Zentralbl Gynakol 2003; 125(3/4): 112-122
DOI: 10.1055/s-2003-41907
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychosoziale Belastungen als Risikofaktoren der Frühgeburt - Erste Befunde der Daten des BabyCare-Projekts

Psychosocial stress as a risk factor for preterm birth - first results of the BabyCare projectJ. W. Dudenhausen1 , R. Kirschner2
  • 1Direktor der Klinik für Geburtsmedizin - Charité Campus Virchow Klinikum
  • 2Geschäftsführerin von Forschung - Beratung + Evaluation (FB+E) Berlin
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Publication Date:
04 September 2003 (online)

Zusammenfassung

Psychosoziale Belastungen (Stress) sind und waren vielfach Gegenstand epidemiologischer Studien zur weiteren Aufklärung des Frühgeburtsgeschehens, ohne dass die Bedeutung dieser möglichen Risikofaktoren bisher sowohl theoretisch als auch empirisch als hinreichend gesichert gelten kann. Assoziationsmaße zwischen erfasster Stressbelastung und der Frühgeburt sind in epidemiologischen Studien heterogen und in der Regel nicht sehr hoch ausgeprägt. Auf der Grundlage der empirischen Daten des BabyCare-Projekts soll in einer ersten Analyse für Primiparae gezeigt werden, welche psychosozialen Belastungen (potenziell) in einem Zusammenhang mit der Frühgeburt stehen.
Die zunächst deskriptiv-epidemiologische Analyse der Daten zeigt, dass sich Arten und Häufigkeiten psychosozialer Belastungen und Stress erwartungsgemäß nach Alter und sozialer Lage z. T. deutlich unterscheiden. In der analytisch-epidemiologischen Analyse weist bei den gegebenen Fallzahlen unter den psychosozialen Variablen die Variable „überdurchschnittliche Stressbelastung in den letzten 12 Monaten vor der Schwangerschaft” das höchste (und an der Signifikanzgrenze liegende) Risikomaß auf. Entgegen der Erwartung, diskriminieren weder Häufigkeit und Art von Life-events (in den letzten 12 Monaten), noch ein gebildeter Gesamtstressindex (Belastungsprofil), noch eine ü berdurchschnittliche Häufigkeit psychosozialer Beschwerden (Beschwerdenliste nach Zerrssen) zwischen Frühgeburten und Termingeburten. Hinweise auf weiter zu prüfende Zusammenhänge liegen hinsichtlich der erhöhten Berufstätigkeit und den erhöhten Arbeitsbelastungen, sowie hinsichtlich des Zusammenhangs mit Partnerkonflikten und fehlender emotionaler Unterstützung sowie zwischen ungeplanter Schwangerschaft und nicht protektiver sozialer Lage vor. Mit wenigen Ausnahmen liegen die psychosozialen Variablen in ihren Risikomaßen deutlich hinter den Maßen der medizinischen und verhaltensbedingten Risikofaktoren. Die Analyse der Frühgeburtenraten zeigt, dass eine erhöhte Stressbelastung in den letzten 12 Monaten vor der Schwangerschaft v. a. bei Rauchern das gegenüber Nichtrauchern ohnehin mehr als verdoppelte Frühgeburtsrisiko nochmals um den Faktor 1,5 erhöht. Die herausgearbeiteten Zusammenhänge müssen bei zunehmenden Fallzahlen durch geschichtete Analysen und ergänzende Follow-up- oder retrospektive Untersuchungen geprüft und gesichert werden, um jene Faktoren zu identifizieren, die im weiteren Verlauf der Schwangerschaft auftreten und die erhöhte Frühgeburtenrate in der psychosozialen Risikogruppe erklären können.

Abstract

Psychosocial stress is and has been under study in a plenty of epidemiological research done to further detect the mechanisms between risk factors and preterm birth, but the role of these possible risk factors is up to now not approved neither theoretically nor empirically. Associations calculated between those risk factors and preterm birth are highly inconsistent and with exceptions only moderate. Based on the data given by the BabyCare programme in a first analysis for the group of primiparae it will be analysed, which psychosocial risk factors are correlated with preterm birth and which of these can be judged as independent risk factors, as far as this can be ruled out by the sample-size given.
The descriptive data analysis shows, that the frequency of psychosocial risk factors is varying as it can be expected by age and social stratification. The analytical analysis shows by the given sample-size that the variable “strong stress in the last 12 months before pregnancy” has the highest ODDS-Ratio, which is also almost significant. Unexpectedly there is no correlation between preterm birth and the frequency and characteristics of life-events in the last 12 months, nor between the stress index, nor between the frequency of psychosocial complaints.
Weaker associations - further to be approved - are given with respect to work load and occupation, problems in partnership and emotional or social support as well as to unplanned pregnancy and “low social status”. The risk-ratios of the psychosocial variables are altogether much lower than the ratios of the medical or behavioural risk factors. The analysis of preterm birth rates reveals, that “strong stress in the last 12 months before pregnancy” will especially raise the preterm birth rates of smokers by an additional factor of 1.5.
The associations found have to be approved by raising sample-size by stratified analytical methods and additional research by follow-up or retrospective studies to finally find out the factors which arise in the subsequent time of pregnancy and might explain the higher risk of preterm birth in the group of pregnants with “strong stress in the last 12 months before pregnancy”.

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1 1. Buch Samuel 4:19

2 Zusätzlich wurden Frauen mit Mehrlingsschwangerschaften und Diabetikerinnen aus dem Datensatz ausgeschlossen.

3 Die Quantifizierung, d. h. der vergebene Punktwert, orientierte sich daran, dass Schwangere mit theoretischer Maximalbelastung ungefähr ein relatives Risiko der Frühgeburt von etwa 2 aufweisen. Dieser voluntaristische Wert muss bei zunehmenden Datensätzen durch das tatsächlich errechnete relative Risiko ersetzt werden. Er dient derzeit v. a. dazu, in den persönlichen Empfehlungen an die Schwangeren Belastungsprofile zu bilden und Aussagen über die Stressbelastung machen zu können.

4 Diese Verteilung ergibt sich aus einem ähnlichen Punktbewertungsverfahren, wie es auch bei der Quantifizierung der Belastungsintensität angewendet wurde. Über die Angaben zu den Fragen der sozialen Lage, des Einkommens und der Bildung werden Punkte vergeben. Angehörige der Gruppe „sozial nicht protektiv” haben signifikant häufiger ein unterdurchschnittliches Einkommen und eine nur mittlere Schulbildung. Dieser Indikator wird verwendet, weil er stärker zwischen der Gruppe der Früh- und Normalgeburten diskriminiert als die Schulbildung allein.

5 Es sei darauf hingewiesen, dass der bedeutende Risikofaktor der aszendierenden Vaginalinfektionen in der Schwangerschaft für die Frühgeburt bei BabyCare bedingt durch den Untersuchungsansatz nicht adäquat erfasst werden kann.

6 Hinzuweisen ist hier jedoch auf das generelle methodische Problem aller retrospektiven Untersuchungen, dass die Angaben zu möglichen Risikofaktoren durch das bekannte Geburtsergebnis „kontaminiert” sind. Dies kann sich gerade auch auf die Reliabilität der Angaben zur Stressbelastung in der Schwangerschaft auswirken.

Prof. Dr. Joachim W. Dudenhausen

Direktor der Klinik für Geburtsmedizin

Charité Campus Virchow Klinikum

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

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Fax: +49/30/4 50 56 49 01

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