Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(11): 679-680
DOI: 10.1055/s-2003-43422
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Intensivmedizin - die kontinuierliche Herausforderung

Intensive Care Medicine - a Never Ending ChallengeE.  Berendes1 , H.  Van Aken1
  • 1Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin Universitätsklinikum Münster
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Publication Date:
05 November 2003 (online)

Die Intensivmedizin hat stets einen interdisziplinären Charakter [1]. Sie ist Bestandteil unterschiedlicher Fachgebiete und beinhaltet das Monitoring, die Diagnose und die Unterstützung bei Versagen der Vitalfunktionen sowie die Behandlung vorliegender Grunderkrankungen. Die momentane Situation der Intensivmedizin ist gekennzeichnet durch ein zunehmendes Spannungsfeld zwischen neuen faszinierenden Möglichkeiten (z. B. Kunstherzsysteme, Leberersatzverfahren, Therapie der Sepsis) einerseits und einem zunehmenden Kostendruck in Form limitierter Budgets andererseits. Die Behandlung nosokomialer Infektionen, Organdysfunktionen und der Sepsis stellen derzeit die aktuellen Herausforderungen der Intensivmedizin dar. Auf der Intensivtstation stehen dabei das Multiorganversagen, beatmungsassoziierte Lungenschäden und die Immunologie des vital bedrohten Patienten im Vordergrund. Zunehmende pathophysiologische Kenntnisse einzelner Krankheitsbilder und verbesserte technische Möglichkeiten der Überwachung und Therapie haben zu Erfolgen in der Intensivmedizin geführt. Dennoch ist die Letalität der Sepsis nach wie vor sehr hoch.

Heine et al. [2] stellen in ihrer Übersichtsarbeit aktuelle Therapieansätze bei kritisch kranken Patienten vor, die zu einer Senkung der Letalität beitragen können. So führt die so genannte „Early Goal Directed Therapy”, d. h. die frühzeitige Optimierung von Kreislaufparametern und systemischer Oxygenierung unmittelbar bei Aufnahme kritisch kranker Patienten im Krankenhaus oder vor Aufnahme auf die Intensivtherapiestation durch Volumengabe und wenn nötig eine Infusion vasoaktiver Substanzen, zu einer signifikanten Abnahme der Letalität [3]. Weitere Therapiekonzepte, die die Letalität von Intensivpatienten reduzieren, sind die intensivierte Insulintherapie und die protektive Beatmung [4] [5].

Während die Effektivität dieser Maßnahmen unbestritten ist, werden andere Therapiekonzepte gegenwärtig kontrovers diskutiert. Bei ausgewählten Patienten mit Sepsis oder septischem Schock kann eine medikamentöse Therapie mit Aktiviertem Protein C oder eine niedrig dosierte Kortikosteroidtherapie den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen [6]. Hinsichtlich des Aktivierten Protein C reicht die Datenlage momentan nicht aus, um in der operativen Intensivmedizin dieses Medikament als Standardtherapie bei septischen Patienten zu etablieren [7]. Heine et al. [2] stellen weiter dar, dass eine kontinuierliche Infusion von Dopamin zur Prophylaxe einer Nierenfunktionsstörung oder eines Nierenversagens heute endgültig als nicht sinnvoll anzusehen ist und auf keiner Intensivstation mehr durchgeführt werden sollte. Im Gegenteil, eine niedrig dosierte Dopamininfusion kann bei hypovolämen Patienten ein Nierenversagen induzieren [8]. Ein weiterer Grund Dopamin bei kritisch kranken Patienten generell nicht mehr einzusetzen, sind die Nebenwirkungen dieses Katecholamins. Dopamin unterdrückt die Sekretion der Hypophysenvorderlappen-Hormone und beeinträchtigt so die Energiebilanz und die zelluläre Immunfunktion unseres Organismus. Dies kann z. B. zu einem vermehrten Auftreten respiratorischer Probleme während der Entwöhnung von der mechanischen Beatmung führen [8] [9].

Umstritten ist nach wie vor die Frage, ob eine Infusion von Albumin die Letalität kritisch kranker Patienten negativ beeinflusst. Zwar gibt es aufgrund einer Metaanalyse keinen zwingenden Beweis für diese Annahme, auf der anderen Seite stellt sich aber die Frage, ob es wirklich sinnvolle Indikationen für Albumin auf der Intensivtherapiestation gibt und nicht von einzelnen Ausnahmen abgesehen, generell von einer Albumingabe abgesehen werden sollte. Ein ähnliches gilt für den routinemäßigen Einsatz der subglottischen Absaugung zur Prophylaxe ventilator-assoziierter Pneumonien. Die Effektivität dieser Maßnahme ist nicht gesichert. Dies ist vor allem wichtig vor dem Hintergrund, dass neben der strikten Einhaltung hygienischer Verhaltensmaßregeln bereits sinnvolle, effektive Therapiekonzepte wie die „Selektive Digestive Dekontamination” des Oropharynx und der Magenschleimhaut zur Prävention nosokomialer und beatmungsassoziierter Infektionen etabliert sind [10].

Die nicht-invasive Beatmung wurde in der internistischen Intensivmedizin entwickelt zur Therapie von Patienten mit chronischer Atemwegsobstruktion [11]. Für die operative Intensivmedizin ist ein eindeutiger Vorteil dieses Verfahren bislang nicht nachgewiesen worden, obwohl eine nicht-invasive Beatmung in Einzelfällen sinnvoll sein kann [12]. Ähnliches gilt für die Bauchlagerung von Patienten mit Lungenversagen. Auch hier führt diese Maßnahme häufig aktuell zu einer deutlichen Verbesserung der Respiration, ein Effekt auf die Letalität konnte bislang aber noch nicht nachgewiesen werden.

Hinsichtlich der Monitoringverfahren ist die wichtigste Erneuerung, dass eine routinemäßige, präoperative Anlage eines Pulmonalarterienkatheters nicht unbedingt zu einer Verbesserung der Morbidität und Letalität chirurgischer Hochrisikopatienten führt, so dass ein Pulmonalarterienkatheter nur noch in Einzelfällen hilfreich und erforderlich ist. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Überwachung von Intensivpatienten durch die Echokardiographie entscheidend verbessert worden ist. Die Echokardiographie ist dem Pulmonalarterienkatheter grundsätzlich überlegen, da sie zusätzlich die Dimensionen und Funktion des Herzens mit berücksichtigt, und sich damit sowohl als diagnostisches Verfahren in der Intensivmedizin als auch zur Verlaufskontrolle einer differenzierten Intensivtherapie einsetzen lässt. Jeder Arzt, der auf einer operativen Intensivstation tätig ist, sollte dieses Verfahren beherrschen und über eine entsprechend zertifizierte Ausbildung verfügen, da die differenzierte Diagnostik und Therapie kardialer und pulmonaler Erkrankungen bei vital bedrohten Patienten in die Zusatzweiterbildung „Anästhesiologische Intensivmedizin” integriert ist. Konsequenterweise ist von der „Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin” für die Echokardiographie eine entsprechende Richtzahl in der neuen Weiterbildungsordnung vorgesehen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in den letzten Jahren viele Erfolg versprechende Therapiekonzepte in der Intensivmedizin entwickelt wurden. Die Sepsis und das Multiorganversagen werden aber auch in der Zukunft neben den Organersatzverfahren die zentralen Herausforderungen auf der Intensivstation sein und Gegenstand intensiver experimenteller und klinischer Forschung bleiben.

Literatur

  • 1 De Lange S, Van Aken H, Burchardi H. European Society of Intensive Care Medicine statement: intensive care medicine in Europe - structure, organisation and Training guidelines of the Multidisciplinary Joint Committee of Intensive Care Medicine (MJCICM) of the European Union of Medical Specialists (UEMS).  Intensive Care Med. 2002;  28 1505-1511
  • 2 Heine J, Groeben H, Böttiger B W. Neue Wege und aktuelle Aspekte in der Intensivmedizin - eine Auswahl wegweisender Artikel der letzten Monate.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2003;  38 710-715
  • 3 Rivers E, Nguyen B, Havstad S, Ressler J, Muzzin A, Knoblich B, Peterson E, Tomlanovich M. Early goal-directed therapy in the treatment of severe sepsis and septic shock.  N Eng J Med. 2001;  345 1368-1377
  • 4 Van den Berghe G, Wouters P, Weekers F, Verwaest C, Bruyninckx F, Schetz M, Vlasselaers D, Ferdinande P, Lauwers P, Bouillon R. Intensive insulin therapy in critically ill patients.  N Eng J Med. 2001;  345 1359-1367
  • 5 Amato M BP, Barbas C SV, Medeiros D M, Magaldi R B, Schettino G PP;, Kairalla R A, Deheinzelin D, Munoz C, Oliveira R, Takagaki T Y, Carvalho C RR. Effect of a protective-ventilation strategy on mortality in the acute respiratory distress syndrome.  N Eng J Med. 1998;  338 347-354
  • 6 Bernard G R, Vincent J L, Laterre P F, LaRosa S T, Dhainaut J F, Lopez-Rodriguez A, Steibgrub J S, Garber G E, Helterbrand J D, Ely E W, Fisher C J. Efficacy and safety of recombinant human activated protein C for severe sepsis.  N Eng J Med. 2001;  344 699-709
  • 7 Warren H S, Suffredini A F, Eichacker P Q, Munford R S. Risks and benefits of activated protein C treatment for severe sepsis.  N Eng J Med. 2002;  347 1027-1030
  • 8 Debaveye Y A, Van den Berghe G H. Is there still a place for dopamine in the modern intensive care unit?. Anesth Analg 2003: in Druck.
  • 9 Van den Berghe G, de Zegher F, Lauwers P. Dopamine and the sick euthyroid syndrome in critical illness.  Clin Endocrinol. 1994;  41 731-737
  • 10 Krueger W A, Lenhart F P, Neeser G, Ruckdeschel G, Schreckhase H, Eissner H J, Forst H, Eckart J, Peter K, Unertl K E. Influence of combined intravenous and topical antibiotic prophylaxis on the incidence of infections, organ dysfunctions, and mortality in critically ill surgical patients.  Am J Respir Crit Care Med. 2002;  166 1029-1037
  • 11 Nava S, Ambrosino N, Clini E, Prato M, Orlando G, Vitacca M, Brigada P, Fracchia C, Rubini F. Noninvasive mechanical ventilation in the weaning of patients with respiratory failure due to chronic obstructive pulmonary disease. A randomised, controlled trial.  Ann Int Med. 1998;  128 721-728
  • 12 Evans T W. International consensus conferences in intensive care medicine: non-invasive positive pressure ventilation in acute respiratory failure.  Intensive Care Med. 2001;  27 166-178

Prof. Dr. med. Elmar Berendes

Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin .Universitätsklinikum Münster

Albert-Schweitzer-Straße 33

48149 Münster

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