ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2003; 112(7/08): 305
DOI: 10.1055/s-2003-41756
Editorial

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Götter in Grau

Cornelia Gins
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Publication Date:
01 September 2003 (online)

Operation misslungen - Patient klagt. Dieser Trend, in Amerika gang und gäbe, schwappt zunehmend auch auf Deutschland über. Immer mehr Patienten fühlen sich schlecht behandelt und beschweren sich bei Krankenkassen und Ärztekammer. Die AOK Berlin beispielsweise, die seit knapp 3 Jahren eine spezielle Beratungsstelle für Versicherte betreibt, die sich falsch oder schlecht behandelt fühlen, registriert seit vergangenem Jahr einen Beschwerdezuwachs um 44 %. Auch die Schlichtungsstelle für Arzthaftrecht in Hannover kann diesen Trend bestätigen. Diese Instanz, in der sich Arzt und Patient bei Behandlungsfehlern außergerichtlich einigen sollen, wird von 9 norddeutschen Ärztekammern getragen. Laut dem jetzt von der Berliner Ärztekammer vorgelegten Tätigkeitsbericht für 2002 gingen bei der Schlichtungsstelle im vergangenen Jahr 588 neue Fälle von möglichen Kunstfehlern aus Berlin ein - das sind 11 % mehr als im Jahr davor.

Der Patient, der Opfer eines Ärztepfuschs(?) wurde, muss seine Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld bei der Schlichtungsstelle oder vor einem ordentlichen Gericht durchsetzen. Letzterer ist allerdings ein schwieriger und langer Weg. Von den rund 650 Fällen, die die AOK von 2000-2002 zu den Akten legte, haben nur 17 Patienten ihre Ansprüche durchsetzen können, einige befinden sich aber noch in der Schwebe. Bei der Schlichtungsstelle wurden von 526 Fällen im Jahr 2002 immerhin 83 als Kunstfehler anerkannt.

Liest man derartige Beiträge, drängt sich sofort die Frage auf: Was ist da eigentlich los? Sind nur noch medizinische Pfuscher unterwegs oder haben die Patienten Langeweile? In jedem Fall ist zu konstatieren, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sicherlich schon einmal besser war. Die Möglichkeit der Patienten, sich beispielsweise via Internet ein wie auch immer geartetes medizinisches Wissen anzueignen, stellt den behandelnden Arzt zunehmend vor das Problem, in dem Patienten nicht mehr nur einen „kranken” Kranken, sondern auch einen „gebildeten” Kranken vor sich zu haben. Selbstverständlich ist es sehr begrüßenswert, wenn wir aufgeklärte und kritische Patienten zu betreuen haben. Die Kommunikation kann sich so weitaus einfacher gestalteten. Wären da nicht die durch Politik, Medien, aber leider auch die Ärzteschaft selbst hervorgerufenen, immer wieder aufkeimenden Zweifel der Patienten an den ethischen Grundsätzen ihrer Ärzte. Seit vielen Jahren ist das vermeintliche Dilemma der Mediziner, sich zwischen Ethik und Monetik entscheiden zu müssen, ein Lieblingsthema der Medien. Die Öffentlichkeit sieht das Pendel eindeutig in Richtung Monetik schlagen.

Die Klagefreudigkeit der Patienten wird zum einen durch die bessere Aufklärung und zum anderen aber auch durch die Tatsache begünstigt, die ärztliche Leistung vorwiegend als sowohl vom Staat als auch vom Arzt zu erbringende Dienstleistung zu betrachten. Schließlich zahlt man jeden Monat sehr viel Geld dafür. Vielleicht sind auch oft die Erwartungen an die Möglichkeiten der Medizin einfach zu hoch.

Ungeachtet dessen ist natürlich auch ärztliches Handeln nicht frei von Fehlern, und schwarze Schafe gibt hier ebenso wie in jeder anderen Berufsgruppe. Die steigende Tendenz der Klagen zeigt uns einmal mehr, dass der Fokus der Öffentlichkeit immer auf uns gerichtet bleiben wird, egal was wir auch tun. Offensichtlich gibt es vielen eine innere Befriedigung, uns von einem Thron zu stoßen, auf dem wir nie sitzen wollten.

Dr. med. dent. Cornelia Gins

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