Suchttherapie 2003; 4(4): 173-174
DOI: 10.1055/s-2003-45531
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

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EditorialPeter Franzkowiak, Jens Kalke
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Publication Date:
12 January 2004 (online)

Dieses Schwerpunktheft ist für den deutschsprachigen Raum die erste systematische, historisch-kritische Zusammenstellung von suchtpräventiver Theorie, überprüfbaren Interventionskonzepten und modellhafter Praxis seit den wegweisenden „BZgA-Expertisen” des Münchner Instituts für Therapieforschung zu Beginn der 90er-Jahre [1] [2]. In Übernahme US-amerikanischer, stark verhaltenstherapeutisch geprägter Interventionskonzepte und Forschungsweisen wurden seinerzeit Lebenskompetenzförderung und Standfestigkeitstraining zu Leitlinien, fast: „Königswegen” der personalkommunikativen Suchtprävention erhoben. Zwar wurden die substanzspezifischen Komponenten wie auch strukturelle Herangehensweisen in Prävention und Intervention nicht ausgeblendet, aber doch geringer geschätzt. Impulse aus der Drogenhilfe und der Suchttherapie wie Schadensminimierung, niedrigschwellige und konsumakzeptierende Ansätze gerieten Anfang des letzten Jahrzehnts (noch) nicht in das Blickfeld.

Hier haben sich bedeutsame Akzentverschiebungen ergeben und neue Interventionsansätze herausgebildet. Das gegenwärtige Spannungsfeld zwischen abstinenzfokussierter Verhaltensprävention, Förderung von Widerstands- und Lebenskompetenzen sowie Konsumregulierung und Schadensminimierung mit pädagogischer Begleitung bilden die Beiträge in diesem Heft ab. Neben drei Übersichtsartikeln zur Entwicklung und zum Stand von Praxis und Forschung werden einige evaluierte Projekte vorgestellt, die die Bandbreite suchtpräventiver Interventionen aufzeigen. Darunter befinden sich „klassische” Schulprogramme, peerorientierte Aufklärungsarbeit im Partydrogensetting und angeleitete Selbsterfahrungsübungen mit Risikogruppen.

In den vergangenen Jahren erschienen unzählige thematische Arbeiten, Konzept(weiter)entwicklungen, Manuale und Praxisberichte, Evaluationen und Forschungsarbeiten. Doch waren die Quellen verstreut und der innere Zusammenhang der Weiterentwicklung für Außenstehende kaum erkennbar. Dieses Schwerpunktheft illustriert die neue Fachlichkeit auch dadurch, dass es die gewachsene Bedeutung eigenständiger Ansätze aus dem deutschsprachigen Raum anerkennt, dabei insbesondere auf die Querverbindungen der über Jahrzehnte getrennten Systeme der Suchkrankenhilfe/-therapie zur Suchtprävention verweist. Exemplarisch herauszuheben ist in diesem Zusammenhang die - 1993 noch nicht vorhersehbare - Wiederaufwertung der substanzspezifischen Prävention bei gleichzeitiger Einbindung der Lebenskompetenzansätze in übergreifende Modelle der „Risikokompetenz” [3] [4].

Die Zukunft der Suchtpräventionspraxis dürfte in erheblichem Maße von verbindlichen, überprüfbaren und überprüften Qualitätsstandards geprägt werden - bei aller notwendigen Freiheit zur Innovation bei Konzepten wie Maßnahmen. Dies gilt nicht zuletzt, weil neue Gefährdungen, beispielsweise die wachsende Prävalenz des „multiplen Risikoverhaltens” [5] analog zur Polytoxikomanie im therapeutischen Setting, ein Erproben neuer Interventionsformen erforderlich machen. Gerade deshalb ist Evaluation unverzichtbar: Im Anschluss an die Verwissenschaftlichung der Theorie verwissenschaftlichen sich nun auch Praxis und Qualitätssicherung in der Suchtprävention - so unser Fazit, das zugleich Prognose ist. Wir brauchen mehr Evaluation in der Suchtprävention, um zu empirisch gesicherten Erkenntnissen über die Wirkungen spezifischer Interventionen zu gelangen und damit fortlaufend die Qualität der Arbeit weiterentwickeln zu können.

Die öffentliche Förderung für die Evaluierung suchtpräventiver Maßnahmen war bislang - um es milde zu formulieren - zurückhaltend. Dazu konnte es u. a. kommen, weil in der Politik bislang mehr Wert auf die Legitimität als auf die Effektivität der Suchtprävention gelegt worden ist [6]. Suchtprävention genießt in der Bevölkerung ein positives Image; deshalb können schon über das Erheben pauschaler Forderungen Zustimmung und Legitimität hergestellt werden. Je unbestimmter die Mittel-Ziel-Relation gehalten werden kann, desto allgemeiner und unrealistischer können die Ziele formuliert werden und desto besser kann die Diskussion über den Mittelaufwand - kostensparend - abgekoppelt werden. Der Einsatz der Mittel für Prävention bestimmte sich von daher bislang stärker nach politisch-legitimatorischen Kriterien als nach fachlichen Gesichtspunkten, welcher Aufwand notwendig wäre, um welche Ziele tatsächlich erreichen zu können.

Hier muss trotz knapper öffentlicher Kassen ein Umdenken einsetzen und die Suchtpräventionsforschung stark ausgebaut werden, ähnlich wie es in der Schweiz schon seit einigen Jahren der Fall ist. Zudem müsste die Politik zukünftig den Fokus mehr auf die Verhältnis- und strukturelle Prävention legen (wie Werbungsverbote, Abbau von Zigarettenautomaten etc.). Auch hier wären Evaluations- und Vergleichsstudien nötig, um Erkenntnisse zu gewinnen und ideologiebehafteten und moralingesäuerten Auseinandersetzungen den Nährboden zu entziehen. Der von der Nationalen Drogen- und Suchtkommission im letzten Jahr vorgelegte Bericht zur Verbesserung der Suchtprävention [7] zielt mit seinen Forderungen in die gleiche Richtung. Er ist ein bedeutsamer Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen Suchtprävention in Deutschland.

In diesem Sinne hoffen wir, dass wir mit diesem Schwerpunktheft einen Beitrag für eine empiriegestützte und wissenschaftlich abgesicherte Suchtpräventionsarbeit leisten.

Literatur

  • 1 Künzel-Böhmer J, Bühringer G, Janik-Konecny T. Expertise zur Primärprävention des Substanzmissbrauchs. Baden-Baden; Nomos 1993
  • 2 Denis A. et al .Fortschreibung der Expertise zur Primärprävention des Substanzmissbrauchs. Köln/München; BZgA/IFT 1994
  • 3 Franzkowiak P. Risikokompetenz und „Regeln für Räusche”. Stöver H Akzeptierende Drogenarbeit - Eine Zwischenbilanz Freiburg; Lambertus 1999: 57-73
  • 4 Fahrenkrug H. Risikokompetenz - eine neue Leitlinie für den Umgang mit „riskanten Räuschen”?.  Suchtmagazin. 1998;  3 23-27
  • 5 Hurrelmann K, Klocke A, Melzer W. et al. (Hrsg) .Jugendgesundheitssurvey. Weinheim/München; Juventa 2003
  • 6 Kalke J. Suchtprävention und Politik. Eine empirische Analyse von Landtagsdokumenten. Konturen.  Fachzeitschrift zu Sucht und sozialen Fragen. 2003;  2 26-29
  • 7 Drogen- und Suchtkommission .Stellungnahme zur Verbesserung der Suchtprävention. Berlin,; 2002

Prof. Dr. Peter Franzkowiak

Fachhochschule Koblenz, Fachbereich Sozialwesen

Rheinau 3-4

56075 Koblenz

Email: franzkowiak@fh-koblenz.de

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