Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(11): 681-688
DOI: 10.1055/s-2003-43386
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Frühgeschichte der künstlichen Niere

The Early History of the Artificial KidneyJ.  Benedum1
  • 1Institut für Geschichte der Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen
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Publication Date:
05 November 2003 (online)

Zusammenfassung

Nur wenigen ist heute noch Georg Haas als der Mann bekannt, der als erster 1924 in Gießen eine extrakorporale Hämodialyse mit Erfolg am Menschen durchgeführt hat. Mit den ersten tierexperimentellen Arbeiten begann Haas bald nach seinem Eintritt in die Gießener Medizinische Klinik 1914. Von diesen frühen Versuchen sind weder Protokolle noch verwendete Apparaturen erhalten geblieben. Auch wurden diese Arbeiten durch den Kriegsdienst von 1917 - 1919 unterbrochen. Bis zum Jahre 1923 hat Haas selbst über diese anfänglichen Experimente geschwiegen. „Äußere Umstände” (Kriegsdienst) und „Mangel an Material” (Hirudin) hinderten ihn an der Fortführung der Arbeiten zur Blutwäsche. Auch waren die Versuche eine volle Enttäuschung, weil die Versuchstiere, zumeist Hunde, nach wenigen Stunden zugrunde gingen. Die verwendeten Hirudinpräparate hatten sich als Kapillargift herausgestellt. Setzte die Toxizität der Hirudinpräparate einer Anwendung der Dialyse am Menschen vorerst eine Schranke, so spornten die Kriegsjahre mit den vielen Fällen von Feldnephritis zur Entwicklung dialysatorischer Abtrennungsverfahren an. Haas experimentierte zunächst mit Schilfschläuchen, Kalbsperitoneum und Papiermembranen. All diese Membranen befriedigten jedoch nicht. Erst als Fr. Pregl Kollodiumröhren vorstellte, war dieses erste Hindernis beseitigt. Haas experimentierte jetzt mit den von ihm hergestellten Kollodiumschläuchen. Die Toxizität der Hirudinpräparate bestand aber fort. Die Wiederaufnahme der Versuche zur Hämodialyse erfolgte 1923. Denn in diesem Jahr erschien eine Arbeit von H.Necheles, in der von einem angeblich gereinigten Blutegelextrakt die Rede war. Auch berichtete Necheles von amerikanischen Arbeiten, die eine Dialyse von Substanzen im Tierversuch verfolgten. Es war J. Abel (Baltimore), der Haas mitteilte, es läge inzwischen ein gereinigtes Hirudin vor. Haas, der so Anfang 1924 von den amerikanischen Arbeiten erfuhr, nahm Ende 1924 eine erste Blutwäsche an einem urämischen Patienten vor. Der Versuch dauerte 15 Minuten und verlief komplikationslos. Ein zweiter Dialyseversuch folgte 1926 und dauerte bereits 30 Minuten. Schließlich folgten vier weitere Hämodialysen 1927. Die Wende trat ein, als 1925 gereinigtes Heparin zur Verfügung stand. Haas, der 1924 die erste Blutwäsche mit Hirudin durchgeführt hatte, nahm jetzt 1927 die erste Blutwäsche mit Heparin vor. Weitere Hämodialysen folgten. Haas stellte abschließend fest: „Das Problem der Blutwaschung ist noch in den ersten Anfängen der praktischen Durchführbarkeit. Immerhin konnte bereits gezeigt werden, dass sie so weit entwickelt ist, dass sie wiederholt Anwendung finden konnte … Natürlich bedarf die Technik der Blutwaschung noch weiterer Vervollkommnung und Ausbauung, um in der Therapie als entgiftende Methode Geltung zu finden.” Überblickt man die Frühgeschichte der künstlichen Niere und ihrer Anwendung auf den Menschen, so steht fest, dass J. Abel als erster die Hämodialyse am Versuchstier vorgenommen hat. Ebenso eindeutig ist aber, dass Haas als erster die Blutwäsche am kranken Menschen durchgeführt hat. Die Versuche der Amerikaner verfolgten die quantitative Leistungsfähigkeit der Methode in Tierexperimenten, die Versuche von Haas galten der Entwicklung einer therapeutischen Methode nach dem Grundsatz des „primum nil nocere”.

Abstract

Only very few remember Georg Haas as the scientist who - in 1924 - was the first to successfully conduct an extracorporal hemodialysis on a patient in Gießen. Haas began his experiments in 1914 shortly after joining the Medical Clinic of the University of Gießen. Neither protocols nor any of the set-ups were preserved from these early experiments. In addition, the WW1 interrupted Haas' early experiments between 1917 - 1919. Until 1923 Haas himself never mentioned his early experiments. “Outside circumstances” and a “shortage of materials” (hirudin) prevented Haas from continuing his work on hemodialysis. Also, the early trials had disappointing results as the experimental animals, mostly dogs, died after a few hours. The hirudin preparations Haas had used turned out to be toxic. While the toxicity of the hirudin preparations prevented the application of dialysis in humans early on, the war with its many cases of nephritis provided new inspiration to develop dialyzing techniques. Haas experimented with reed tubes, calf peritoneum and paper membranes. None of these worked satisfactorily. Not until Pregl introduced collodion tubes was the first barrier overcome. Haas started experimenting with collodion tubes produced by himself. However, the toxicity problem with the hirudin preparations remained. Haas resumed the hemodialysis experiments in 1923. Significantly, 1923 was the year when Necheles published his work describing an alleged purified leech extract. Necheles' paper also described American experiments that focused on dialysis in animal trials. It was J. Abel of Baltimore who informed Haas that purified hirudin was available. After learning of this availability through the American studies in 1924, Haas conducted his first hemodialysis on a uremic patient in late 1924. This experiment lasted only 15 minutes and was without complications. A second dialysis attempt followed in 1925 and even lasted 30 minutes. Finally, four further experiments followed in 1926. The turning point was the availability of purified heparin from 1925 on. Haas, who in 1924 conducted the first dialysis using hirudin, in 1927 conducted the first hemodialysis using heparin. Further hemodialysis treatments followed. Haas concluded: “The problem of hemodialysis is still in the first steps of practical application. Nevertheless it could be shown that hemodialysis has developed sufficiently to find applicability even in patients with serious kidney ailments and irritable heart. … Hemodialysis was not only well tolerated but also brought a temporary subjective improvement. Of course, the technical aspects of hemodialysis still need improvement and further development to qualify as detoxicant therapy.” A look at the early history of the artificial kidney and its applicability to humans reveals that J. Abel conducted the first hemodialysis on experimental animals. It also becomes evident that Haas conducted the first hemodialysis in humans. The American experiments pursued the quantitative optimization of the method in animal trials, while Haas' experiments focused on the development of a therapeutic method following the principle “primum nil nocere.”

Literatur

  • 1 Benedum J. Georg Haas (1886 - 1971): Pionier der Hämodialyse.  Medizinhistorisches Journal. 1979;  14 196-217
  • 2 Benedum J. Georg Haas (1886 - 1971): Internist. In: Gundel G, Moraw P, Press V (Hrsg) Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bd. 1. Marburg; 1982: 357-364
  • 3 Bach H. Die Entwicklung der künstlichen Niere aus Hydrodiffusion und Hämodialyse. Der Ursprung des ersten künstlichen inneren Organs.  In: Benedum J (Hrsg) Arbeiten zur Geschichte der Medizin in Gießen. Bd. 7. Gießen; 1983: 334 S.
  • 4 Benedum J. Georg Haas (1886 - 1971): Pionier der Hämodialyse.  Schweiz Rdsch Med. 1986;  75 (4) 390-394
  • 5 Benedum J. Georg Haas (1886 - 1971): Pionier der Hämodialyse. Informationsblatt Nr. 8. Interessengemeinschaft der Dialysepatienten und Nierentransplantierten Mittelhessens e.V. 1989: 2-7
  • 6 Wizemann V, Benedum J. 70th Anniversary of Haemodialysis - The pioneering contribution of georg Haas (1886 - 1971).  Nephrology Dialysis Transplantation. 1994;  9 1829-1831

Prof. Dr. Jost Benedum

Institut für Geschichte der Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen

Iheringstr. 6

35392 Gießen

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