Ultraschall Med 2004; 25(1): 75
DOI: 10.1055/s-2003-45243
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Leserbrief: Beobachtungsstudien über das Ultraschall Screening bei Neugeborenen zur Entdeckung der kongenitalen Hüftdysplasie - eine systematische Studie

Letter to the Editor: Observational Studies on Ultrasound Screening for Developmental Dysplasia of the Hip in Newborns - a Systematic Review?M.  Schilt
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Publication Date:
12 February 2004 (online)

Leserbrief

Der Artikel „Observational Studies on Ultrasound Screening for Developmental Dysplasia of the Hip in Newborns” [1] bringt mehr Verwirrung als Klarheit. Dabei wäre die Frage nach dem Nutzen eines Screening so einfach:

Die beste Therapie einer kongenitalen Hüftdysplasie ist jene, die frühzeitig einsetzt, umso früher je schwerer der Ausgangsbefund, d. h. bei Luxationen in den ersten Lebenstagen. Diese Erkenntnis ist uralt, zurückzuverfolgen bis ins 18, Jahrhundert. Der Spontanverlauf bei später beginnender Behandlung ist seit Hippokrates zur Genüge bekannt. Erst die Sonographie ermöglicht eine frühzeitige Diagnose, schon ab Geburt. Dadurch können alle Säuglinge, deren Hüften zur Entwicklung einer Dysplasie gefährdet sind, frühzeitig erkannt und behandelt werden, sodass keine definitive Deformation im Hüftgelenk entsteht.

Es ist schwer verständlich, wenn aus einer systematischen Literaturrecherche mit 684 Publikationen dieser einfache Zusammenhang nicht gefunden werden kann!

Die in Tab. 2 aufgelisteten Kriterien für ein Screening können mühelos eindeutig zu Gunsten des generellen Hüftsonographie-Screening beantwortet werden, allein schon aus dem im Artikel beigefügten Literaturverzeichnis. Dazu ist jedoch eine Bewertung der Publikationen nicht ausschließlich in methodologischer Hinsicht notwendig, sondern auch inhaltlich in Hinblick auf die Qualität der Diagnose und die Angemessenheit der Therapie. Wenn im Autorenteam keine Person mit klinischer Erfahrung in dieser Krankheit vertreten ist, fehlt unvermeidlich dieser entscheidende Aspekt.

Die Autoren empfehlen zur Klärung des Screening-Nutzens randomisiert-kontrollierte Studien. Die Regeln der Evidence-based Medicine kennen solche Studien zur Prüfung einer Therapie, nicht zur Validierung eines diagnostischen Tests. Wird hier Diagnose und Therapie vermischt?

Die Autoren erwähnen selbst die Schwierigkeiten (sprich Unmöglichkeit) einer randomisiert-kontrollierten Studie: entweder müsste bei der Randomisierung eine Gruppe dem Spontanverlauf überlassen werden, den es ja mit dem Screening und der frühzeitigen Behandlung unbedingt zu vermeiden gilt; oder es müsste - auch ohne Randomisierung - der Verlauf über Jahrzehnte verfolgt werden, um dann endlich zu wissen, ob eine manifest werdende Dysplasie tatsächlich entstanden oder vermieden worden ist. Warum werden derart wirklichkeitsfremde Forderungen aufgestellt?

Die Absurdität dieser Forderung kann mit der Situation anderer Krankheiten verglichen werden, die ebenfalls lebenslange Spätfolgen verursachen können. Wer behauptet heute, ein Diabetes dürfe erst dann an Hand der Blutzuckerwerte (und nicht allein nach anamnstischen Risiken oder klinischen Symptomen) abgeklärt, diagnostiziert und behandelt werden, wenn randomisiert-kontrollierte Studien bewiesen haben, dass die Ausrichtung (in Diagnose und Therapie) nach den Laborwerten den späteren Verlauf tatsächlich zu beeinflussen vermag? Dieselbe Frage gilt auch für die Hypertonie. Auch hier wird ein Messwert (und nicht manifeste Symptome) als entscheidendes Kriterium für Diagnose und Behandlungs-Indikation herangezogen. Warum wird ein analoges Vorgehen für die kongenitale Hüftdysplasie abgelehnt?

In der nicht enden wollenden Diskussion um den Nutzen eines Hüftsonographie-Screening werden oft Halbwahrheiten kolportiert. Man hätte sich jetzt eine Qualifizierte Darstellung der Literatur gewünscht!

Literatur

  • 1 Puhan MA, Woolacott N, Kleijnen J, Steurer J. Observational studies on ultrasound screening for developmental dysplasia of the hip in newborns - a systematic review.  Ultraschall in Med. 2003;  24 365-366

Dr. med. M. Schilt

FMH für Kinderchirurgie

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