Christian Kieser
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie · Vivantes Klinikum Neukölln
Rudower Straße 48
12351 Berlin
Email: christian.kieser@vivantes.de