Allgemeine Homöopathische Zeitung 2003; 248(6): 309-310
DOI: 10.1055/s-2003-44571-2
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Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & CO. KG

Dr. med. Alfonso Masi-Elizalde (1932-2003)

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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Die homöopathische Welt trauert um einen ihrer Granden: Dr. Alfonso Masi-Elizalde starb am 23. Juli dieses Jahres im Alter von 70 Jahren. Wie nur wenigen homöopathischen Lehrern unserer Tage ist es ihm gelungen, auf dem Boden fundierter Hahnemann-Kenntnis und philosophischer Weitläufigkeit eine - im wörtlichen Sinn - Re-vision der homöopathischen Lehre zu entwickeln: Hahnemann neu zu lesen.

Am 23.10.1932 als Sohn des homöopathischen Arztes Jorge Masi-Elizalde (Kollege von T. P. Paschero und Direktor des Instituto Internacional D'Altos Estudios Homeopaticos James Tyler Kent) in Buenos Aires geboren, war ihm ein früher und gründlicher Zugang zur Homöopathie quasi in die Wiege gelegt: Er studierte, verglich und analysierte die zahllosen Kasuistiken seines Vaters und seine eigenen minutiös. Dabei bewegte ihn die alte Frage, wie man den Heilungsverlauf sicherer, d.h. vorhersagbar machen könne. Im Unterschied zu anderen Autoren setzte er allerdings den Begriff der Heilung sehr hoch an. Mit der Chiffre „Quantensprung” markierte er einen Anspruch wie - nach Hahnemann - wenige vor ihm: Nicht das Verschwinden eines fest umschriebenen Symptom-Komplexes allein mache wahre Heilung aus, sondern erst der existenzielle „Ruck”, der sich in der Lebensgeschichte des Patienten unter dem Simillimum ereigne - hin zu mehr Gelassenheit, Vitalität, Daseinsperspektive und Lebensfreude, ganz gemäß Organon 9.

Mit Bestürzung konstatierte er, dass unsere Arzneimittelkenntnis in hohem Maß als minderwertig zu gelten habe: Ehe eine existenzielle Katharsis im Patienten stattfinden kann, muss erst seine lebensgeschichtliche Problematik erkannt und - gemäß der Ähnlichkeitsdoktrin - in einem Arzneimittel wiedergefunden werden. Die von Hahnemann inaugurierte radikale Tiefendimension, die Alfonso Masi-Elizalde der Homöopathie und ihren Texten auf diese Weise wieder zurückgab, fand weltweites Echo bei all jenen, die von der klinischen Kleinmünzerei der ersten Jahrhunderthälfte enttäuscht und der kurzlebigen Modetrends der homöopathischen Hermeneutik der 70er- und 80er-Jahre überdrüssig geworden waren. Viele kamen und hörten begeistert diesem Maestro zu, der so gar nicht die salbungsvolle und selbstverliebte Attitüde anderer zeitgenössischer Lehrer hatte. Viel eher sprach er ernst, mahnend, fordernd, oft mit sublim-trockenem Humor: Es war immer überdeutlich, dass hier einer nicht den „schnelleren und leichteren” Weg, also eine „Abkürzung” zur Heilung versprach. Nichts lag ihm ferner.

Das merkten alsbald die „Fans”: Die aufwendige Analyse der Arzneimitteltexturen, noch dazu vor dem Hintergrund einer thomistischen Anthropologie, überforderte und frustrierte rasch jene, die nur einen neuen Guru gesucht hatten - der therapeutische Alltag lässt sich keiner Wellness-Kur unterziehen. Anlässlich eines Seminars gefragt, wie viele „Quantensprung”-Heilungen in einer Praxis mit seiner Vorgehensweise wohl zu erwarten seien, antwortete Masi-Elizalde rabbinisch: „Sehen Sie es doch mal so: Wenn Sie in Ihrer Karriere auch nur einen einzigen Patienten in dieser Weise auf den Weg bringen: Rechtfertigt das nicht 40, 50 Jahre frustraner Bemühungen?”

Dass wir von Alfonso Masi-Elizalde - außer einer kompletten Seminarmitschrift und vielen mündlichen Kommentaren - über keine Originaltexte verfügen, macht eines sehr deutlich: Hier war einer, der begriffen hat, dass Homöopathie keine Methode, sondern ein Paradigma ist, lernbar nur über das Paradox der unerbittlich reflektierten Erfahrung, wie es schon Hahnemann postuliert hatte. Genau dieser Umstand führte dazu, dass die „Masi-Gemeinde” - von den lateinamerikanischen Verhältnissen abgesehen - weltweit klein geblieben ist: Es gehört die Bereitschaft zu einem gewissermaßen „diskursiven Übersoll” dazu, sich einem so aufwendigen und unbezahlten Geschäft zu widmen. Alle, die sich darauf eingelassen haben, wissen freilich um die vitale und unerschöpfliche Energie und die geistige Klarheit, die aus diesem Diskurs entstehen können. Und das ist vielleicht der wichtigste Impuls, den A. Masi-Elizalde in die so wechselhafte Geschichte der Homöopathie wieder hineingebracht hat: Das Fragen, das Suchen, das unerschrockene „sapere aude” Horaz', das sich so wohltuend abhebt vom narzisstischen und ideologischen Gezänk der Zeitgenossen.

Die europäischen Gruppen, die sich auf verschiedene Weise auf Masi-Elizalde beziehen, sind überschaubar klein: In Spanien, Italien, Schweiz, Belgien und Deutschland gibt es Arbeitsgruppen, auch in Rumänien, Russland und Polen haben sich gleich gesinnte Kollegen zusammengefunden. (Anfragen hierzu richten Sie bitte an die Forschungsinitiative zur Revision der Materia Medica - FORM., Dürener Str. 320, 50935 Köln; auch:

www.form-homoeopathie.de).

Es bleibt die herzliche Hochachtung vor einem aufrichtigen, ernsthaften, kompetenten und innovativen Homöopathen, vor einem Freund und Verehrer Hahnemanns. Wir haben zu danken und tun dies gern!

Christian Gallasch

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